Bachmut: Sterben für einen symbolischen Sieg?

Ukrainischer Schützengraben bei Bachmut. Bild: Viktor Borinets, CC BY 4.0

Themen des Tages: Warum Wagner-Söldner wohl doch nicht desertieren. Wer für Angriffskriege zahlt. Und wie die Schlacht um eine Ruinenstadt den Irrsinn des Ukraine-Krieges verdeutlicht.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Nicht nur die Ukraine verlangt Geld vom Aggressor, sondern auch Polen und Griechenland.

2. Zu den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines gibt es neue Thesen.

3. Und auf Seite 2 lesen Sie: Wofür im ukrainischen Bachmut gekämpft und gestorben wird.

Doch der Reihe nach.

Russland: Streit um Bachmut

In russischen Medien, schrieb Telepolis-Autor Bernhard Gulka am Dienstag, herrsche kein erkennbarer Zweifel an der baldigen Eroberung der seit zehn Monaten umkämpften Stadt Bachmut, für die die Russen noch die sowjetische Bezeichnung Artjomowsk verwenden. Gemeinhin verbreite auch der kremlnahe Oligarch Jewgeni Prigoschin, Gründer der in der Stadt eingesetzten russischen Söldnertruppe PMC Wagner, Zuversicht und Erfolgsmeldungen.

Angesichts des zähen russischen Vorrückens trotz erheblicher Verluste auf beiden Seiten liegen aber wohl auch bei Prigoschin die Nerven blank. Ungewöhnlich hart kritisierte er nun öffentlich das Fehlen von Munition seiner Angriffstruppen – und ließ sich dabei zu der Bemerkung hinreißen, ohne seine Wagner-PMC-Leute bei Bachmut würde die gesamte russische Front zusammenbrechen.

Reparationen nach Angriffskrieg: Wer zahlt, wer zahlt nicht?

Telepolis-Korrespondent Wassilis Aswestopoulos berichtet über Reparationsforderungen der Ukraine an Russland. Die UN habe dazu bereits eine Resolution verabschiedet. Wie die Zahlungen durchgesetzt werden können, sei jedoch unklar. Aswestopoulos: "Wenn sich schon Deutschland so sehr gegen die Zahlung von Reparationen sträubt, wie wird dann erst Russland unter Wladimir Putin handeln?"

Um einen etwas älteren Angriffskrieg handelt es sich beim Anspruch Griechenlands und Polens auf deutsche Reparationen. Polen fordert 1,3 Billionen Euro von Deutschland und holt sich wie Griechenland, die Weigerung der deutschen Außenministerin über das Thema zu diskutieren ab. Die griechischen Forderungen erscheinen im Vergleich geringer. Sie werden, seit 1981 immer wieder zur Sprache gebracht und seit der deutschen Einheit bei jeder Gelegenheit erhoben, auch beim Staatsbesuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in Athen im Oktober 2022. Zwischen 269 Milliarden und 332 Milliarden Euro soll Deutschland Griechenland schulden.

Neue Thesen zu Nord-Stream-Anschlägen

Über das Rätsel der Explosionen an den beiden Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 berichtet am heutigen Mittwochmorgen Telepolis-Autor Bernd Müller. Anfang Februar hatte der US-Enthüllungsjournalist Seymour Hersh einen Artikel dazu veröffentlicht. Laut Hersh seien die Gasleitungen auf Anweisung von US-Präsident Joe Biden gesprengt worden.

Deutsche Medien und die New York Times (NYT) veröffentlichten am Dienstag die Ergebnisse eigener Recherchen. Demnach stecke eine pro-ukrainische Gruppe hinter den Anschlägen. Ob es eine Verbindung zu den ukrainischen Behörden gibt oder ob der Auftrag womöglich von ihnen erteilt wurde, ist noch strittig. Laut NYT halten US-Beamte das für möglich.

Die Recherche steht im Widerspruch zur bisherigen Darstellung westlicher Staaten und Geheimdienste, der zufolge nur ein Staat über die militärischen und geheimdienstlichen Kapazitäten für eine derartige Sabotageaktion verfüge.

Die Schlacht von Bachmut und die Moral

Der Kampf um das ukrainische Bachmut im Oblast Donezk zeigt den Irrsinn des Krieges der russischen Armee gegen die Ukraine. Zugleich sind westliche Befürworter einer weiteren und stärkeren militärischen Konfrontation mit den Invasoren bemüht, den blutigen Schrecken dieser Schlacht zu verbrämen.

Es laufe, heißt es dann, ein "Abnutzungskrieg" und eine "Materialschlacht" um die Reste der einstigen 74.000-Einwohner-Stadt. Es sind technische Begriffe, die verschleiern sollen, welche Dimensionen dieser Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der Nato auf ukrainischem Boden angenommen hat.

Wie viele Soldaten von beiden Seiten in den Tod geschickt werden, ist unklar. 500 sollen es auf russischer Seite täglich sein, heißt es aus Kiew, womit die Angabe als Propaganda gelten darf. Die Verluste auf russischer Seite seien fünf bis sieben Mal höher als bei den ukrainischen Verteidigern. Klar ist: Es läuft ein brutaler Stellungskrieg, der inzwischen nicht ohne Grund mit Verdun im Ersten Weltkrieg verglichen wird.

Der Kriegsberichterstatter Paul Ronzheimer schreibt, dass zum Umgang mit Bachmut ein offener Streit zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dem einflussreichen General Walerij Saluschnyj entbrannt sei.

Ein Rückzug aus der zerstörten Stadt wäre nicht kriegsentscheidend, so der General. Erst mit Russlands Fokussierung auf Bachmut und dem Einsatz tausender "Wagner"-Söldner habe der Ort eine symbolische Bedeutung erlangt. Selenskyj hatte die Stadt im Dezember zur "Festung" erklärt.

In den USA werden nun andere Stimmen laut. US-Vertreter drängten die Ukraine, von dem Stellungskrieg abzulassen, um sich auf eine mögliche Offensive im Süden vorzubereiten. Dabei solle stärker militärisches Gerät aus dem Westen genutzt werden, um weitere hohe Verluste zu vermeiden.

"Es ist ein brutaler und zermürbender Kampf", zitiert der US-Nachrichtensender CNN einen Geheimdienstbeamten. Jede Seite erobere wechselseitig zwischen 100 und 400 Metern Land pro Tag, zugleich würden täglich mehrere tausend Artilleriegranaten verschossen. Dabei sei Bachmut militärisch "weniger attraktiv", zumal die Infrastruktur fast völlig zerstört sei.

Sterben für einen möglichen symbolischen Sieg? Der Fall Bachmut zeigt das moralische Dilemma dieses Krieges, dem zu stellen sich Befürworter einer bedingungslosen militärischen Unterstützung der ukrainischen Regierung und Armee bislang verweigern.

Wer mit Verweis auf die offenbar immensen Todeszahlen dieser und anderer Schlachten eine diplomatische Lösung fordert, riskiert indes, als Befürworter der Invasoren abgekanzelt zu werden.

Dahinter steht maßgeblich die von Nato-Staaten beworbene Hoffnung, dass die Ukraine die russischen Truppen zurückdrängen und Moskau unter Druck setzen kann. Doch bislang weist wenig darauf hin, dass diese Strategie aufgeht.

Wenn sich diese Erkenntnis dereinst aber durchsetzt: Wofür sind die Soldaten in Bachmut dann gestorben? Und wer trägt die moralische Verantwortung für ihren Tod?

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