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Bernie Sanders: Vorwärts zum Sozialismus?

Bernie Sanders. Bild: AFGE/CC BY-SA-2.0

Der demokratische Präsidentschaftskandidat plädiert offen für einen grundlegenden Politikwechsel in den Vereinigten Staaten

Bernie Sanders, sozialistischer Bewerber um die demokratische Präsidentschaftskandidatur 2020, ging in einer am vergangenen Mittwoch gehaltenen Grundsatzrede [1] in die Offensive. Die an der George Washington Universität gehaltene Rede zielte vor allem darauf, den Begriff des Demokratischen Sozialismus zu schärfen und zu verteidigen, mit dem Sanders sein politisches Programm explizit verknüpfte.

Der 77-jährige Präsidentschaftsanwärter habe eine "energische Verteidigung des Demokratischen Sozialismus abgeliefert, der fünf Jahrzehnte seines politischen Lebens definierte", kommentierte [2] die New York Times. Sanders sei bemüht gewesen, seine Präsidentschaftskandidatur in die Tradition der progressiven Bewegung der Vereinigten Staaten zu stellen und mit dem Vermächtnis von Franklin D. Roosevelt und Martin Luther King Jr. zu verbinden.

In der zweiten Dekade das 21. Jahrhundert gehe es darum, "den New Deal zu vollenden", erklärte Sanders unter Bezugnahme auf die umfassenden sozioökonomischen Reformen, die der progressive US-Präsident Roosevelt in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts einleitete. Den Kerngehalt seines Begriffes vom Demokratischen Sozialismus verknüpfte Sanders [3] mit dem Kampf um ökonomische Rechte und Freiheiten, die er als eine Fortsetzung des historischen Kampfes um politische Rechte und Freiheiten versteht:

"Wir müssen jetzt den nächsten Schritt nehmen und jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind in unserem Land grundlegende ökonomische Rechte garantieren - das Recht auf gute Gesundheitsversorgung, das Recht auf Bildung, um in unserer Gesellschaft erfolgreich zu sein, das Recht auf einen guten Arbeitsplatz mit anständiger Entlohnung, das Recht auf erschwingliches Wohnen, das Recht auf eine sichere Rente, und das Recht auf ein Leben in einer sauberen Umwelt. Wir müssen erkennen, dass in dem 21. Jahrhundert, in dem reichsten Land in der Geschichte der Welt, ökonomische Rechte Menschenrechte sind. Das ist es, was ich unter Demokratischen Sozialismus verstehe."

Die Welt am Scheideweg

Die Vereinigten Staaten und der Rest der Welt befänden sich im Jahr 2019 an einem politischen Scheideweg, so Sanders, die Welt stehe vor "zwei sehr unterschiedlichen politischen Pfaden". Neben dem progressiven Aufbruch befänden sich auch die Kräfte "der Oligarchie und des Autoritarismus im Aufschwung", so Sanders unter Verweis auf die Neue Rechte und deren Finanziers. Eine kleine Anzahl unglaublich vermögender und mächtiger Milliardäre besitze und kontrolliere "einen signifikanten Anteil der Ökonomie" und übe deshalb "enormen Einfluss auf das politische Leben des Landes" aus.

Sanders zog dabei Parallelen zu dem Aufstieg des Faschismus in der Krisenperiode der 1930er Jahre, als nach der großen Depression "tiefsitzende ökonomische und soziale Disparitäten" zu einem "Aufstieg rechter und nationalistischer Kräfte" beitrugen. Diesen "dunklen Kräften" der Barbarei gelte es - ähnlich dem historischen Programm des New Deal - eine progressive Alternative entgegenzusetzen, so Sanders.

Auch Roosevelts "Streben nach einem transformatorischen Wandel" wurde von der Wirtschaft, von der Wall Street, vom politischen Establishment, von den Republikanern und dem rechten Flügel der Demokraten bekämpft, erklärte der demokratische Sozialist unter Bezugnahme auf die derzeitigen politischen Auseinandersetzungen in den USA, in denen Sozialismus immer noch von der Rechten als ein politisches Schimpfwort benutzt wird.

Gegen "Sozialismus für Reiche"

Den inflationären Gebrauch des Begriffs Sozialismus durch die US-Rechte, die inzwischen jegliche Sozialpolitik mit diesem Schimpfwort belegt, stellte Sanders den Kampf gegen den Sozialismus für Reiche gegenüber. Donald Trump und "seine Oligarchen" würden Sozialismus nur dann bekämpfen, wenn er der lohnabhängigen Bevölkerung zugutekäme, so Sanders. Tatsächlich liebten die Reichen und die Konzerne den "Sozialismus", solange er ihnen "jährlich Hunderte von Millionen Dollar" an staatlichen Subventionen einbringe, während zugleich "dieselben Leute versuchen, Sozialprogramme zu beschneiden, die einfachen Amerikanern helfen".

Der demokratische Sozialist erinnerte in diesem Zusammenhang an ein Zitat von Dr. Martin Luther King, Jr.: "Dieses Land ist Sozialismus für die Reichen, und rauer Individualismus für die Armen." Donald Trump glaube "an den Sozialismus für Reiche und für Konzerne", während er, Sanders, an den Demokratischen Sozialismus glaube, der den Lohnabhängigen zugutekomme.

Schließlich verknüpfte Sanders den Begriff der Freiheit mit den ökonomischen Rechten, die der Demokratische Sozialismus realisieren solle. Solange die zunehmenden ökonomischen Sachzwänge einem Großteil der amerikanischen Bevölkerung immer stärker die Luft zum Leben abschnürten, könne keine Rede von wahrer Freiheit sein. Sanders nannte in diesem Zusammenhang überteuerte medizinische Behandlungen oder Medikamente, Wochenarbeitszeiten von "60 bis 80 Stunden", die zusammenbrechende Altersversorgung, die grassierende Obdachlosigkeit und die absurd hohen Kosten der Ausbildung von Kindern und Jugendlichen.

Während die Bill of Rights uns vor der Tyrannei einer gewalttätigen Regierung schützt, würden viele im Establishment es gerne sehen, wenn Amerikaner sich der Tyrannei von Oligarchen, Konzernen, Milliardären und der Wall-Street-Banken beugten. Es ist Zeit für die Menschen Amerikas aufzustehen und für ihr Recht auf Freiheit, Würde und Sicherheit zu kämpfen. Dies ist der Kern meiner Politik.

Bernie Sanders [4]

Die Rede traf in der veröffentlichten Meinung der Vereinigten Staaten, die geprägt ist durch große Medienkonzerne, auf ein überwiegend negatives Echo. Die Nachrichtenagentur des Oligarchen Michael Bloomberg titelte [5], Sanders verkaufte in seiner Rede eine "sozialistische Fantasie". Die New York Times bezeichnete, hier etwas subtiler [6] agierend, die Ausführungen des demokratischen Sozialisten als "Ideologie".

CNN [7] meldete, dass die Argumentation des demokratischen Sozialisten auch die "gemäßigten Demokraten beunruhigen" würde. Liberale demokratische Politiker und Präsidentschaftsanwärter wären dazu übergegangen, Sanders deutlicher anzugreifen. CNN nannte in diesem Zusammenhang den ehemaligen Gouverneur von Colorado, John Hickenlooper, der davor warnte, das Wort Sozialismus zu benutzen, da es "die effektivste Attacke der Republikaner" gegen Demokraten sei. Ähnlich abwehrend [8] reagierte Elizabeth Warren, eine weitere, von den Massenmedien hochgeschätzte linksliberale Anwärterin auf die Nominierung zur demokratischen Präsidentschaftskandidatin.

Warren hat sich bei der manipulierten demokratischen Vorwahl 2016 für Hillary Clinton, für die Kandidatin des Parteiestablishments, ausgesprochen [9] - und gegen Sanders. Erst ein Jahr später räumte sie ein, dass diese Vorwahl manipuliert [10] war. Derzeit führt bei den Umfragen [11], gegen die bereits Manipulationsvorwürfe [12] laut wurden, der konservative Demokrat Joe Biden, gefolgt von Warren und Sanders.

Politikwechsel - nicht Systemwechsel

Was bei den ganzen Auseinandersetzungen um das Wörtchen "Sozialismus" gänzlich unberücksichtigt bleibt, ist die schlichte Tatsache, dass Sanders eine im Kern sozialdemokratische Politik betreiben will, die auf die gerechtere Verteilung gesellschaftlichen Reichtums und einen binnenkapitalistischen Modernisierungsschub qua Investitionsprogramm abzielt (Green New Deal). Höhere Steuern für Reiche, Sozialleistungen für Arme, Investitionen in die Infrastruktur - dies ist der politische Kern der im Gefolge der Krisenschübe der in den vergangenen Jahrzehnten untergegangenen Sozialdemokratie. Auch die SPD hat ja noch den Demokratischen Sozialismus in ihrem Parteiprogramm stehen, wie es etwa dem Juso-Vorsitzenden Kühnert [13] jüngst auffiel.

Sanders plädiert somit für einen grundlegenden Politikwechsel, doch ist damit noch lange kein Systemwechsel intendiert. Dies ist nicht wenig angesichts des zerrütteten Zustandes der verarmten, zur autoritären Oligarchie verkommenen US-Gesellschaft - doch stellt sich hierbei die Frage, ob bloße Reformen angesichts der eskalierenden Klimakrise nicht zu kurz greifen.

Die fixe Idee, sozialdemokratische Reformpolitik - die bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts den politischen Mainstream bildete - als Sozialismus, als "Ideologie" (New York Times), zu bezeichnen, ist letztendlich nur ideologischer Ausfluss der beständigen Rechtsverschiebung des politischen Spektrums in der Ära des Neoliberalismus.


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https://www.heise.de/-4447449

Links in diesem Artikel:
[1] https://thehill.com/video/campaign/448190-watch-live-sanders-speaks-at-george-washington-university
[2] https://www.nytimes.com/2019/06/12/us/politics/bernie-sanders-socialism.html
[3] https://www.vox.com/2019/6/12/18663217/bernie-sanders-democratic-socialism-speech-transcript
[4] https://www.vox.com/2019/6/12/18663217/bernie-sanders-democratic-socialism-speech-transcript
[5] https://www.bloomberg.com/opinion/articles/2019-06-14/bernie-sanders-is-selling-a-socialist-fantasy-for-2020
[6] https://www.nytimes.com/2019/06/12/us/politics/bernie-sanders-socialism.html
[7] https://edition.cnn.com/2019/06/12/politics/bernie-sanders-democratic-socialism-speech/index.html
[8] https://www.theatlantic.com/politics/archive/2019/06/bernie-sanders-socialism-trump/591493/
[9] https://www.nbcnews.com/politics/2016-election/elizabeth-warren-endorse-clinton-rachel-maddow-show-n589236
[10] https://www.bostonglobe.com/news/politics/2017/11/02/elizabeth-warren-says-primary-was-rigged-hillary-clinton-favor/ylvL7oNPVwsO9nKRNonBmI/story.html
[11] https://www.latimes.com/politics/la-na-pol-2020-california-democratic-primary-poll-20190613-story.html
[12] https://www.heise.de/tp/features/Die-gelenkte-Demokratie-4411153.html
[13] https://www.heise.de/tp/features/Debatte-um-Enteignungen-Ein-Schritt-in-die-richtige-Richtung-4418047.html