Auf- und Abrüstung im "Ampel"-Vertrag
Die Koalitionsparteien winden sich in guten Absichtserklärungen, wollen aber Trägersysteme für Atombomben und bewaffnete Drohnen beschaffen
Ein Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen war von einer "Ampel"-Koaliton nicht zu erwarten: Die Grünen als zweitstärkste Kraft dieses Bündnisses hatten das zwar in ihrem Wahlprogramm als Ziel formuliert - da sie aber gleichzeitig Wert auf ein Bekenntnis zur Nato legten, war klar, dass sie darauf noch lange zu warten bereit sind. Denn die Nato boykottiert diesen Vertrag ebenso wie Russland, China und im Westen anerkannte "Schurkenstaaten" wie Nordkorea.
Über die Nato ist nun im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP erwartungsgemäß zu lesen: "Das transatlantische Bündnis ist zentraler Pfeiler und die Nato unverzichtbarer Teil unserer Sicherheit."
Woke Waffenbrüderschaft
Auch wenn manche Nato-Partnerstaaten durchaus als Problembären angesehen werden: "Die Türkei bleibt für uns trotz besorgniserregender innenpolitischer Entwicklungen und außenpolitischer Spannungen ein wichtiger Nachbar der EU und Partner in der Nato", heißt es auf Seite 154.
Begründet wird das auch mit der "großen Anzahl von Menschen mit biografischen Wurzeln in der Türkei", die in Deutschland leben, was "eine besondere Nähe zwischen unseren Ländern" schaffe.
Es werden also Menschen im politischen Asyl und solche, die es beantragt haben, weil sie in der Türkei als Oppositionelle verfolgt wurden, aber auch türkischstämmige "Normalos" einfach mal mit türkischen Nationalisten in einen Topf geworfen, um die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft im Rahmen der Nato irgendwie netter und "woke" erscheinen zu lassen.
Besonders zynisch dürfte das auf einige hier lebende Kurdinnen und Kurden wirken, die ja auch biografische Wurzeln in der Türkei als Staatsgebiet haben - inklusive Diskriminierungserfahrungen - und zu großen Teilen politisch eher links und in Opposition zur türkischen Regierung stehen.
Beobachterstatus
Aber zurück zu den Atomwaffen: Die mag man natürlich nicht; die will man eigentlich abschaffen - aber nicht um den Preis, sich schnellstmöglich von "nuklearen Teilhabe" im Rahmen der Nato zu verabschieden, was die Voraussetzung für den Beitritt zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag wäre.
Statt sich konkret zum weiteren Umgang mit US-Atomwaffen auf dem Luftwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel zu äußern, ergehen sich die "Ampel"-Parteien in Phrasen wie "Wir brauchen eine abrüstungspolitische Offensive und wollen eine führende Rolle bei der Stärkung internationaler Abrüstungsinitiativen und Nichtverbreitungsregimes einnehmen." Das Ziel bleibe "eine atomwaffenfreie Welt".
Statt dem Verbotsvertrag beizutreten, will die designierte neue Bundesregierung "in enger Absprache mit unseren Alliierten" als Beobachter an der Vertragsstaatenkonferenz teilnehmen. Von der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages im kommenden Jahr soll ein "wichtiger Impuls für die nukleare Abrüstung" ausgehen.
Gleichzeitig haben die "Ampel"-Parteien kein größeres Problem mit der Beschaffung von Trägersystemen für in Deutschland gelagerte Atombomben. So heißt es im Koalitionsvertrag auch:
Wir werden zu Beginn der 20. Legislaturperiode ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado beschaffen. Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe Deutschlands werden wir sachlich und gewissenhaft begleiten.
Koalitionsvertrag "Mehr Fortschritt wagen", S. 149
Zur Erinnerung: Der UN-Atomwaffenverbotsvertrag war am 22. Januar dieses Jahres in Kraft getreten, nachdem er von 50 der 122 Staaten, die im Juli 2017 für ihn gestimmt hatten, auch ratifiziert worden war.
Hinzu kommt im Koalitionsvertrag "grünes Licht" auch für die Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr:
Bewaffnete Drohnen können zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beitragen. Unter verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten werden wir daher die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr in dieser Legislaturperiode ermöglichen.
Koalitionsvertrag "Mehr Fortschritt wagen", ebenda
Versichert wird allerdings, dass deren Einsatz im Rahmen des Völkerrechts erfolgen soll und extralegale Tötungen abgelehnt werden.
Das Verteidigungsressort wird gemäß der Vereinbarungen vom Seniorpartner SPD besetzt. Zu Personalien wollte sich der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz offiziell noch nicht äußern, bevor seine Partei den am Mittwoch vorgestellten Koalitionsvertrag abgesegnet hat. Dies soll auf einem Parteitag am 4. Dezember geschehen.
Als unsicherer gilt die Zustimmung der Grünen-Basis. Denn die Parteinachwuchsorganisation Grüne Jugend will am Samstagnachmittag eine Empfehlung an die eigenen 18.032 Mitglieder herausgeben, von denen 12.480 auch Parteimitglieder sind.
"Gerade bewerten wir den Koalitionsvertrag noch intern und beraten uns in verschiedenen Gremien", erklärte der Pressesprecher der Grünen Jugend, Paul Wunderlich, an diesem Donnerstag gegenüber Telepolis. Bundessprecherin Sarah-Lee Heinrich hatte am Mittwoch in einer ersten kurzen Stellungnahme via Twitter zumindest sozialpolitische Aspekte des Koalitionsvertrags kritisiert, da Hartz IV nur in "Bürgergeld" umbenannt wird, ohne die Regelsätze zu erhöhen, "obwohl man weiß, dass sie deutlich unter dem Existenzminimum liegen".
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.