"Aufstand für Frieden" in Berlin: Wagenknecht gegen "Kriegsbesoffenheit"

Die Angst vor einer Ausweitung des Krieges trieb Zehntausende auf die Straße. Foto: Claudia Wangerin

Großkundgebung am Brandenburger Tor: Zehntausende für Diplomatie, nicht alle gegen Waffenlieferungen. Nationalsymbole unerwünscht, dafür Friedens- und Regenbogenfahnen.

Der behördliche Auflagenbescheid schloss nur bestimmte Nationalfahnen vom "Aufstand für den Frieden" an diesem Samstag am Brandenburger Tor aus – etwa die der Russischen Föderation und die von Belarus, allerdings auch Symbole der Sowjetunion, die mit dem aktuellen russischen Angriffskrieg nichts zu tun hat. Nationalfahnen waren aber auf der Großkundgebung generell unerwünscht – einschließlich der deutschen Flagge.

Darauf machten Ordner aufmerksam, als sich der Platz schon eine halbe Stunde vor Beginn der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer beworbenen Protestaktion zu füllen begann.

Vor allem weiße Friedenstauben auf blauem Grund und regenbogenfarbene Pace-Fahnen waren im Schneeregen zu sehen. "Ihr seht fantastisch aus", begrüßte die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Die Linke) gegen 14 Uhr die Teilnehmenden – es seien um 50.000. Die Polizei sprach von 13.000 Teilnehmern.

Das "Manifest für Frieden" von Wagenknecht und Schwarzer war auf der Plattform change.org mehr als 640.000 mal unterzeichnet worden. Darin wird nicht viel mehr gefordert als eine diplomatische Initiative für einen Waffenstillstand in der Ukraine, Friedensverhandlungen – und ein Stopp der "Eskalation der Waffenlieferungen".

Emma-Gründerin Alice Schwarzer stellte auf der Bühne noch einmal klar, dass auch sie nicht grundsätzlich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ist. Sie nannte es "durchaus richtig, den von Russland brutal überfallen Ukrainern mit Waffen zur Seite zu stehen – zunächst, um sich zu verteidigen". Es sei aber auch richtig, "nach einem Jahr Tod und Verwüstung nach dem Ziel dieses Krieges zu fragen und nach seiner Verhältnismäßigkeit".

Wagenknecht: Gefahr einer Ausweitung des Krieges "verdammt groß"

Die Linke-Politikerin Wagenknecht betonte, es gehe darum, "das furchtbare Leid und das Sterben in der Ukraine zu beenden". Statt "einen endlosen Abnutzungskrieg mit immer neuen Waffen zu munitionieren", sei es Zeit für Verhandlungen. Dabei gelte es auch, die Gefahr einer Ausweitung des Krieges auf ganz Europa und womöglich die Welt zu bannen, denn dieses Risiko sei "verdammt groß".

Der Ex-General Erich Vad sprach sich auf der Bühne für "ein Ende der Kriegsrhetorik in Deutschland", einen Ausstieg aus der militärischen Eskalation und den baldigen Beginn von Verhandlungen aus. Der von Russland ausgelöste völkerrechtswidrige Angriffskrieg sei nach einem Jahr zu einem Abnutzungskrieg geworden, was bedeute, dass es keine vernünftige militärische Lösung mehr gebe.

Es sei "naiv zu glauben, man könne Russland militärisch ohne Nuklearkrieg besiegen", betonte Vad, nachdem tagelang den Initiatorinnen der Kundgebung Naivität vorgeworfen worden war, weil sie glaubten, mit dem russischen Präsidenten Putin könne verhandelt werden.

Wagenknecht ging in ihrer Rede auch auf den Vorwurf der fehlenden Abgrenzung nach rechts ein und sagte, es verstehe sich von selbst, dass Neonazis und Reichsbürger auf einer Friedenskundgebung nichts zu suchen hätten. Schließlich stünden sie in der Tradition von Regimen, von denen die schlimmsten Kriege seit Menschengedenken ausgegangen seien.

Allerdings widersprach Wagenknecht deutlich dem Framing, dass heutzutage der Ruf nach Frieden und Diplomatie rechts sei – und "Kriegsbesoffenheit" links. Wer Friedensbewegten "Rechtsoffenheit" vorwerfe, sich aber selbst mit Verehrern des ukrainischen Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera gemein mache, solle sich an die eigene Nase fassen, sagte Wagenknecht mit Blick auf den ukrainischen Ex-Botschafter in Deutschland und jetzigen Vize-Außenminister der Ukraine, Andrij Melnyk.

Der Umstand, dass auch AfD und Reichsbürger momentan keinen Krieg mit Russland wollen – wohl auch aufgrund des Kräfteverhältnisses und weil Deutschland in der Nato nicht die Führungsrolle hat, die sie sich wünschen – hatte auf Seiten der Friedensbewegten eine scharfe Abgrenzung gegen diese Kräfte notwendig gemacht.

"Hör auf zu stalken": Abgrenzung gegen Rechts an Ort und Stelle

Vielen Linken waren Wagenknechts Aussagen in Interviews diesbezüglich zu unscharf. So gab es zum "Aufstand für den Frieden" kleinere Gegenkundgebungen von sich links verortenden Gruppen – und Unterwanderungsversuche von Rechten.

Kurz vor Beginn der Großkundgebung hatte Sevim Dagdelen als Versammlungsleiterin einer Gruppe um den Chefredakteur des ultrarechten Compact-Magazins, Jürgen Elsässer, klargemacht, dass sie unerwünscht seien: "Ihr seid Störenfriede", hatte sie gesagt, und die Polizei gebeten, Elsässer auszuschließen. Die Beamten waren jedoch der Auffassung, es gebe keine Handhabe für einen Platzverweis.

Elsässer hatte vor wenigen Tagen dazu aufgerufen, die Kundgebung mit Deutschlandfahnen zu "fluten". Auf der Homepage der Veranstalterinnen war dann zu lesen: "Auf der Demo gilt folgender Konsens: Wir bitten auf das Mitbringen von Parteifahnen und Nationalfahnen jeder Art zu verzichten. Rechtsextreme Flaggen, Embleme und Symbole haben auf unserer Kundgebung keinen Platz."

Als Störer verstand sich Elsässer allerdings nicht. Stattdessen berief er sich auf die Interview-Aussage von Wagenknecht, alle, "die reinen Herzens für den Frieden demonstrieren wollen", seien willkommen. Das nahm ihm hier allerdings keiner der Verantwortlichen ab. Die Polizei verhinderte aber letztendlich ein Abdrängen.

"Hör auf zu stalken", rief ein Ordner ihm zu, als Elsässer später – isoliert und faktisch von der Polizei geschützt – mit einer Handvoll Gefolgsleuten und "Ami Go Home"-Transparent am Rand der Versammlung stand. Verdeckt wurde diese Botschaft zeitweise von linken Friedensfreunden durch ein Transparent, auf dem "Refugees welcome" stand und Asyl für russische Deserteure gefordert wurde.

Vor ihn und sein Grüppchen hatten sich Demoteilnehmer gestellt, die "Nazis raus" riefen und Schilder mit dem Schriftzug "Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus – Mit AfD und Co. ist kein Frieden zu machen – Nein zu Aufrüstung und Militarismus" sowie dem Logo der Partei Die Linke hochhielten. Der Vorstand der Linkspartei, der auch Wagenknecht angehört, hatte nicht zu der Kundgebung aufgerufen, wohl aber manche Parteigliederungen.

Personen aus dem rechten Spektrum waren teils auch unerkannt gekommen. Es gelang ihnen aber keineswegs, der Kundgebung ihren Stempel aufzudrücken. Die AfD verkündete kurz vor dem Ende der Veranstaltung via Twitter, dass ihr sächsischer Landeschef Jörg Urban mit einem Friedenstauben-Schild anwesend sei – und teilte dazu ein Foto, auf dem er mit grauer Mütze in der Menschenmenge das Schild hochhält.

Die Parole "Ami Go Home" führten allerdings auch einzelne Demoteilnehmer mit, die sich nicht unbedingt rechts verorten und den Slogan vom Alter her vielleicht schon seit dem Vietnam-Krieg nutzen.

Für Teile des in der Friedensfrage sehr heterogenen Antifa-Spektrums schien von vornherein klar zu sein, dass sich hier eine "Querfront" von "Friedensschwurblern" mit Neonazis formieren würde. Einzelne Aktivisten waren deshalb sogar stolz darauf, die Anreise zur Kundgebung von Wagenknecht und Schwarzer sabotiert zu haben, indem sie im Internet vorgaben, Busse und Mitfahrgelegenheiten zu organisieren, die es dann gar nicht gab. Betroffen waren laut einem Bekenner-Tweet Anreisewillige aus Düsseldorf, Bremen und Wernigerode.

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