Die gelenkte Demokratie
Mit dem Einstieg Joe Bidens in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf kommen prompt die ersten Manipulationsvorwürfe auf
Das Establishment scheint seinen Kandidaten gefunden zu haben. Er sei ein "Mann der Mitte", so kommentierte die Süddeutsche Zeitung die offizielle Bewerbung Joe Bidens um das Amt des US-Präsidenten bei den kommenden Wahlen. Der ehemalige Vizepräsident unter Barack Obama sei ein Mann, der Trump gefährlich werden könne, sekundierte Spiegel-Online in einer ersten Einschätzung. Der 76-jährige Biden habe "gute Chancen, Donald Trump zu schlagen" (Joseph Biden: Der weiße, alte Mann als Speerspitze der Demokraten gegen Trump).
Und tatsächlich schienen die ersten Umfragen diesen Einschätzungen vollauf Recht zu geben. Der politisch sehr gut innerhalb der Machtzirkel der US-Demokraten vernetzte Biden scheint aus dem Stand die Führungsrolle innerhalb des breiten demokratischen Bewerberfelds übernommen zu haben, das bisher durch linke Kandidaten geprägt war (Socialist States of America).
Zeitgleich mit der Ankündigung der Präsidentschaftsbewerbung Bidens wurden in den Massenmedien etliche Meinungsumfragen publiziert, die den Kandidaten der "Mitte" einen großen Popularitätsvorsprung gegenüber seinen Mitbewerbern attestierten. Der Nachrichtensender CNN etwa publizierte eine Umfrage, die Biden bei der demokratischen Wählerschaft eine Führung von mehr als 20 Prozentpunkten gegenüber dem linken Konkurrenten Sanders zusprach.
Das Narrativ, das diese ersten Umfragen in den liberalen Massenmedien verbreiteten, sah in Joe Biden folglich schon jetzt den "Frontrunner", den einsam das Bewerberfeld anführenden Spitzenkandidaten der "Mitte". Der linke Rest des Bewerberfelds scheint schon jetzt weit abgeschlagen zu sein.
Erste Unregelmäßigkeiten
Kurz nach der Veröffentlichung dieser Zahlen kamen die ersten Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten, Manipulationen und blanke Fälschungen dieser Meinungsumfrage auf, die den Eindruck erwecken lassen, die dem Establishment der Demokratischen Partei nahestehenden "liberalen" Massenmedien würden der öffentlichen Meinung auf die Sprünge helfen wollen.
Die Umfrage, die CNN am 30. April veröffentlichte, zeigte einen großen Vorsprung Bidens von 24 Prozentpunkten gegenüber Sanders - doch zugleich scheinen von den Machern der Umfrage fast nur potenzielle demokratische Wähler im Alter von mehr als 50 Jahren befragt worden zu sein. Das statistische Material der Studie, das öffentlich zugänglich gemacht worden ist, erfasst nur die Angaben zu den Altersgruppen von 50 bis 65 Jahren, sowie zur Gruppe der Rentner jenseits der 65. Die Angaben für die jüngeren Semester wurden ausgelassen, weil es offensichtlich nicht genügend Umfrageteilnehmer gegeben hat.
Je älter die Befragten, desto höher die Zustimmung für den ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden - laut dieser CNN-Umfrage ist "der Mann der Mitte" zumindest der Kandidat der Rentner. Der sozioökonomische Hintergrund dieser Tendenz in den Umfragen ist in den krisenbedingten Verelendungsschüben in den Vereinigten Staaten zu finden, die vor allem die jüngere Generation der sogenannten "Millennials" getroffen haben. Die Erosion der Mittelklasse in den USA trifft die in den 1990ern und um die Jahrtausendwende geborenen US-Bürger am stärksten, während die älteren Semester, die Generation der im fordistischen Nachkriegsboom sozialisierten "Baby-Boomer", noch weitgehend sozial abgesichert ist.
Folglich sind es eben gerade junge demokratische Wähler, die sich besonders häufig für den Sozialisten Sanders entscheiden. Noch Anfang April führte Sanders in entsprechenden Umfragen deutlich. Und eben diese junge Wählerschicht, die besonders stark von Prekarisierung und sozialen Abstieg bedroht ist, fand in den CNN-Umfragen kaum Beachtung.
Eine weitere evidente CNN-Manipulation: Den Umfrageteilnehmern wurde die Gelegenheit gegeben, sich positiv oder negativ zu einzelnen demokratischen Präsidentschaftskandidaten zu äußern. Der Name Bernie Sanders fehlt bei dieser Kandidatenauflistung gänzlich.
Inzwischen scheinen Massenmedien vor offenen Falschmeldungen nicht mehr zurückzuschrecken, um "ihren" Kandidaten auszubauen. Der Sender MSNBC meldete etwa bei einer Umfrage, dass Biden mit 28 Prozent eine höhere Unterstützung bei nichtweißen Wählern genieße als Sanders, der auf 27 Prozent kam. Die Umfrage, auf die sich der Sender bezog, sah aber Sanders mit 27 Prozent in Führung, während Biden nur auf 25 Prozent kam. Der Sender hat somit dem "Kandidaten der Mitte" eigenmächtig drei zusätzliche Prozentpunkte vergeben.
Diese Vorfälle lassen Erinnerungen an den skandalträchtigen Vorwahlkampf 2016 innerhalb der demokratischen Partei aufkommen, als Bernie Sanders durch Manipulationen und Betrugsmanöver des demokratischen Parteiestablishments um seinen Sieg gegen die landesweit verhasste Establishmentkandidatin Hillary Clinton gebracht wurde - die es bekanntlich fertigbrachte, gegen Donald Trump zu verlieren.
Joe Biden: Kandidat der oligarchischen Mitte?
Progressive Medien in den Vereinigten Staaten waren schnell zur Stelle, um klarzumachen, wieso Joe Biden der "Kandidat der Mitte" ist, der sich einer solch übereifrigen Schützenhilfe der Massenmedien erfreuen kann. Bei einer Rede vor einem Think Tank stellte Biden im vergangenen Jahr fest, dass die absurde soziale Spaltung der USA für ihn kein Problem darstelle:
Ich denke nicht, dass fünfhundert Milliardäre der Grund dafür sind, dass wir in Schwierigkeiten sind. Die Leute an der Spitze, das sind keine schlechten Typen.
Joe Biden
Es müssen nicht gleich 500 sein, es reichen schon drei der reichsten US-Milliardäre, um die absurde soziale Spaltung der USA zu veranschaulichen, die tatsächlich in oligarchische Dimensionen abdriftet. Bill Gates, Jeff Bezos und Warren Buffet besitzen inzwischen mehr Vermögen als die weitgehend pauperisierte untere Hälfte der US-Bevölkerung.
Für Kandidaten, die darin kein Problem sehen, stehen die Türen eben der Massenmedien, die sich in Besitz dieser oligarchischen Kaste befinden, weit offen (die "renommierte" Washington Post, die im demokratischen Vorwahlkampf 2016 eine regelrechte Hasskampagne gegen Sanders entfachte, gehört dem Amazon-Oligarchen Jeff Bezos). Die Nichtregierungsorganisation Fair hat dies in einem Hintergrundbeitrag am aktuellen Bespiel von Joe Biden ausgeführt.
Demnach absolvierte Biden an dem Abend, als er seine Kandidatur ankündigte, eine Spendenveranstaltung bei David L. Cohen, der Vorsitzender einer Washingtoner Lobbyfirma ist, die für den Konzern Comcast tätig ist. Comcast wiederum befindet sich im Besitz des Fernsehsenders MSNBC, der inzwischen als ein "Tank" für Joe Biden in dem Wahlkampf agiert. Der Sender propagiere ein Narrativ, wonach der gut vernetzte ehemalige Vizepräsident der "einzige Kandidat" sei, der Trump schlagen könne.
Der Sender CNN wiederum befindet sich im Besitz von AT&T. Der Telekommunikationskonzern hat bei seiner Akquisition von Time Warner von einer laxen Interpretation von Antimonopolregelungen profitiert, die auch Joe Biden in seiner Karriere verfolgte, so Fair. Der ehemalige Vizepräsident sei "kein Falke" bei der Antimonopolgesetzgebung gewesen, da er etwa Ausnahmen bei Übernahmen in der Getränkeindustrie zustimmte - nachdem er große Spenden von Coca Cola erhielt. Während des Wahlkampfes habe der Kandidat der Mitte folglich betont, man dürfe Großkonzerne bei Kritik nicht "herauspicken".
Somit lässt ein Blick hinter die Kulissen des Medienbetriebs und seiner Fabrikation von politischen Schlagzeilen die Umrisse einer gelenkten Demokratie erkennen, die durchaus Parallelen zu oligarchischen Systemen wie Russland oder die Ukraine aufkommen lässt. Inzwischen fragen linksliberale Medien wie der The Guardian offen, ob die USA nicht zu einer Oligarchie verkommen sind.