Hillary Clintons Nerven liegen blank
In den USA zeichnet sich im Wahlkampf ein Linksruck ab, der im Kontrast zu der Entwicklung in Europa steht
Guts vs. Brains. So interpretieren US-Demokraten oftmals die politischen Frontverläufe in den Vereinigten Staaten, bei denen der zum Extremismus tendierende Irrationalismus der Republikaner sich im Wettstreit mit dem rationalen und gemäßigten Denken der Demokraten befinde. Diese würden einen zivilisierten Umgang untereinander pflegen, während die Republikaner gewohnheitsmäßig die neandertalerhaften verbalen Keulen schwingen würden.
Der aktuelle Vorwahlkampf schien bis vor kurzem dieser Einschätzung vollauf recht zu geben. Während bei den Republikanern mehr oder minder durchgeknallte Milliardäre und Rechtsextremisten eine politische Freakshow veranstalteten, die selbst bei hochrangigen US-Politikern wie Außenminister Kerry Gefühle des Fremdschämens auslöste, schien der demokratische Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Bernie Sanders von der Auseinandersetzung über - zumeist sozioökonomische - Sachthemen geprägt.
Damit ist es jetzt vorbei. In einer "scharfen Eskalation" der Wahlkampfrhetorik seien die demokratischen Kandidaten zu direkten, persönlichen Angriffen übergegangen, wird berichtet. Nachdem Hillary Clinton die Eignung ihres linken Wettbewerbers für das Präsidentenamt in Zweifel zog, feuerte Sanders auf einer Wahlkampfveranstaltung in Philadelphia eine Breitseite gegen die ehemalige Außenministerin: Clinton sei nicht qualifiziert, Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden, wenn sie durch Lobbygruppen wie die Super-PACs (Political Action Committee - PAC) "Zig-Millionen Dollar von Interessensgruppen" erhalte. Allein die Wall Street habe Clinton "15 Millionen US-Dollar" durch ihr Super-PAC zukommen lassen, so Sanders.
Clinton wiederum zog die politische Orientierung von Sanders in Zweifel. Sie sei sich überhaupt nicht sicher, ob Bernie Sanders ein Demokrat sei, erklärte die ehemalige First Lady in einem Interview. Damit versucht Clinton, Stimmung gegen Sanders vor den Vorwahlen in New York zu machen, wo - im Gegensatz zu den üblichen offenen Abstimmungen - nur eingetragene Demokraten stimmberechtigt sind. Bis zum vergangenen Oktober musste man sich als Demokrat registrieren, um bei der am 19. April anstehenden Vorwahl teilnehmen zu können.
Ein Berater von Sanders reagierte auf die Anschuldigungen umgehend: Clinton sei dabei, die Demokratische Partei zu zerstören, um ihre "Ambitionen" realisieren zu können.
Großer Durchbruch für Sanders?
Diese plötzliche Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen den Demokraten ist einem simplen Umstand zuzuschreiben: Das Rennen ist wieder offen. Der Eindruck eines unaufholbaren Vorsprungs Hillary Clintons gegenüber Bernie Sanders, den ihre Kampagne aufzubauen sich bemühte, erodiert zunehmend angesichts einer Serie krachender Wahlniederlagen gegen ihren linken Herausforderer. Clinton muss hart angreifen, da die politische Stimmung im demokratischen Lager zu kippen droht. Von den letzten acht Vorwahlen konnte Sanders sieben für sich entscheiden, zumeist durch erdrutschartige Siege, wie etwa in Washington. Auch der jüngste Vorwahlsieg Sanders' im wichtigen Bundesstaat Wisconsin fiel mit einem Vorsprung von nahezu 13 Prozentpunkten deutlicher aus als prognostiziert.
Der demokratische Sozialist konnte 99 Prozent aller Wahlbezirke in Wisconsin für sich verbuchen und viele Wählerschichten erreichen, die zuvor als ein Wählerreservoir Clintons galten - wie Frauen und Afroamerikaner.
Das Newsportal Politico sprach von einem "großen Durchbruch" von Sanders bei den Vorwahlen im Badger State (Dachs-Staat, so der Beiname Wisconsins). In der Huffington Post spekuliert man bereits darüber, dass diese Vorwahl in Wisconsin einen Wendepunkt im Vorwahlkampf darstellte und der Badger State bereits den nächsten Präsidenten der USA wählte. Das liberale Newsportal Salon sieht Clinton hart angeschlagen, da deren Welt nun "kollabiere".
Immer öfter sehen auch US-weite Umfragen den linken Underdog vor der Präsidentschaftsanwärterin des amerikanischen Politestablishments. Sanders habe Clinton "erwischt", betitelte etwa The Atlantic einen Bericht über die neuste landesweite Umfrage, die den Senator aus Vermont leicht in Führung sieht.
Clinton muss somit in New York einen überzeugenden Sieg erringen, um ihre Position als Favoritin behaupten zu können. Zumal die Relevanz ihrer frühen Siege bei den Vorwahlen im konservativen Süden der USA von den Anhängern von Sanders in Zweifel gezogen wird, da diese Bundesstaaten bei den Präsidentschaftswahlen immer mehrheitlich für Republikaner votieren (es sind sogenannte Red States). Gemäß dem amerikanischen Mehrheitswahlrecht gehen so all diese Stimmen für die Demokraten bei der Präsidentschaftswahl verloren. Deswegen ist es gerade die als seriöse Politikerin auftretende ehemalige Außenministerin der USA, die mit "persönlichen Attacken" gegen Sanders den demokratischen Vorwahlkampf in eine Schlammschlacht verwandelt, wie die Washington Times bemerkte.