Atomkrieg-Debatte: Wenn der Absender die Botschaft bestimmt

Harald Neuber
Künstlerische Darstellung eines Atompilzes mit einem digitalen Warnschild davor

Bild: metamorworks/ Shuterstock.com

Experten sehen für Fall von Atomkrieg schwarz. Deutschland könnte Städte kaum schützen. Doch wie ernst nehmen wir Warnungen und Warnende?

Experten verschiedener politischer Lager warnen davor, dass Deutschland nicht ausreichend auf einen möglichen Raketenangriff mit Kernwaffen vorbereitet ist. Entsprechende Einlassungen kommen sowohl aus dem transatlantischen Lager als auch von Nato-Kritikern – mit sehr unterschiedlichen politischen und medialen Reaktionen.

So haben der Militärexperte Carlo Masala wie auch ein ostdeutscher Vertreter der Partei BSW zuletzt eindringlich davor gewarnt, dass die Bundesrepublik ihre Metropolen nicht vor den Atombomben des Kremls schützen könnte. Mit anderen Worten: Ein Atomkrieg – oder auch nur ein begrenzter, nuklearer Schlagabtausch – hätte verheerende Folgen für die Bevölkerung in einem weiten Radius um die Einschlagsorte der Kernwaffen.

Die Reaktionen auf diese Interventionen fallen jedoch sehr unterschiedlich aus – was wohl darauf zurückzuführen ist, dass die beiden Akteure unterschiedliche politische Hintergründe haben und entgegengesetzte Schlussfolgerungen aus der Gefahrenlage ziehen.

Carlo Masala, eingeladen in die ZDF-Talkshow von Markus Lanz, zeichnete ein düsteres Bild der deutschen Verteidigungskapazitäten gegen Atombomben (hier ab 10:33 min).

Mit den acht vorhandenen Patriot-Raketenabwehrbatterien könne gerade einmal Berlin vor einem Angriff mit ballistischen Atomraketen geschützt werden, die in einem weiten Radius verheerende Schäden anrichten würden.

Für Hamburg, München oder Köln reiche es nicht mehr, so der Militärexperte schonungslos. "Also diese Sendung würde dann nicht mehr stattfinden", brachte er das Szenario eines Atomkriegs auf den Punkt. Die ZDF-Talkshow wird in Hamburg aufgezeichnet. Hier die gesamte Einschätzung von Masala, leicht bearbeitet:

Wenn das, was in den USA passiert, kulminiert, dann stehen die Amerikaner nicht mehr zur Verfügung. Die sind dann raus und dann haben sie nur die Europäer – mit dem Verteidigungsbudget, das sie genannt haben. Aber die Fähigkeiten fehlen. (...) Da reden wir nicht über ein paar Millionen Euro, sondern da sind wir sehr schnell im dreistelligen (...) Milliardenbereich, um (die ausgefallenen Kapazitäten, d. Red.) überhaupt anzuschaffen und nur annähernd zu ersetzen. Darum geht es in diesem Szenario. Wo haben die Russen einen Vorteil? Ich gebe nur ein Beispiel: Wir haben in Deutschland acht Patriot-Batterien. Wenn Sie die gut positionieren, sind Sie in der Lage, Berlin zu schützen, aber keine andere deutsche Stadt, vor ballistischen Raketen (mit Kernwaffen, d. Red.). Also, diese Sendung würde dann hier nicht mehr stattfinden. Wir haben fünf oder sechs Millionenstädte, die kriegen Sie alle nicht geschützt. Punkt.

Carlos Masala

Die Gäste von Lanz, darunter die Spiegel-Redakteurin Sabine Rennefanz, zeigten sich entsetzt von Masalas Analyse zur fehlenden Abwehr vor Atombomben in einem Atomkrieg. Man frage sich, warum Europa so viel Geld für Rüstung ausgebe, aber dennoch solch eine geringe Fähigkeit zur Abwehr von Kernwaffen habe.

Ein Atomkrieg zwischen Russland im Kontext des Ukraine-Krieges hätte fatale Folgen weit über die Grenzen der beiden Länder hinaus.

Angst vor Eskalation in der Ukraine

Hintergrund der Debatte: Während Russland über ein großes Arsenal an Atombomben verfügt, ist die Ukraine auf die Unterstützung der Nato-Staaten angewiesen, um sich gegen die Bedrohung durch Kernwaffen zu schützen. In diesem und anderen Bereichen würde das bedeuten, dass alle Staaten des Nordatlantikpakts in eine atomare Auseinandersetzung mit der Atommacht Russland gezogen werden.

Warnung auch aus dem Wagenknecht-Lager

Nicht viel anders im Inhalt, doch ganz anders in der Rezeption, war ein Vorstoß von Thomas Kachel nur wenige Wochen zuvor. Als Vertreter des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) im Stadtrat forderte er für Leipzig eine Modellierung, wie die Stadt einen atomaren Angriff mit Kernwaffen überstehen könne.

Schürt konkretes Szenario Angst?

"Realistisch erscheint die Möglichkeit, dass im Anfangsstadium eines militärischen Konflikts der Flughafen Leipzig/Halle (mit Atombomben) angegriffen wird", schrieb das BSW in einer Anfrage – und erkundigte sich nach den Schutzmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger in der sächsischen Stadt mit gut 630.000 Einwohnern. Der Radius der Zerstörung wäre enorm, so die Befürchtung.

BSW fordert Auskunft

Kachel forderte Auskunft über Schutzräume, Überlebensraten und die Kosten eines Zivilschutzprogramms gegen Atombomben. Seine Forderungen führten zu einer kontroversen Diskussion.

Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) wies die BSW-Anfrage als "ängsteschürend und unangebracht" zurück. Eine ähnliche Position vertrat die Leipziger Zeitung, in der die Anfrage als "ein einziges Angstschüren vor einem Atomkrieg, mit dem Russlands Machthaber Wladimir Putin immer unterschwellig wieder (sic!) droht" bezeichnet wurde. Im gleichen Sinne warfen andere Stadträte Kachel vor, mit der Fragestunde "russische Propaganda in Deutschland zu Politik zu machen". Ein Teil der Anfrage lautete:

Im Rahmen der Aufstellung des Operationsplans Deutschland der Bundeswehr soll die Bundesrepublik gesamtgesellschaftlich auf die Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts mit Russland eingestellt werden. (...) Wohl im Rahmen dieses Operationsplans fordert der Städte- und Gemeindebund nun "bessere Vorkehrungen zum Schutz der Bevölkerung im Kriegsfall" und "für den Schutz der Bevölkerung vor kriegsbedingten Gefahren". Darunter verstehen Entscheidungsträger auf Bundes- wie kommunaler Ebene offenbar die Indienstnahme und den verstärkten Bau von Bunkern.

Aus einer Anfrage des BSW im Stadtrat Leipzig

Die Branddirektion der sächsischen Metropole verwies in ihrer Antwort auf den Bund. Er habe "die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Schutz der Bevölkerung vor kriegsbedingten Gefahren" wie Atombomben. Und: "Derzeit befinden sich keine Zivilschutzbauwerke in der Stadt Leipzig, die vor Kernwaffen schützen könnten."

Die unterschiedlichen Reaktionen auf die beiden Warnungen verdeutlichen den Einfluss politischer Zugehörigkeiten. Ganz offensichtlich hängt es stark von der politischen Verortung des Absenders ab, wie eine Botschaft über die Gefahren eines Atomkriegs zwischen Russland und der Ukraine aufgenommen wird.

Dem Militärexperten Masala nimmt man die Warnung vor der russischen Gefahr durch Kernwaffen ab, sie wird thematisiert. Das ist beachtlich, denn er hatte in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung den Weg "zurück zur alten Nato-Maxime" erwogen, "jeden Angriff mit Atombomben mit einem großen nuklearen Gegenangriff zu beantworten".

Ähnliche Warnungen, unterschiedliche Reaktionen

Wenn ähnliche Warnungen aus den Reihen einer Partei kommen, die sich für diplomatische Lösungsansätze im Ukraine-Konflikt einsetzen, um einen Atomkrieg zu verhindern, werden sie negativ wahrgenommen.

Dabei weisen beide, Masala wie Kachel, auf eine reale Bedrohung hin. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine besteht die Möglichkeit einer militärischen Eskalation bis zum Einsatz von Kernwaffen und Atombomben.

Russland hat die Stationierung nuklearfähiger Iskander-Raketen in Kaliningrad bestätigt. Mit seiner Rhetorik der Unverletzbarkeit russischen Territoriums droht Putin immer wieder auch den Unterstützern der Ukraine mit einem Atomkrieg.