Bachmut wird selbst russischen Militärs zu brutal

Seite 2: Schlacht um Bachmut: Ohne Rücksicht auf Verluste

Der Krieg in der Ukraine ist auch ein privates Wirtschaftsprojekt. Auf Seite der russischen Angreifer ganz vorn mit dabei: Das Militärunternehmen Wagner. Stolz hat Söldnerchef Jewgeni Prigoschin immer wieder Erfolge für sich und sein Land reklamiert.

Nun möchte Kiew offenbar Rache üben: Die ukrainische Armee soll Söldnertruppe ins Visier genommen haben. Laut Oleksandr Syrskyj, Kommandeur der ukrainischen Bodentruppen, planen die Verteidiger es in dem umkämpften Bachmut bald eine Gegenoffensive gegen die "abgekämpften" Wagner-Kämpfer.

Dass sich die Einnahme der Stadt als schwierig gestaltet, ist inzwischen selbst in den russischen Medien nicht mehr zu leugnen. Prigoschin räumte nun ein, dass "diese Schlacht leider auch das PMC Wagner schwer in Mitleidenschaft gezogen hat." PMC ist die englischsprachige Abkürzung für "private military company": privates Militärunternehmen.

Trotz der offensichtlichen Verluste zeigte sich Söldnerchef Prigoschin siegessicher: "Die Schlacht um Bachmut ist schon im vergangenen Sommer geplant worden, und wir gehen systematisch vor." Es folgte die übliche Siegesrhetorik. Die ukrainische Armee sei während der Kämpfe "praktisch ausgelöscht" worden. Im Übrigen werde ein Sieg seiner Truppe gegen die ukrainischen Streitkräfte "die größte Errungenschaft der Geschichte" sein. Dank seiner Hilfe werde am Ende nur noch die russische Armee auf dem Schachbrett verbleiben, "und alle anderen Figuren geschlagen sein".

In dem Maße wie der Konflikt privatisiert wird, wandelt sich die Propaganda zur Öffentlichkeitsarbeit der beteiligten Kriegsgewinnler.

Das in Washington ansässige Institute for the Study of War geht davon aus, dass Wagners Truppen das Stahlwerk AZOM nördlich von Bachmut besetzen und ihre Stellungen ausbauen konnten. Dies belege ein Video vom 26. März, das einen Korrespondenten der russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti zeige, der sich frei auf dem Werksgelände bewege. Wagner plane nun, auch den Westteil der Stadt zu übernehmen.

Trotz der "schwierigen Lage", wie es in Kiew immer wieder heißt, fordert der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, das ostukrainische Bachmut um jeden Preis zu verteidigen. Sollte Russland die Stadt erobern, würde Moskau dies nutzen, um internationale Unterstützung für ein Abkommen zu gewinnen, das der Ukraine unannehmbare Kompromisse abverlangen könnte, sagte Selenskyj der Nachrichtenagentur Associated Press. Gleichzeitig lud er den chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping, einen langjährigen Verbündeten Russlands, nach Kiew ein.

Zur Lage in Bachmut sieht Selenskyj keine Alternative: Sollte die Stadt von russischen Streitkräften eingenommen werden, werde Russlands Präsident Wladimir Putin "diesen Sieg gegenüber dem Westen, seiner Gesellschaft, China und dem Iran" ausschlachten. "Wenn er Blut riecht, wenn er spürt, dass wir schwach sind, wird er drängen, drängen, drängen", sagte Selenskyj.

Wie viele Menschen beider Seiten freiwillig nach Bachmut in den Tod gezogen sind oder per Marschbefehl gezwungen wurden, ist Gegenstand heftiger Propaganda. In westlichen Medien werden oft Angaben aus Kiew wiedergegeben, zuletzt sollen laut ukrainischem Generalstab 610 russische Soldaten an einem Tag gefallen sein. Wer die ukrainischen Verluste thematisiert, gerät schon mal in den Verdacht "russischer Propaganda".

Und doch: Im Januar berichtete der Spiegel unter Berufung auf BND-Informationen, die ukrainische Armee habe in den Kämpfen um Bachmut zu diesem Zeitpunkt täglich eine dreistellige Zahl von Soldaten verloren.

Der im Westen oft verdrängte Schrecken des Stellungskrieges wird durch solche Zahlen kaum deutlich. Kürzlich wies Telepolis-Autor Christoph Marischka auf einen seltenen Frontbericht im Kyiv Independent hin. Eindrucksvoll ist auch ein Text aus dem Wall Street Journal, der die Knochenmühle Bachmut beschreibt. Darin:

Kein Militär in einer demokratischen Gesellschaft kann auf Dauer Welle um Welle von Soldaten in den fast sicheren Tod schicken, nur um ein paar hundert Meter zu gewinnen. Selbst die für ihre hohe Opferbereitschaft bekannten russischen Streitkräfte schrecken davor zurück, Truppen in eindeutig selbstmörderische Einsätze zu schicken. Doch genau dieses Vorgehen ermöglichte es Wagner nun, kurz vor der Eroberung von Bachmut zu stehen, allerdings zu einem Preis, den ukrainische und westliche Regierungsvertreter auf Zehntausende Tote schätzen.

Russia’s Wagner Troops Exhaust Ukrainian Forces in Bakhmut, Wall Street Journal, 05.03.2023

Eines Tages, wenn die Nebel des Krieges verloren sind, werden wir vielleicht erfahren, wie viele Menschen die Schlacht um Bachmut mit ihrem Leben bezahlt haben. Und, ob sich dieses Ringen um einen politischen Sieg gelohnt hat.

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