Hillary Clintons Nerven liegen blank

Seite 3: In der Einwanderungsgesellschaft USA funktioniert die völkisch-nationale Krisenideologie Europas nicht

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Und dennoch stellt sich die Frage, wieso es in den USA eine breite linke Bewegung, eine zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz solcher Aussagen gibt, die in Deutschland höchstens die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes nach sich zögen. Das kontinentale Europa mit Deutschland als seinem reaktionären Zentrum driftet eindeutig nach rechts, es befindet sich in einer autoritären Phase des Präfaschismus, in der die krisengeschüttelten europäischen Gesellschaften ihr Heil in einer irrationalen nationalen Renaissance, in Chauvinismus und nacktem Rassismus suchen. Im rapide nach rechts rutschenden Deutschland wird inzwischen sogar die Sozialpolitik als ein rassistisches Segregationsinstrument benutzt - unter tätiger Mithilfe national gesinnter Sozialisten. In den USA wird hingegen über Umverteilung, Redemokratisierung, Gleichberechtigung und Entmilitarisierung diskutiert.

In den Vereinigten Staaten entstand ja ebenfalls eine extremistische Rechte (Tea Party: Extremismus der Mitte), wie sie in Europa inzwischen tonangebend ist. Doch stehen Figuren wie Trump vor ungleich größeren Problemen als ihre europäischen Kameraden bei der Mobilisierung von Ressentiments. Es ist in der Einwanderungsgesellschaft der Vereinigten Staaten viel schwerer, eine "äußere" Gruppe zu definieren, die als Projektionsfläche für Ressentiments dienen könnte. Der deutsche Voll- oder Halbnazi kann einfach gegen Ausländer und Flüchtlinge hetzen, um die kulturalistisch oder rassisch definierten Deutschen zu mobilisieren. Sobald aber Trump etwa gegen mexikanische Arbeitsmigranten hetzt, verliert er einen erheblichen Teil der mexikanischen Wählerschaft im Südwesten der USA.

Der Rassismus ist in den Vereinigten Staaten genauso allgegenwärtig wie in Deutschland und weiten Teilen Europas - aber er hat westlich des Atlantiks inzwischen Schwierigkeiten damit, eine Mehrheit zu finden, da die USA sich in einem radikalen demografischen Wandel befinden, "wie noch nie in ihrer Geschichte", so Bloomberg. Die "weißen" nachkommen europäischer Einwanderer in den USA umfassen nur noch rund 60 Prozent der Bevölkerung, wobei ihr Anteil beständig abnimmt. Damit können keine Wahlen mehr mit dem weißen Rassismus gewonnen werden, den Politpsychopathen wie Trump propagieren. Der eigentliche Präsidentschaftswahlkampf wird somit zwischen den Demokraten ausgetragen, wo beide Kandidaten bemüht sind, die Minderheiten in den USA möglichst umfassend einzubinden. Clinton warf Sanders sogar vor, bei den Vorwahlen unter Minderheitenwählern schlechter abzuschneiden als sie.

Die USA sind eine Einwanderungsgesellschaft, die kein rassisch oder kulturalistisch definiertes "Staatsvolk" aufweist. Dies ist die eigentliche Grundlage des deutschen reaktionären Antiamerikanismus (Projektionsfläche Amerika), da der gewöhnliche Halb- oder Vollnazi eine Gesellschaft, die nicht auf einer homogenen Rasse oder Kultur aufbaut, für widernatürlich und entartet hält. Die amerikanische Rechte kann deswegen auf keinen nationalen rassischen Mythos zurückgreifen, auf keine homogene Rasse, Kultur oder Abstammung, um eine entsprechende Krisenideologie auszubilden, bei der der nationalen Volksgemeinschaft eine feindliche Gegengruppe (Ausländer, Flüchtlinge) entgegengestellt würde. Diese Vielschichtigkeit der amerikanischen Einwanderungsgesellschaft bildet somit einen Schutzwall gegen diese in Europa üblichen faschistischen Krisenideologien.

Ihren einzigen großen Linksschwenk erlebten die USA bei der letzten großen Krise des kapitalistischen Weltsystems in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, als Franklin Delano Roosevelt ins Amt gewählt wurde. Der Spätkapitalismus befindet sich nun in einer ähnlichen, potenziell noch viel gefährlichen Krisenkonstellation. Und es ist bekannt, wem Deutschland damals die Stimme gab.