Atomkrieg-Alarm: "Gefährlichster Mann Amerikas" über gefährlichste Waffe der Welt

Seite 2: Nukleares Doomsday-Szenario mit Russland: Über eine Milliarde Tote

Insgesamt also eine direkte Opferzahl von rund 600 Millionen Menschen – umgerechnet hundert Holocausts auf einen Schlag. Man sollte dabei bedenken: Damals, in den 1960er-Jahren, als die Berechnung erstellt wurde, umfasste die Weltbevölkerung lediglich drei Milliarden Menschen.

Aber das sei noch eine Unterschätzung der Folgen, sagt Ellsberg. So wären die Effekte von Feuer und Rauch, inklusive eines "nuklearen Winters", nicht einbezogen worden, weil diese Auswirkungen schwer kalkulierbar seien. Sie richteten jedoch in einem thermonuklearen Krieg den größten Schaden an.

Die Zahl wäre damals also weit über eine Milliarde gewesen, plus die sowjetischen Vergeltungsmaßnahmen gegen Europa. Wir sprechen also von über einer Milliarde Menschen, einem Drittel der damaligen Weltbevölkerung.

Das Doomsday-Szenario, betont Ellsberg, sei keineswegs eine irreale Spielerei. Nicht nur in der Kuba-Krise, sondern später immer wieder, sei ein Atomschlag nur um Haaresbreite, letztlich durch Glück oder individuelle Blockaden in den Befehlsketten, verhindert worden – wovon die breitere Öffentlichkeit aber fast nichts mitbekommt.

Ellsberg hat in den letzten Jahren auf die zunehmenden Gefahren eines Atomkriegs hingewiesen. So soll der ehemalige US-Präsident Donald Trump in einem Treffen im Weißen Haus gegenüber dem damaligen Außenminister Rex Tillerson dreimal gesagt haben: "Wenn wir Atomwaffen haben, warum setzen wir sie nicht ein?"

Unter Trump erhöhten sich zugleich die Spannungen mit dem Nuklearstaat Nordkorea unter Kim Jong-un. Beide Staaten drohten einander mit ihren Atomwaffen. Ein Spiel mit dem Feuer, so Ellsberg in einem Interview 2017:

[Atomwaffen] werden von zwei Personen aufeinander gerichtet, die sehr überzeugend vorgeben, verrückt zu sein. Das ist gefährlich. Ich hoffe, sie tun nur so. … Mit Atomwaffen vorzugeben, man sei verrückt, ist riskant. Es ist ein gefährliches Angsthasen-Spiel.

Donald Trump stieg zudem aus dem Nukleardeal mit dem Iran aus, was die atomare Krise im Nahen Osten wieder anheizte. Angesichts der wenig verschlüsselten Drohungen Russlands, im Ukraine-Krieg taktische Atomwaffen einzusetzen, habe die Situation sich zudem weiter verschärft. Die Bedrohung sei nun so groß wie zu keiner Zeit nach der Kuba-Krise.

Und das liegt vor allem daran, dass es jetzt abschussbereite Atombomben mit Interkontinentalraketen auf beiden Seiten gibt. Und Putin spricht von einem taktischen Einsatz kleiner Atomwaffen, was mit ziemlicher Sicherheit eskalieren würde.

Ein nukleares Pingpong würde am Ende alles menschliche Leben auslöschen.

Allein die USA haben weiter 400 Raketen in Zehn-Minuten-Alarmbereitschaft. Vom Befehl bis zum Start aus den Silos vergehen also nur wenige Minuten – ohne Rückrufmöglichkeit. In rund 30 Minuten würden sie ihre Ziele in Russland und China erreichen, so Ellsberg.

Der ehemalige Nuklearplaner im Pentagon mahnt, die Gefahr eines katastrophalen Atomkriegs sei nicht weiter hinnehmbar, wobei die Interkontinentalraketen das größte Risiko darstellen.

Der Verteidigungshaushalt sollte um mehr als die Hälfte gekürzt werden, anstatt ihn zu erhöhen, wobei mit den gefährlichsten Waffen, den Interkontinentalraketen, begonnen werden sollte.

Er fordert außerdem, dass sich die USA zu einer Politik des Verzichts auf einen atomaren Erstschlag verpflichten sollten.

Es sind die Worte eines unermüdlich für eine bessere, sichere und friedliche Welt kämpfenden Mannes, der uns in Zukunft mit seinen Einsichten, seiner Kritik und seinem Engagement fehlen wird.

Sie haben die Möglichkeit, ihm noch einmal im Rahmen der Daniel Ellsberg Week hier zuzuhören.