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Bananenrepublik Sachsen

Energie- und Klimawochenschau: Waldbrände, verheerende Niederschläge, extreme Hitze und Sachsens Polizei im Kampf gegen junge Klimaschützer

Und wieder eine Woche, in der vielerorts das Wetter ziemlich verrückt spielte. In Süd- und Westdeutschland laufen die Keller voll, in Franken verwandeln sich Bäche in reißende Ströme [1] und anderswo wird unter extremer Hitze gestöhnt und gegen Waldbrände gekämpft.

Im US-Bundesstaat Kalifornien gibt es einen so unwirtlichen, wüsten Ort, dass man ihn "Tal des Todes" nennt: Death Valley [2]. Dort wurden am Samstag 56 Grad Celsius gemessen [3], berichtete das ZDF. Allerdings scheint es sich nur um einen momentanen Ausreißer gehandelt zu haben.

In den Daten [4] der regulären Messstation - wie man hier [5] sehen kann, eine dem internationalen Standard entsprechende Anlage - zeigte sich ein Maximalwert von 130 Fahrenheit (54,44 Grad Celsius), was immer noch ein neuer Rekord gewesen wäre.

Aber auf jeden Fall muss diese Messung noch auf Korrektheit und Konsistenz mit anderen Messungen in der Umgebung überprüft werden, bevor sie als neuer Weltrekord gelten kann. Das wird gewöhnlich von internationalen Expertenteams übernommen und kann einige Monate oder auch mal zwei Jahre dauern.

Sollte der Wert bestätigt werden, wäre es ein neuer Höchstwert in der Geschichte der Wetteraufzeichnung, eine Lufttemperatur, die weit jenseits dessen liegt, was Menschen ohne besonderen Schutz und künstliche Kühlung auf Dauer ertragen können.

Hitzewelle als Folge des Klimawandels

Aber auch von diesem einen Rekordwert abgesehen, ist vollkommen klar, dass die US-Westküste unter einer erneuten extremen Hitzewelle leidet. An einigen Stationen im Süden Kaliforniens ist das Thermometer seit rund einem Monat nicht mehr unter 20 Grad gefallen, und tagsüber werden oft Werte von 40 Grad und mehr erreicht.

"Seit dem ersten Juni", schreibt [6] der US-Wetterdienst auf Twitter über die vorangegangene Welle, "wurden an mindestens 67 Wetterstationen mit langen Aufzeichnungen, die 75 Jahre und mehr zurückreichen, alte Rekorde erreicht oder neue aufgestellt. Die meisten davon während der ungewöhnlichen Hitzewelle Ende Juni".

Über die Juni-Hitze heißt es [7] bei der Weltorganisation für Meteorologie in Genf, dass sie ohne die zusätzlichen Treibhausgase in der Atmosphäre praktisch unmöglich gewesen wäre. Eine Analyse eines internationalen Teams von Klimawissenschaftlern habe ergeben, dass Hitzewellen wie die Ende Juni entlang der kanadischen und US-amerikanischen Pazifikküste beobachtete durch den erhöhten CO2-Gehalt der Luft um mindestens das 150-fache wahrscheinlicher geworden ist.

Hier [8] hat das Magazin Times beschrieben, wie die Analyse [9] zustande kam.

Neue lokale Hitzerekorde wurden am vergangenen Wochenende auch in Marokko aufgestellt, meldet [10] der dortige Wetterdienst. Der höchste mit 49,6 Grad Celsius im Norden des Landes in Sidi Slimane. Dort war der bisherige Rekord von 49 Grad am 23. Juli 1995 registriert worden.

Auch weite Teile Nordosteuropas stöhnen unter einer ungewöhnlichen Hitze. In Skandinavien wurden nördlich des Polarkreises Anfang des Monats Temperaturen von über 30 Grad gemessen. Die Temperaturen würden vielfach zehn bis 15 Grad Celsius über dem für diese Jahreszeit Normalen liegen, schreibt [11] der schottische Meteorologe Scott Duncan auf Twitter.

Verheerende Brände

Zur Hitze gesellt sich an der Pazifikküste Nordamerikas das Ausbleiben der Niederschläge und das Ergebnis ist eine große Trockenheit, die die Waldbrandgefahr drastisch erhöht. Allein im südlichen Oregon, dem nördlich an Kalifornien anschließenden US-Bundesstaat, hat ein einziges Feuer, das "Bootleg Fire", bisher 58.000 Hektar, 580 Quadratkilometer, zerstört. Auch weiter nördlich in Kanada steht, wie berichtet [12], mancherorts der Wald in Flammen.

Der Spiegel schreibt am gestrigen Dienstag von Hunderten Feuern [13], die im Westen der USA und Kanadas brennen würden. Der Berliner Tagesspiegel vermeldet [14], dass dort "mehr als eine Million Hektar Land in Flammen" stünden, also über 10.000 Quadratkilometer.

Und eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht: Die Vorhersagekarten [15] der Meteorologen sehen auch für die nächsten zehn Tage so gut wie keine Aussicht auf Regen in den Küstenregionen zwischen dem Golf von Kalifornien in Nordwestmexiko und British Columbia in Westkanada.

Wälder brennen derweil unter anderem auch in Sibirien [16], wo laut Reuters 800.000 Hektar in Flammen stehen oder bereits verbrannt sind, in Griechenland, wo laut [17] der Zeitung Ekathimirini zu Anfang der Woche binnen 24 Stunden 43 Brände ausbrachen, in Zimbabwe [18] und im brasilianischen Amazonasbecken, wo nach Angaben [19] der Zeitung Folha de S.Paulo die schlimmsten Feuer seit 2007 wüten.

... und verheerende Niederschläge

Anderswo kämpfte man letzte Woche dagegen mit enormen Wassermassen. Zum Beispiel in den USA, wo Überbleibsel [20] von Hurrikan "Elsa" die Ostküste hinauf zogen. Zuvor hatte "Elsa" in Florida [21] und auf Kuba [22] für zerstörerische Wolkenbrüche gesorgt.

Schwere Überschwemmungen gab es letzte Woche auch in Schottlands Hauptstadt Edinburgh [23] sowie den benachbarten Städten und in Pakistan [24] an der Grenze zu Afghanistan.

Auch im südlichen Japan [25] traten am Wochenende Flüsse über die Ufer, nach dem unweit von Tokio schon Anfang Juli mehrere Menschen bei schweren Erdrutschen ums Leben kamen. Ursache waren auch in dem Fall heftige Regenfälle [26].

Erdrutsche sind in dem bergigen und zeitweise regenreichen Land keine Seltenheit, doch der offizielle Klimabericht des Wissenschaftsministeriums und des japanischen Wetterdienstes warnt [27], dass sich diese Ereignisse durch die globale Erwärmung häufen und intensivieren werden. Die Zahl der Regentage habe zwar ab-, die der mit schwerem Niederschlag von über 100 Millimeter pro Tag jedoch zugenommen, heißt es [28] in einem früheren Bericht der Regierung aus dem Jahre 2018.

Derart schwere Niederschläge sind problematisch, weil Bäche und Flüsse das Wasser nicht schnell genug abführen können. Das Ergebnis sind Überschwemmungen oder auch Hangrutsche, wenn der Boden mit Wasser übersättigt wird.

Blockade gegen Klimazerstörer

Die Klimakrise klopft also allenthalben an die Tür, und die Ursachen der Veränderungen sind schon sehr lang bekannt [29]. Doch im starken Kontrast steht dazu, der Umgang mit jungen Klimaschützern hierzulande.

Am Wochenende fand am Flughafen Leipzig-Halle eine Sitzblockade statt. Die Aktion war angemeldet und friedlich, so jedenfalls die Berichte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Sie richtete sich gegen den klimaschädlichen Luftverkehr im allgemeinen und gegen den von der DHL - der privatisierten einstigen Deutschen Post - betriebenen Ausbau des dortigen Frachtflughafens.

"Ein Flughafenausbau während der Klimakrise ist eine Katastrophe", heißt es in einer auf Twitter verbreiteten Stellungnahme der Demonstranten [30]. Auch die Tatsache, dass Leipzig-Halle eine wichtige Drehscheibe für die Abschiebungen auf den afghanischen Kriegsschauplatz ist, wurde von den Protestierenden kritisiert. Ebenso, dass die osteuropäischen Arbeiter bei DHL zu "katastrophalen Arbeitsbedingungen" und schlecht bezahlt beschäftigt sind. Deshalb habe man Freitagnacht eine LKW-Zufahrt zum Flughafen blockiert.

Auch bei den Anwohnern ist der Airport unbeliebt. Unter anderem engagiert sich seit Jahren eine nach eigenen Angaben 400 Mitglieder zählende Bürgerinitiative [31] für ein Nachtflugverbot. Auch "eine Vielzahl (anderer) Initiativen und Organisationen haben sich in der Region Leipzig/Halle aufgrund der Missstände am Flughafen in Schkeuditz gegründet", heißt es bei der IG Nachtflugverbot.

7.000 Einwendungen im Planungsverfahren um die Flughafenerweiterung und 11.000 Unterschriften unter eine entsprechende Petition [32] hatte es gegeben. Ohne Erfolg, schreibt das Neue Deutschland (ND) am gestrigen Dienstag über den Protest.

Nun sollen aus 80.000 und 130.000 Starts und Landungen im Jahr werden. Doch trotz des offensichtlichen Rückhalts in der Bevölkerung [33] reagierte die Polizei Freitagnacht mit aller Härte auf die friedliche Blockade. Als die Versammlung aufgelöst wird und die rund 80 Beteiligten abziehen wollen, werden sie von der Polizei eingekesselt.

Nach Angaben sowohl der Teilnehmer in verschiedenen Twitter-Beiträgen als auch des Landtagsabgeordneten der Linkspartei Marco Böhme, der Zeuge der Aktion war und vom ND zitiert wird, war die Blockade als Spontanversammlung angezeigt und von der Versammlungsbehörde ohne Auflagen genehmigt worden. Doch nun ist auf einmal von Nötigung die Rede.

DHL hatte noch in der Nacht eine Schadensersatzanzeige gestellt und macht Verluste in Höhe von 1,5 Millionen Euro geltend. Da die Demonstrierenden zunächst die Herausgabe der Personalien verweigerten, wurden sie in eine Gefangenensammelstelle gebracht und dort weit über 24 Stunden hinaus festgehalten. Schließlich wird sogar mit Untersuchungshaft gedroht. Zum Teil sei ihnen Essen, Getränke, Medikamente und auch der Toilettengang verweigert worden, heißt es in der oben erwähnten Stellungnahme auf Twitter. (Hier [34] die Schilderung einer Betroffenen.)

Es habe massive Schikanen, sexistische Kommentare gegen Frauen und gezielte Einschüchterung gegenüber jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern gegeben. Viele hätten stundenlang in Unterwäsche in kalten Zellen ausharren müssen. Auch hätten zum Teil die Corona-Schutzmaßnahmen nicht eingehalten werden können. Schließlich seien auch noch 30 Aktivistinnen und Aktivisten gegen deren Willen DNA-Proben entnommen worden.

Das alles, wohlgemerkt, um etwaige zivilrechtliche Ansprüche von DHL durchsetzen zu können. Dass eine Blockade - die zumal genehmigt war - nicht als Nötigung bewertet werden kann, wie von der Polizei offenbar im Nachhinein versucht, hatten bundesdeutsche Gerichte schon in den 1980er Jahren anlässlich von Protesten der Friedensbewegung klargestellt.

Dennoch wurde von der Landespolitik angesichts der massiven Repression noch nachgekartet. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) streute die Falschmeldung, es habe seitens der Demonstranten Gewalt gegen Personen und Sachen gegeben, und sein Koalitionspartner von der SPD sah den freien Welthandel in Gefahr. Nur bei den ebenfalls mitregierenden Grünen scheint man noch nicht ganz die Maßstäbe verloren zu haben.

Wenn Polizei, Staatsanwaltschaft, SPD und CDU legitime Proteste gegen den Ausbau des Frachtflughafen Leipzig kriminalisieren, um private Interessen von Wirtschaftsunternehmen zu schützen, zeigt dies ein Demokratieverständnis, das dem einer Bananenrepublik gleicht.

Norman Volger, Landesvorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen, MDR [35]

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https://www.heise.de/-6137062

Links in diesem Artikel:
[1] https://twitter.com/depperla/status/1413746797734936577?s=20
[2] https://www.nps.gov/deva/index.htm
[3] https://twitter.com/ZDFheute/status/1414616656911998983?s=20
[4] https://hads.ncep.noaa.gov/nexhads2/jsp/interactiveDisplays/createChart.jsp?nesdis_id=19021366&nwsli=DEVC1&pe_code=VJD
[5] https://twitter.com/DrJeffMasters/status/1413692436174548993?s=20
[6] https://twitter.com/NWSWPC/status/1414635183068749825?s=20
[7] https://public.wmo.int/en/media/news/north-america-heatwave-almost-impossible-without-climate-change
[8] https://time.com/6079744/climate-weather-attribution/
[9] https://www.worldweatherattribution.org/western-north-american-extreme-heat-virtually-impossible-without-human-caused-climate-change/
[10] https://twitter.com/metomaroc/status/1414561775182393346?s=20
[11] https://twitter.com/ScottDuncanWX/status/1412157062960844800?s=20
[12] https://www.heise.de/tp/news/Es-brennt-an-allen-Ecken-und-Enden-6128142.html
[13] https://www.spiegel.de/panorama/usa-kalifornien-waldbrand-breitet-sich-nahe-yosemite-nationalpark-aus-a-2b914107-363d-4c8b-84e9-ce569d094e63
[14] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/feuer-in-kalifornien-waldbrand-breitet-sich-nahe-dem-yosemite-nationalpark-aus/27415462.html
[15] https://climatereanalyzer.org/wx/fcst/?mdl_id=gfs&dm_id=na-lc&wm_id=aprcp
[16] https://www.reuters.com/world/europe/planes-dump-water-siberian-wildfires-residents-plead-help-2021-07-13/
[17] https://www.ekathimerini.com/news/1164428/43-forest-fires-broke-out-in-greece-in-last-24-hrs/
[18] https://africa.cgtn.com/2021/07/11/zimbabwe-receives-firefighting-equipment-from-belarus-to-combat-forest-fires/
[19] https://www1.folha.uol.com.br/internacional/en/scienceandhealth/2021/07/amazon-fires-see-worst-june-since-2007.shtml
[20] https://www.nytimes.com/2021/07/08/nyregion/flooding-subways-nyc.html
[21] https://www.floridaphoenix.com/2021/07/06/elsa-headed-for-poor-low-lying-counties-in-fls-big-bend-gov-desantis-boosts-emergency-standing/
[22] https://www.theguardian.com/world/2021/jul/04/tropical-storm-elsa-cuba-evacuates-70000-flooding
[23] https://www.edinburghnews.scotsman.com/news/weather/edinburgh-flooding-we-are-going-to-see-more-of-these-extreme-events-says-climate-expert-3301354
[24] https://www.thenews.com.pk/print/861655-flash-floods-wreak-havoc-in-mohmand
[25] https://www.japantimes.co.jp/news/2021/07/10/national/rain-kyushu-flooding-evacuation/
[26] https://www.theguardian.com/world/2021/jul/03/landslide-hits-popular-resort-town-in-japan-leaving-more-than-a-dozen-people-missing
[27] https://www.nippon.com/en/news/ntv20201207001/
[28] http://www.env.go.jp/earth/tekiou/pamph2018_full_Eng.pdf
[29] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/phbl.19870430811
[30] https://twitter.com/AKK_Halle/status/1414956961725095936?s=20
[31] https://www.nachtflugverbot-leipzig.de/netzwerk_zukunft-leipzig.php
[32] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1154371.frachtairport-leipzig-protest-gegen-leipziger-flughafen-wird-radikaler.html
[33] https://taz.de/Protest-gegen-Flughafenausbau-in-Leipzig/!5784796/
[34] https://twitter.com/Ende__Gelaende/status/1413911012898656256?s=20
[35] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/leipzig/leipzig-leipzig-land/nach-protest-dhl-leipzig-aktivisten-frei-100.html