Begegnungen mit dem Ich
Posierende Leichen: die Ausstellung "Körperwelten" in Berlin
Der Tod ist in unserer Gesellschaft zwar alltäglich, in der Regel umgibt ihn aber eine Tabuzone. Nur selten gibt es den Toten noch zu sehen. Lediglich Medizinstudenten blicken in Anatomiekursen hinter die menschliche Fassade des Körpers oder bekommen einzelne Teile des menschlichen Körpers in Gläsern mit Formalin zu sehen. Doch derartige Exponate können keinen so realen Eindruck vermitteln wie die von der Ausstellung Körperwelten, die noch bis zum 1. Juli im alten Berliner Postbahnhof zu sehen ist. Prof. Dr. med. Gunther von Hagens bietet mit seiner Ausstellung von Plastinaten einen gänzlich anderen Einblick in die Wunderwelt des menschlichen Körpers. Diesen Einblick vermag keine virtuelle Präsentation zu erreichen.
Eine Obduktion wird in der Regel nur bei unklaren Todesursachen oder dem Verdacht einer Straftat vorgenommen. Dann öffnen Mediziner den Körper des Verstorbenen und suchen nach einer eindeutigen Antwort zur Todesursache. Ansonsten kommen mit Leichen nur noch Bestatter und Medizinstudenten in Berührung. Der tote menschliche Körper wird aus dem normalen Alltag ausgeklammert. Lediglich in Gläsern abgefüllte Leichenteile sollen informieren oder dienen zur gruseligen Zurschaustellung von abnormen Missbildungen oder Erkrankungen.
Die Demokratisierung der Anatomie durch die KÖRPERWELTEN-Ausstellung äußert sich vor allem darin, dass sich der Laie in der Beurteilung der Ausstellung anders verhält als von Experten vorhergesagt: Die hohen Besucherzahlen spiegeln das Bedürfnis der breiten Bevölkerung wider, mehr über den Aufbau und die Funktion des eigenen Körpers wissen zu wollen.
Gunther von Hagens
Eine andere Art der Präsentation hat Professor Hagens 1977 mit seinem neuen Verfahren der realistischen Plastination entwickelt. Damit wurde statt aschfahler Exponate eine Farberhaltung ermöglicht. Sein Hauptaugenmerk legt er auf die Ganzkörper-Plastination von Körperspendern. Für ihn ist es ein kreativer Prozess, die individuellen anatomischen Eigenschaften des Körpers in ein Gesamtkonzept einzubinden. Das Präparat soll Repräsentant eines gelebten Lebens werden. Deshalb nutzt er verschiedene Darstellungen der Exponate, um zum Beispiel einen Schachspieler oder eine Tänzerin zu inszenieren. Mit diesen Posen verleiht er den ausgestellten Leichen der freiwilligen Körperspender eine zwar anatomisch korrekte, aber dennoch neue charakteristische Identität.
Die Plastination selbst ist ein schnell beschriebenes Verfahren: Dem Körper wird zuerst das Wasser entzogen, das durch Aceton ersetzt und im letzten Prozess durch eine härtbare Kunststofflösung ausgetauscht wird. Insgesamt wird mit bis zu zehn verschiedenen Kunststoffen gearbeitet, die farbecht bleiben sollen und gegen Vergilbung resistent sind. Um den Kunststoff auch bis in die letzte Zelle zu schleusen, wird eine forcierte Vakuum-Imprägnierung eingesetzt. Bei den Körperscheiben dauert diese Prozedur nur ein paar Tage, bei den Ganzkörper-Plastinaten werden viele Wochen benötigt.
Die Ausstellung selbst betritt jeder Besucher mit sehr gemischten Gefühlen, denn schließlich bekommt man nicht jeden Tag ausgestellte Leichen zu sehen. Entsprechend wird man auch durch das Ausstellungsplakat auf die Exponate eingestimmt. Auf dem Plakat ist ein Reiter auf einem Pferd abgebildet. Mensch und Tier haben keine Haut und gewähren einen Einblick auf Muskeln und Organe. Doch von Hagens inszeniert seine Objekte bis ins Detail: So hält der Reiter in der rechten Hand noch eine Reitpeitsche, in der anderen Hand streckt er den Pferdeaugen sein Gehirn entgegen.
Der Beginn der Ausstellung erfolgt jedoch sensibler, denn hier wird der menschliche Körper erst in Querschnittscheiben dargestellt. Eine Sichtweise, die sich inzwischen auch auf diversen Internetseiten findet und schon vertraut von Aufnahmen eines Computertomografen erscheint. Bei diesen Darstellungen vergisst der Besucher schnell, dass es sich bei diesen Ausstellungsstücken doch um die Teile einer echten Leiche handelt. Der anfängliche Grusel vor Leichen schwindet durch die Vielzahl der Exponate und wandelt sich zu einem faszinierenden Blick für die Details des menschlichen Körpers. Herausgelöste Körperpartien oder Organe lenken den Blick auf anatomische Besonderheiten des menschlichen Körpers.
Effekthascherei?
Weil der Tod in unserem Alltag eher tabuisiert wird und selbst innerhalb eines familiären Rahmens kaum noch gestorben werden darf, gehen wir umso sensibler an diese Thematik heran. Der Tote bekommt eine würdige Bestattung. Für Christen ist der Tod der Übergang ins ewige Leben oder in die Hölle, für andere Religionen der Beginn eines neues Lebens in Form einer Wiedergeburt. Doch in den meisten Gesellschaften werden Leichen entweder beerdigt oder verbrannt.
Einen Toten auszustellen, ist immer noch ein makaberer Gedanke und darf landläufigen Meinungen zufolge ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken dienen. Professor von Hagens begeht mit seiner Ausstellung einen Tabubruch und macht seine Besucher zu Voyeuren einer Inszenierung von toten Körpern. Wer hat auch schon einmal einen Menschen gesehen, der in seiner rechten Hand seine Haut vor sich ausgestreckt zeigt? Doch findet sich in den Ansichten nicht nur der Vorwurf eines Tabubruchs, sondern auch die bloße Herabsetzung als Kunstobjekt und der Voyeurvorwurf.
Die Ganzkörper werden inszeniert, was sich letztlich als Effekthascherei entpuppt. Der Besucher erwartet einen umfassenden Einblick in die Anatomie des Menschen und wird mit inszenierten dynamischen Positionierungen der Präparate konfrontiert. Von Hagens bezeichnet diese Darstellungsweise als lebendige Anatomie: "Die lebensnahe Pose hilft, die Kluft zwischen Leben und Tod zu überbrücken." Es erstaunt ihn nicht, dass die gewählten Positionen und die Inszenierung der Präparate einen Sturm von Empfindungen auslösen, die psychisch und geistig verarbeitet werden müssen. "Schlägt aber dieses Befremden sogleich entweder in aggressive Abwehr oder in rückhaltlose Begeisterung um, sind das nur extreme Reaktionen aufgrund sehr unterschiedlicher Betrachtungsweisen oder Naturelle."
Doch kann man von Hagens keinen Vorwurf daraus machen, denn das Plakat und die Berichte von der Ausstellung zeigen eben genau diesen Ausschnitt der Ausstellung. Wenn wir im Museum eine Moorleiche sehen, erfasst uns oft ein Schauer. Dieses Gefühl kommt in der Ausstellung nicht auf, denn die - wenn auch makabere - Positionierung der Ganzkörper-Plastinate bietet einen Gesamteindruck in die sensible Konstruktion des menschlichen Körpers.
Der Besucher nimmt einen Eindruck des Respekts vor dem eigenen Körpers mit. Es entwickelt sich ein unbestimmtes Verhältnis zum eigenen Ich, denn eigentlich sind nur Stellvertreter von sich selbst in der Ausstellung zu betrachten. So kann man auch keinerlei Distanz zu den Exponaten beobachten, vielmehr nähern sich Besucher aller Altersgruppen den Präparaten sehr unbefangen. Ein 100-Seiten starkes und kostenlos erhältliches Begleitbuch gibt den Besuchern während oder nach der Ausstellung Gelegenheit, sich dem Gesehenen noch einmal auf einer sachlichen Ebene zu nähern. So finden sich in dem Begleitheft zur Ausstellung noch einmal alle Exponate als Fotos mit den entsprechenden Begleittexten.
Die Würde des Menschen
Besonders im Zusammenhang mit dem niederländischen Euthanasiegesetz steht die Würde des Menschen wieder im Mittelpunkt der Diskussion. So spricht der Vorsitzende des Rates der evangelischen Kirche, Kock, davon, dass es einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Sterben, aber kein Recht auf Tötung gäbe.
Nach der christlichen Überzeugung steht die Unverfügbarkeit menschlichen Lebens der Sterbehilfe entgegen. Die Justizministerin Däubler-Gmelin sprach gar in diesem Zusammenhang von einem "Tabubruch". Insofern ist es ebenso problematisch, Tote öffentlich auszustellen, wenn man heute durchaus gleichwertige Kunststoffabbildungen herstellen kann. Ganz abgesehen von der Möglichkeit, vergleichbare Darstellungen virtuell herzustellen und zum Beispiel auf CD-ROM oder im Internet anzubieten.
Von Hagens will aber bewusst den menschlichen Körper in seiner Authentizität darstellen. Die Besucher scheinen ihm nach eigenen Befragungen (Mannheim) recht zu geben: 98% finden es gut, dass auch ganze Körper ausgestellt werden; weniger als 1% hätten es begrüßt, wenn keine kranken Organe oder Missbildungen gezeigt würden, 4%, wenn auf Föten verzichtet worden wäre; die Art der Präsentation der Ganzkörper-Exponate wird von 91% gutgeheißen und 84% der Besucher befürworteten es, dass echte Körper und Körperteile anstelle von täuschend echten Plastikmodellen zu sehen waren.
Jedoch tauchen immer wieder Vorwürfe auf, dass die ausgestellten Leichen ohne Einwilligung gekauft und präpariert worden seien. So berichtet Bild-online am 12. April, dass die Staatsanwaltschaft gegen den Ausstellungsleiter Professor von Hagens ermittelt. Den Darstellungen eines Fernsehberichtes des ARD-Magazins Fakt vom 5. März widerspricht von Hagens. Einen Vertrag mit Novosibirsk gebe es erst seit 1999, als die Ausstellung längst etabliert war. "Es stehen definitiv keine Präparate von russischen Staatsbürgern in der Ausstellung", schreibt von Hagens in einer Stellungnahme zur Fakt-Sendung.
Die Präparate stammen nach Angaben des Instituts für Plastination aus verschiedenen Körperspendenprogrammen, von Kooperationspartnern wie dem Anatomischen Institut der Universität in Novosibirsk und von etablierten morphologischen Instituten. Bei dem Ankauf von alten anatomischen Sammlungen wird darauf geachtet, dass diese Präparate nicht aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen.
Nach eigenen Angaben hat er aber keine Probleme, Menschen zu bewegen, ihren Körper ebenso für weitere Projekte zur Verfügung zu stellen. Die Juristin Brigitte Tag hat sich intensiv mit den rechtlichen Aspekten der Ausstellung beschäftigt und kommt zu dem Schluss, dass das Selbstbestimmungsrecht der Körperspender und die Würde des Verstorbenen zu achten seien.
"Öffentlich als Ganzkörperpräparat ausgestellt, würde mein Körper den Betrachter vielleicht zum Nachdenken bringen."
"So werde ich mir nach dem Tode besser gefallen als von Würmern und Kleinstlebewesen gefressen und verstoffwechselt zu werden."
(Zitate von Körperspendern)
Es ist sein festes Ziel, mit der Ausstellung Körperwelten die Laienaufklärung zu fördern und ebenso der Wissenschaft ausreichend anatomische Präparate zur Verfügung zu stellen, um so die anatomische Unterrichtung zu verbessern. So ist auch eine weitere Ausstellung und die Produktion eines Computer-Anatomie-Projektes auf CD-ROM geplant.
Obwohl die Ausstellung zumindest immer bemüht ist, einen sachlichen Charakter zu wahren, fällt ein Kabinett aus dem Rahmen. In diesem Extraraum werden Embryonen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien gezeigt und gleich daneben auf einer Drehbühne Kleinstkinder mit Missbildungen. Da dieses Horrorkabinett am Schluss der Ausstellung gezeigt wird, entsteht ein Bruch in der Gesamtkonzeption. Eine weitere Unstimmigkeit offenbart sich im Shop der Körperweltenausstellung. Neben Fachliteratur finden sich hier auch Mousepads, Pins, Puzzles oder T-Shirts. Wenn auch ein T-Shirt mit einer Raucherlunge ein ziemlich abschreckendes Beispiel sein mag, so werden hier die Grenzen zwischen Aufklärung und bloßer Vermarktung bei weitem überschritten.
Ein lohnenswerter Besuch auch für Schulklassen
Die Ausstellung Körperwelten bietet neue Einblicke in das menschliche Leben, und der Besucher entwickelt ein sehr persönliches Verständnis zur eigenen Körperlichkeit. Die Ausstellungsstücke ermöglichen einen ästhetischen Blick aufs Ich. Selbst einen gewissen Humor lassen die Ausstellungsmacher manchmal aufblitzen. So findet sich kurz vor Ostern auch der Blutkreislauf eines Kaninchens am Ende der Ausstellung.
Für Schulklassen wurden Unterrichtseinheiten und Entwürfe entwickelt, die Lehrer gegen eine geringe Gebühr zur Unterrichtsvorbereitung anfordern können. Lisa, acht Jahre alt, schrieb in das Gästebuch der Ausstellung "Ja, super, ich wusste gar nicht, dass Menschen so aussehen."