Auf der Jagd nach den Schätzen von Terror, Inc.
Die Schattenwirtschaft des internationalen Terrorismus. 1.Teil: Das "Hawala-System"
Auch in der Terrorbekämpfung gibt es immer wieder verblüffend einfache Lösungen. Man müsse dem Milliardär Bin Laden nur das Geld wegnehmen, dann wäre er ein "Nichts", lautete der Vorschlag eines amerikanischen FBI-Agenten nach den Terroranschlägen auf US-Botschaften in Afrika 1998.
Ein pointierter Vorschlag, dessen Witz sich bald erschöpfte. Bin Laden ist mittlerweile kein "ordinärer Radikaler" mehr, als den ihn der FBI Agent bezeichnete, sondern eine Legende, die so schnell wahrscheinlich nicht aus der Geschichte zu löschen ist. Gleichviel ob arm oder tot, für den Terror, der sich von ihm inspiriert fühlt, spielt das so wenig eine Rolle, wie die paar Millionen Eigenkapital des reichen saudischen Erben für die Finanzierung der weltweit operierenden Dschihadisten-Verbände. Davon abgesehen ist die Sache mit der finanziellen Austrocknung der Terroristen leichter gesagt als getan.
Der Finanzkrieg gegen Al Qaida & Co.
Eine der ersten Maßnahmen, die von der Regierung Bush nach den traumatischen Anschlägen auf das World Trade-Center beschlossen wurden, war eben ein rigides Vorgehen gegen die Finanzquellen, auf die Al-Qaida und andere Terrorgruppen zurückgreifen konnten. Internationale Bekräftigung erhielt der "Finanzkrieg" im Rahmen des großen Krieges gegen den Terror kurze Zeit später durch die UN-Resolutionen 1373 und - speziell auf Bin Laden und Al-Qaida zugeschnitten - 1390.
Doch knapp ein Jahr später beschied ein UN-Report in einer Zwischenbilanz der großen Trockenlegungs-Aktion nur anfänglich Erfolg: Zwar seien in den Monaten unmittelbar nach dem 11.September Vermögenswerte, die verdächtigen Mitgliedern bzw. Unterstützern von Al Qaida gehörten, in Höhe von 112 Millionen Dollar eingefroren worden, doch die Anfangserfolge ließen sich nicht verlängern; der Organisation würden weiterhin genug Finanzquellen offen stehen, die sehr schwierig aufzudecken sind. So konstatierte der Bericht, dass die Entscheidung der Gruppe Teile ihres Vermögens in Edelmetalle und Edelsteine anzulegen, die Aufgabe des Einfrierens so gut wie vereitelt hätte; darüber hinaus würden viele finanzielle Transaktionen über das informelle "Hawala-System" abgewickelt, weswegen diesen Vorgängen "beinahe unmöglich" auf die Spur zu kommen sei. Das Fazit des UN-Berichts aus dem Jahre 2002 lautete damals übrigens, dass Al-Qaida jederzeit "finanziell fit" für neue Anschläge sei....Anfang diesen Jahres wurde das UN-Gremium aufgelöst. Wegen Erfolgslosigkeit.
Genaue Zahlen über die Vermögenswerte und Geschäfte von Al Qaida & Co gibt es nicht, was allein schon am ewig ungelösten Problem liegen mag, dass keiner genau weiß, wo das Netzwerk Al-Qaida anfängt und wo es aufhört. Aber warum sich auch auf diese obskure Organisation und ihre nächsten Verwandten beschränken? Der Terrorismus ist größer als Al-Qaida und für die Finanzierung des Terrorismus hat sich eine eigene Ökonomie entwickelt - eine große globale Schattenwirtschaft, so die These der italienischen Wirtschaftswissenschaftlerin Loretta Napoleoni.
Und sie wartet mit gigantischen Zahlen auf: Mehr als 1,5 Billionen Dollar soll die "Ökonomie des Terrors" jährlich umsetzen und Napoleoni setzt der beinahe unglaublichen Schätzung noch eine weitere Ungeheuerlichkeit auf. Der Großteil dieses Geldes aus Waffen-Drogen-und Schmuggelgeschäften aller Art fließe in die westlichen Wirtschaften; es werde in den USA und Europa "recycelt". Sollte demnach der Finanzkrieg gegen den Terror den Erfolg haben, den man sich davon verspricht, dann nur um den Preis einer weltweiten Wirtschaftsdepression, so die provokante Sicht von Loretta Napoleoni.
Dass der entscheidende Erfolg des Finanzkriegs wahrscheinlich aber auf sich warten lässt, dafür sorgt unter anderem das viel zitierte System von informellen Finanz-Transaktionen, das Hawala-System.
"Fliegendes Geld" - das Hawala-System
25 bis 50% aller finanziellen Transaktionen im Nahen Osten werden verdeckt abgewickelt, zitiert Napoleoni in ihrem kürzlich erschienenen Buch "Die Ökonomie des Terrors" den früheren stellvertretenden US-Außenminister Jonathan M. Winer. Das Hawala-System bietet dafür eine patente Möglichkeit.
Interpol definiert Hawala als ein alternatives Überweisungssystem, das sich vorzüglich für Geldwäsche eignet. Die Methode ist alt, manche suchen ihren Ursprung im "fliegenden Geld"-System des alten China; andere orten die Anfänge des Systems in Indien. Tatsächlich ist das informelle Überweisungssystem vornehmlich in Südasien, in Teilen Afrikas und in arabischen Ländern zuhause, die Verzweigungen haben seit einiger Zeit auch westliche Länder erfasst.
Vor allem asiatische und afrikanische Einwanderer bzw. Fremdarbeiter benutzen das alternative Überweisungssystem "Hawala", um Geld in ihre Heimatländer zu überweisen. Die arabische Wortwurzel von Hawala wird mit "Wechsel" übersetzt; in der Hindusprache kommt noch die Bedeutung "Vertrauen" hinzu.
Und Vertrauen ist zentral für das Hawala-Geschäft, mit dessen Hilfe Geldsummen sehr viel schneller, anonymer und billiger von einem Land zum anderen überwiesen werden als über Banken - ohne dass das Geld tatsächlich bewegt wird, ohne Pässe; einziger Beleg oft nur ein Code.
Die Vereinten Nationen schätzen laut Napoleoni, dass jährlich etwa 200 Milliarden Dollar "überwiesen" werden; allein 5 Milliarden Dollar laufen in Pakistan über solche Kanäle, dort gehen mehr als 1.100 bekannte Hawaladars ihren Geschäften nach.
Das Grundmuster einer Hawala-Aktion ist einfach: statt zu einer Bank zu gehen, die für eine Überweisung von 5000 Dollar nach Quetta/Pakistan zunächst verlangt, dass ein Konto eröffnet wird, wofür allerhand Papiere beizubringen sind, um dann darauf hinzuweisen, dass es wahrscheinlich mindestens eine Woche dauert, bis das Geld als Rupien in der Hand eines Familienangehörigen landet, was schließlich auch einiges an Transfergebühr kostet, sucht ein Pakistani, der im Ausland lebt (London, Dubai, New York), besser einen "Hawaladar" auf.
Laut Interpol sind Hawaladare durch Anzeigen von In-und Export-Geschäften in Lokalblättern leicht zu finden; bestimmte Stichworte geben eindeutige Hinweise. Der Hawaladar bietet dem Kunden für die 5000 Dollar meist einen besseren Wechselkurs an als den offiziellen, zu dem die Bank verpflichtet ist; außerdem verlangt er weniger Gebühr und er kann versprechen, dass das Geld schnellstmöglich bei der Familie landet. Dazu setzt er sich via Telephon, Fax oder mail mit einem Hawaladar in Quetta in Verbindung, der den Auftrag erteilt, das Geld umgehend zur Familie zu bringen.
Das System, das hier in der einfachsten Struktur erklärt wurde, kann sehr komplexe Formen annehmen. Eine einfache Erhöhung der Komplexität bestünde zum Beispiel darin, wenn die Geldschulden in Höhe der Summe, die in Pakistan zwar ausgeliefert wurde, aber vom ausländischen Hawaladar ja nicht tatsächlich nach Pakistan verschickt worden ist, durch einen anderen Geschäftsvorgang, der damit nichts zu tun hat, beglichen wird. Im einfachsten Fall unterhalten der Hawaladar in Dubai (oder London oder New York) und der Hawaladar in Quetta direkte Geschäftsbeziehungen im Import/Export-Bereich. Die Schulden könnten dann derart beglichen werden, dass die Rechnung für gelieferte Waren beim nächsten Mal um 5000 Dollar höher ausfällt als der eigentliche Warenwert.
So groß die Möglichkeiten des Transfers im Hawala-System sind - bezahlt wird die Transfersumme nicht nur mit Geld, sondern auch mit Waren aller Art -, so undurchsichtig ist das Netzwerk, das sich mit diesem System entwickelt hat und so schwierig die Spurensuche, denn anders als Banktransfers verlangt diese Parallelwelt der Überweisungen nur minimale Belege der Transaktionen: Codes, die nur dem Sender und dem Empfänger der Transfersumme bekannt sind.
Geheimhaltung und hohes Tempo der Transaktionen sind die Vorzüge des Hawala-Systems, die Terrorgruppen am meisten schätzen. Es gibt zahlreiche Belege dafpr, dass sich islamistische Extremisten dieses Systems ausgiebig bedienen.
Loretta Napoleoni
Zu den Finanziers des Anschlags auf die amerikanischen Botschaften in Afrika 1988 gehörte übrigens auch ein pakistanischer Hawaladar.
Loretta Napoleoni: Die Ökonomie des Terrors. Auf den Spuren der Dollars hinter dem Terrorismus. Verlag Antje Kustmann, München 2004