Socialist States of America?
Die sozialistische Linke in den Vereinigten Staaten befindet sich im Aufwind - kann sie Donald Trump 2020 herausfordern und besiegen?
Sechs Millionen Dollar binnen 24 Stunden, gespendet von rund 225.000 Kleinspendern, die im Schnitt 27 Dollar überwiesen - begleitet von diesem historischen Spendenrekord hat der linke US-Senator Bernie Sanders kürzlich seine abermalige Kandidatur für das US-Präsidentenamt öffentlich gemacht.
Der sozialistische Politiker gilt als Hoffnungsträger der amerikanischen Linken, nachdem er bei den demokratischen Vorwahlen 2016 nur knapp gegen die Kandidatin des neoliberalen Parteiestablishments, Hillary Clinton, unterlag.
Die umkämpften Vorwahlen der Demokratischen Partei waren durch Manipulations- und Betrugsvorwürfe überschattet. Der neoliberale Parteiapparat habe damals durch unlautere Mittel den Sieg des linken Außenseiters Sandes verhindert, so der Vorwurf vieler Anhänger des Senators aus dem Bundesstaat Vermont, der mit seiner sozialistischen Agenda überraschend erfolgreich war.
Wie sehr sich der Wind inzwischen in den Vereinigten Staaten gedreht hat, machen Umfragen zur Haltung der Bevölkerung gegenüber dem Begriff des Sozialismus deutlich, der jahrzehntelang als ein politisches Schimpfwort fungierte. Insbesondere innerhalb der Jugend befinde sich der Sozialismus auf dem Vormarsch, warnte der konservative Sender Fox-News unter Verweis auf eine Umfrage vom Herbst 2018. Die Zustimmung zum Kapitalismus sei demnach bei der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen von 68 Prozent 2010 auf nur noch 47 Prozent gefallen, während der Sozialismus inzwischen von einer knappen Mehrheit von 51 Prozent positiv beurteilt werde. Innerhalb der demokratischen Partei konnten sich gar 57 Prozent der Befragten für sozialistische Politikvorstellungen erwärmen.
Inzwischen spiegelt sich diese Linksverschiebung auch in dem Diskurs innerhalb der Demokratischen Partei. Viele der politischen Themen, die Bernie Sanders so erfolgreich während seiner Kampagne 2016 popularisierte, seien nun Teil des Mainstream der US-Demokraten, so die New York Times. Sanders sei ein "Opfer seines Erfolgs", da er sich 2020 vielen Konkurrenten gegenüber sehe, die eben jene linke Agenda annehmen würden, die er 2016 populär machte.
Grundzüge der sozialistischen Agenda 2020
Diese Agenda, mit der die US-Linke in den Wahlkampf 2020 ziehen will, zeichnet sich bereits jetzt klar ab. Am populärsten innerhalb der US-Bevölkerung sind die steuerpolitischen Vorstöße linker Demokraten, die auf eine stärkere Besteuerung des Reichtums der US-Oligarchie abzielen (USA: Höhere Besteuerung der Reichen ist plötzlich mehrheitsfähig).
Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren, der sozialistische Shootingstar Alexandria Ocasio-Cortez wie auch Bernie Sanders fordern mitunter massive Steuererhöhungen - nahezu zwei Drittel der US-Bürger stimmen solchen Vorhaben zu, die mitunter Spitzensteuersätze von 70 Prozent vorsehen. Hinzu kommen Forderungen nach einer massiven Erhöhung des Mindestlohns, den Bernie Senders von 7,25 Dollar auf 15 US-Dollar anheben will.
Ein weiterer populärer Programmschwerpunkt dieser neuen Linken in den USA ist der Kampf gegen den Lobbyismus und die Korruption in Washington. Sanders weigert sich weiterhin, Geld von Lobbyorganisationen der Wirtschaftsverbände anzunehmen - und fordert eine umfassende Änderung des politischen Wahlsystems, um den Einfluss des Kapitals auf die Politik zurückzudrängen.
Nahezu alle potenziellen Präsidentschaftskandidaten der US-Demokraten haben sich überdies der gesundheitspolitischen Initiative von Senator Sanders angeschlossen, die eine Ausweitung des staatlichen Programms Medicare, in dem Rentner krankenversichert sind, auf alle US-Bürger vorsieht. Neben einer allgemeinen Krankenversicherung fordern progressive Demokraten inzwischen auch eine kostenlose höhere Bildung, da die Kosten für das Studium zu einer immer größeren Belastung für die erodierende US-Mittelklasse werden.
Die Sozialistin Alexandria Ocasio-Cortez, die nach ihrer Wahl in das Repräsentantenhaus als dessen jüngste Abgeordnete schnell zum Feindbild der US-Rechten avancierte, hat mit Unterstützung von Sanders ein radikales Investitionsprogramm vorgeschlagen, das eine rapide, ökologische Transformation der US-Gesellschaft zum Ziel hat. Mit dem "Green New Deal" sollen die USA ökonomisch reanimiert und zugleich binnen zehn Jahren weitestgehend auf den erneuerbare Energien umgestellt werden.
Den Stimmungswandel in der Demokratischen Partei brachte die linksliberale Zeitung The Nation auf den Punkt, die feststellte, dass nun "nahezu jeder" demokratische Politiker sich zumindest als "progressiv" darzustellen versuche. Dennoch - aller sozialdemokratischen Rhetorik zum Trotz - halten die alten, neoliberalen Seilschaften immer noch die meisten Machtmittel innerhalb der Demokraten, sodass ein Durchmarsch der Sozialisten bei den Vorwahlen keineswegs sicher ist. Nicht jeder, der dem linken Zeitgeist rhetorisch Rechnung trägt, ist ein linker Politiker. Jahrzehnte sozialdemokratischer Regierungspraxis sprechen in dieser Hinsicht Bände.
Mitunter treffen bereits jetzt viele der Initiativen der Parteilinken, die derzeit im Zentrum des öffentlichen Interesses steht, auf den hinhaltenden Widerstand des Parteiestablishments und des rechten Flügels der Demokraten. Vielen demokratischen Parlamentariern ist etwa der von der Parteilinken lancierte Green New Deal zu "radikal".
Dennoch scheint sich die politische Dynamik in den Vereinigten Staaten - rund zwei Jahre nach der Wahl des Rechtspopulisten Trump - umzukehren. Die Rechte befindet sich in der Defensive. Inzwischen werden die anscheinend "radikalen" steuerpolitischen Vorschläge der Sozialistin Ocasio-Cortez auch von amerikanischen Wirtschaftsblättern wie Forbes ernsthaft diskutiert. Denn offensichtlich war ein Spitzensteuersatz von mitunter mehr als 70 Prozent in den Vereinigten Staaten über Jahrzehnte üblich, bis er im Zuge der neoliberalen Reformen in den 80ern massiv abgesenkt wurde.
Democratic Socialists of America
Letztendlich scheint vielen der Ideen und Vorstöße, die derzeit von der US-Linken lanciert werden, nur aufgrund des massiven Rechtsdrifts in den vergangenen neoliberalen Jahrzehnten das Adjektiv "sozialistisch" anzuhängen. Eine allgemeine Krankenversicherung, eine kostenlose Schulbildung, eine "faire" Entlohnung oder eine nennenswerte Besteuerung von Reichtum stellen eigentlich Kernanliegen gewöhnlicher sozialdemokratischer Politik dar.
Donald Trump konnte nur deswegen zum Kampf gegen den "Sozialismus in Amerika" aufrufen, weil die vergangenen neoliberalen Dekaden eine andere Vorstellung von gesellschaftlicher "Normalität" durchgesetzt haben, in der eine krasse soziale Spaltung als selbstverständlich gilt, aber ein staatliches Gesundheitssystem als der erste Schritt in den Gulag imaginiert wird.
Eine der wichtigsten und einflussreichsten politischen Organisationen in diesem neulinken Spektrum, in dem alte sozialdemokratische Politikkonzepte und antikapitalistische Ideen in Wechselwirkung treten, sind die Democratic Socialists of America (DSA). Diese sozialistische Gruppierung, der etwa die Abgeordnete Ocasio-Cortez angehört, scheint gerade dabei zu sein, sich in eine Massenbewegung zu transformieren. Gegründet in den 1980er Jahren mit gerade mal 5000 Sozialisten, konnten die DSA 2017 schon 32.000 beitragszahlende Mitglieder verzeichnen, im September 2018 zählte die Organisation schon 50.000 GenossInnen in ihren Reihen. Das Durchschnittsalter in den 181 regionalen Gliederungen der DSA sank von 68 im Jahr 2013 auf 33 im vergangenen Jahr. Als wichtigster Rekrutierer des DSA gilt der Rechtspopulist Donald Trump, dessen Präsidentschaft viele junge Menschen nach links trieb.
In einem Interview mit CNN erläuterte die Nationale Direktorin der DSA, Maria Svart, die langfristige Strategie der sozialistischen Bewegung, die auf eine allgemeine Demokratisierung der amerikanischen Gesellschaft abziele. Man sei "mit einem Fuß innerhalb der Demokratischen Partei und mit einem Fuß draußen", sodass die DSA sowohl klassischen Wahlkampf als auch außerparlamentarische politische Arbeit betreibe.
Das Ziel sei der Aufbau einer "multiethnischen Klassenbewegung", die unterschiedliche Menschen zusammenbringe, um für eine demokratische Gesellschaft und Wirtschaft zu kämpfen. "Die Meisten von uns glauben nicht, dass dies unter dem Kapitalismus funktionieren kann", bekräftigte Svart, "unser Leitstern ist die totale Transformation des Systems." Die mittelfristigen Ziele der Bewegung würden sich aber weitgehend mit dem politischen Programm von Bernie Sanders decken.
Diese Praxis, die aus Parteipolitik und außerparlamentarischer Arbeit besteht, hat der jungen Bewegung erste Wahlerfolge bei den Midterms eingebracht. Neben zwei Abgeordneten im Kongress konnten die Democratic Socialists of America auch etliche ihrer GenossInnen in den Bundesstaaten in Parlamente hieven.
Auch wenn progressive Demokraten wie Elizabeth Warren sich ebenfalls um die demokratische Nominierung als Präsidentschaftskandidatin bemühen, scheinen die DSA sich bereits für Bernie Sanders entschieden zu haben, wie eine jüngst veröffentliche Mailkorrespondenz nahelegt. Demnach wollten die DSA eine wichtige Rolle dabei spielen, Sanders den Sieg bei den demokratischen Vorwahlen zu sichern. Hiernach hofft man auf einen "Sieg gegen Trump" bei der Präsidentschaftswahl. Die demokratischen Sozialisten wollen Teil einer breiten, diversen Transformationsbewegung werden. Die Gruppierung strebe danach, den "sozialistischen Pol innerhalb einer breiten Sanders-Bewegung" zu bilden, hieß es in der Korrespondenz.
Die Unterstützung durch die DSA und deren populäre Politikerinnen wie Ocasio-Cortez könnte sich tatsächlich als ein entscheidender Faktor bei den Vorwahlen der Demokraten erweisen. Doch zugleich geht die amerikanische Rechte daran, in einem Reenactment des Kalten Krieges den "Sozialismus" als ein Feindbild darzustellen, um durch die Reaktivierung der alten antikommunistischen Ressentiments der Linken den Wind aus den Segeln zu nehmen (Freiheit oder Sozialismus). Die vorteilhafte Unterstützung durch die DSA bei den Vorwahlen soll sich hierdurch im Präsidentschaftswahlkampf sich zu einem Nachteil wandeln.
Eine solche Taktik, bei der die Angst vor den roten Gespenstern der Vergangenheit die soziale Zerrüttung der krisengebeutelten Gegenwart überdecken würde, könnte aber an der eingangs geschilderten Linksverschiebung in den USA scheitern. Sozialismus ist kein Schimpfwort mehr - vor allem für die jüngere Generation. Sanders beständig als "Sozialisten" zu beschimpfen, könnte sich als eine kostenlose Werbekampagne entpuppen.
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