Hillary Clintons Nerven liegen blank

Seite 2: Im einstigen Bollwerk des ungehemmten Kapitalismus steht die Jugend links

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es stellt sich somit vor allem eine Frage: Wie ist es überhaupt möglich, dass in einem Land, das noch vor kurzem als ein Bollwerk des ungehemmten Kapitalismus galt, nun ein "demokratischer Sozialist" realistische Aussichten auf die Präsidentschaft haben kann? Noch vor einigen Monaten wurde Sanders vom politischen Establishment in Washington nur milde belächelt, während Clinton als die "unvermeidliche demokratische Präsidentschaftsanwärterin" galt.

Der linke Herausforderer hat es tatsächlich geschafft, die politische Agenda des Wahlkampfes maßgeblich zu bestimmen und die etablierte Politgröße Clinton vor sich her zu treiben. Der demokratische Wahlkampf dreht sich um klassische linke Kernthemen: um die "soziale Frage", um dem Klassenkampf von Oben, den die Oligarchie des Landes seit Jahrzehnten gegen die Lohnabhängigen führt, um die Macht des Geldes in der Politik, den alltäglichen Rassismus in den USA - und um die zahllosen imperialen Abenteuer der vergangenen Jahre. Die politische Ausrichtung der Sanders-Kampagne kann als links-sozialdemokratisch bezeichnet werden. Vor der großen neoliberalen Wende in den 80ern bezeichneten sich die meisten Sozialdemokraten als Demokratische Sozialisten. Nach rund drei Jahrzehnten neoliberaler Regression in den USA erscheint diese linksbürgerliche Politik, die von einer breiten Graswurzelbewegung getragen wird, als regelrecht revolutionär.

Hillary Clinton am 21. März in Phoenix. Bild: Gage Skidmore/CC-BY-SA-2.0

Der linke Underdog kann Hillary erfolgreich wegen ihrer neoliberalen Politik der vergangenen Jahrzehnten angreifen, da sie gemeinsam mit Bill Clinton und dem Democratic Leadership Council die neoliberale Transformation der Demokratischen Partei vollendete. Sanders kann etwa Clinton - und das demokratische Establishment - erfolgreich wegen der desaströsen neoliberalen Freihandelsabkommen angreifen, die während der Regierungszeit Bill Clintons durchgesetzt wurden. Ähnlich verhält es sich bei der umstrittenen Deregulierung der Finanzmärkte unter Bill Clinton (im Umfeld der Dot-Com-Blase), die von Hillary unterstützt wurde und ihr beste Kontakte zur Wall Street verschaffte. Auch bei der Außenpolitik, wo Sanders inzwischen Clinton aufforderte, sich bei den Opfern des Krieges im Irak zu entschuldigen, befindet sich die ehemalige Außenministerin in der Defensive.

Sanders' Erfolg mit linken Kernthemen ist aber nur deswegen möglich, weil es in den USA einen nennenswerten gesellschaftlichen Linksruck in Reaktion auf den letzten Krisenschub, auf die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09, gegeben hat. Die Krise ließ nach dem Platzen der Immobilienblase die Mittelklasse in den Vereinigten Staaten rasch erodieren, sodass sich vor allem die junge Generation mit massiven Wohlstandsverlusten und rasch voranschreitender Verarmung konfrontiert sieht. Es sind somit gerade diese jungen Menschen, die zu der Stammwählerschaft Sanders' bei den Vorwahlen zählen, während Clinton eher von älteren und gut situierten Demoraten unterstützt wird. Amerikas Jugend steht links. Und dies ist ein dynamischer Prozess, der das Potenzial einer weiteren Radikalisierung in sich trägt.

Die linke Graswurzelbewegung war schon vor dem Wahlkampf von Bernie Sanders da, sie hatte ihren landesweiten Durchbruch bei den Occupy-Wall-Street-Protesten. Der Wahlkampf ist eher durch eine Allianz zwischen der vielschichtigen, netzwerkartigen Bewegung und Sanders gekennzeichnet. Dieser wird zwar vom Mainstream der Massenmedien bei der Berichterstattung klar benachteiligt (sogar der New Yorker machte sich darüber lustig), kann dafür aber auf die Unterstützung der unzähligen linken und progressiven Websites, Videokanäle und Nachrichtenportale zählen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufgebaut wurden. Democracy Now, commondreams, alternet, thruthout, counterpunch, thuthdig, TYT - und wie sie alle sonst noch heißen - erreichen inzwischen viele Millionen von US-Bürgern, sodass eine Gegenöffentlichkeit etabliert und die Meinungshoheit der Massenmedien erfolgreich gebrochen werden konnte. Deren Verdrehungen und Halbwahrheiten bei der Wahlkampfberichterstattung werden mitunter binnen weniger Stunden bloßgestellt.

Wahlkampfplakat von Bernie Sanders

Der Bewegungscharakter der Sanders-Kampagne kommt am klarsten bei deren Finanzierung zum Vorschein. Der demokratische Sozialist weigert sich beständig, Gelder von Super-PACs anzunehmen und ist nahezu ausschließlich auf die Finanzierung durch Kleinspenden angewiesen. Und inzwischen kann er damit mehr Geld für den Wahlkampf akkumulieren als Clinton mit ihrer klassischen Spendentour bei der amerikanischen Oberschicht und Oligarchie. Im März konnte Clinton 29,5 Millionen US-Dollar an Spenden sammeln, während es bei Sanders 44 Millionen Dollar waren (US-Wahlen: Wen unterstützt die Rüstungsindustrie?).

Damit habe der Sozialist die Kandidatin des Establishments im zweiten Monat in Folge bei der Geldakkumulation - die längst einen Großteil der Wahlkampfaktivität umfasst - übertroffen, bemerkte das konservative Wirtschaftsblatt Fortune, das sich den Spaß machte, Sanders diesbezügliche Aussage zu zitieren: "Diese Kampagne bringt Millionen von Menschen zusammen, die im Durschnitt 27 US-Dollar spendeten, um eine Milliardärsklasse herauszufordern, die sich daran gewöhnt hat, Wahlen einfach zu kaufen."