Der bedenkliche Einfluss Chinas und der USA auf die europäische Energiewirtschaft

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Die EU verliert ihre Energiesouveränität. Ukraine-Krieg hat Lage verschlechtert. Nun muss Brüssel handeln. Ein Gastbeitrag.

Die Klimapolitik der EU ist ins Stocken geraten. Der "Green Deal", der darauf abzielt, die CO2-Emissionen in der EU bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken, hatte vielversprechend begonnen. Denn zunächst waren wichtige Regelungen erlassen worden, darunter das Verbot des Verkaufs von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 und das neue Europäische CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism).

Allerdings rebellieren die Europäer zunehmend gegen klimapolitische Restriktionen, deren Vorteile sie kaum erkennen können.

Eine weitere, weniger bekannte, aber ebenso wichtige Bedrohung für die ökologische und energiepolitische Wende in der EU geht von der alarmierend hohen Zahl chinesischer und US-amerikanischer Unternehmen aus, die in den Energiesektor der EU einsteigen.

In unserem Buch Energie: Retrouver une ambition européenne (etwa: Energie: Wiederbelebung einer europäischen Ambition) beleuchten wir dieses vernachlässigte Thema im Vorfeld der Europawahlen im Juni, die für die Energiestrategie der EU von entscheidender Bedeutung sein werden. Wir fordern Brüssel auf, Kooperation und Wettbewerb sorgfältig gegen Souveränität abzuwägen.

China hat ein Auge auf Europas Energiesektor geworfen

Obwohl es derzeit keine quantitativen Daten über Chinas Anteil am europäischen Energiemarkt gibt, wissen wir, dass das Land 80 Prozent der weltweiten Produktionskapazität für saubere Technologien in elf Marktsegmenten besitzt, von Solarwafern bis zu vielen Komponenten für Lithium-Ionen-Batterien.

Carine Sebi ist assoziierte Professorin der Grenoble École de Management.

Unter Ausnutzung der Staatsschuldenkrise in Europa erwarben chinesische Investoren Anfang der 2010er-Jahre erstmals größere Anteile an Wirtschaftsbereichen, die lange als "staatlich" galten; etwa Stromübertragungs- und -verteilungsnetze.

Dazu gehörte primär der größte Energieversorger der Welt, die State Grid Corporation of China (SGCC), besser bekannt als State Grid – nach Umsatz das viertgrößte Unternehmen der Welt (Stand März), hinter Walmart, Saudi Aramco und Amazon. Auch die Three Gorges Corp, die für den weltweit größten Wasserkraftwerkskomplex verantwortlich ist, gewinnt zunehmend an Bedeutung.

In Portugal beispielsweise erhielt Three Gorges Corp. im Jahr 2010 den Zuschlag für den 21-prozentigen Anteil des portugiesischen Staates an EDP-Energias de Portugal SA. In Italien baute SGCC seine Präsenz aus, indem es 2014 gemeinsam mit der italienischen Regierung einen Anteil von 35 Prozent am CDP-Reti-Fonds erwarb und damit eine Sperrminorität am lokalen Gasnetzbetreiber SNAM sowie am Stromübertragungsnetzbetreiber Terna erlangte.

Auch in Griechenland hat State Grid mit dem Erwerb eines Anteils von 24 Prozent am nationalen Stromübertragungsnetzbetreiber durch die griechische Regierung im Jahr 2016 erhebliche Fortschritte erzielt.

Während Portugal, Italien und Griechenland die Hauptziele waren, haben chinesische Investoren auch Netze in Luxemburg erworben. Nicht zuletzt überschwemmt die chinesische Ökotech-Industrie Europa mit billigen Solarzellen und Elektrofahrzeugen.

Die USA drängen auf den EU-Energiemarkt

Entsprechend viel steht auf dem Spiel, zumal China nicht das einzige Land mit Energie-Ambitionen in der EU ist: Auch die USA versuchen, aus der unausgegorenen Energiestrategie des europäischen Blocks Kapital zu schlagen.

Patrick Criqui ist Energieökonom der Université Grenoble Alpes.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat die energiepolitische Vormachtstellung der USA in der Welt und insbesondere in der EU nicht geschwächt. Obwohl erwartet wurde, dass russisches Gas als Brückenkraftstoff für die Energiewende, hauptsächlich für Deutschland, dienen würde, beschloss die EU schnell Sanktionen gegen ihren langjährigen Handelspartner, um ihre Abhängigkeit zu minimieren.

Die USA haben die von Moskau hinterlassene Lücke teilweise gefüllt und sind zum führenden Produzenten und Exporteur von LNG nach Europa geworden. Diese Entwicklung begünstigt den US-Handel, während die heimischen Energiekosten niedrig gehalten werden, was das Preisgefälle weiter vergrößert, Europa einer Energieinflation aussetzt und seine relative Wettbewerbsfähigkeit sowie Attraktivität für energieintensive Industrien untergräbt.

Abgesehen von diesen Fragen der Energieversorgung ringen die EU-Mitgliedstaaten um eine gemeinsame Vision, was die Herausforderungen der Souveränität und der strategischen Autonomie verdeutlicht. Europäische Unternehmen, vornehmlich in Frankreich, bemühen sich um die Entwicklung kleiner modularer Kernreaktoren (SMR) der vierten Generation.

Im November 2023 wurde der Versuch unternommen, eine europäische Nuklearallianz zu gründen. Gleichzeitig haben sich Länder wie Italien, Belgien und Rumänien mit der US-amerikanischen Westinghouse Electric Company zusammengeschlossen, um Bleigekühlte Schnelle Reaktoren zu entwickeln.

Auch hier begünstigt die fehlende Koordination den US-Einfluss in Europa, wie John Kerry im September 2023 bestätigte. Im Rahmen des von US-Firmen geführten internationalen Konsortiums "Clean Fuel from SMR" wurden die Tschechische Republik, die Slowakei und Polen zur Teilnahme ausgewählt.

Sie erhalten Unterstützung für Machbarkeitsstudien zur Umstellung von Kohle auf SMR. Diese EU-Länder wenden sich an die USA, um neue Kernkraftwerke zu bauen, vorwiegend wegen der Finanzierung und des Know-hows, während die EU weiterhin jegliche Unterstützung für Kernkraftprojekte auf ihrem Boden blockiert.

Schwächen beim Netto-Null-Ziel der EU

Der Umfang dieser ausländischen Investitionen in erneuerbare Energien, neue Kernkraftwerke und Netzausbau könnte die strategische Unabhängigkeit der EU in einer Zeit, in der sie sich um Dekarbonisierung bemüht, ernsthaft gefährden.

Angesichts der nach wie vor fragmentierten europäischen Energielandschaft geben diese Investitionen Anlass zur Sorge um die Energiesicherheit des Kontinents:

Kurzfristig zwingen Versorgungsprobleme aufgrund der Energiekrise die EU, sich an andere ausländische Partner – mit Ausnahme von Russland – zu wenden. Das wird das Problem der Energieabhängigkeit nur verlagern.

Längerfristig wird die EU angesichts des chinesischen Preisdumpings und des US-Protektionismus ihre heimischen Energieerzeuger oder Netzbetreiber schützen müssen, nachdem sie diese lange Zeit vernachlässigt hat.

Die größte Herausforderung für die Europäische Union besteht darin, eine Abhängigkeit zu beenden, ohne in eine neue zu geraten. Um die Importe klimaschädlicher fossiler Brennstoffe (Kohle, Gas und Öl) zu ersetzen, müssen die EU-Mitgliedstaaten die Entwicklung ihrer "grünen" Technologien beschleunigen und koordinieren.

Auf dem Weg zur grünen Souveränität

Angesichts dieser Risiken muss die EU nicht nur den Akteuren außerhalb ihrer Grenzen mehr Aufmerksamkeit schenken, sondern auch mehr Verantwortung für ihr eigenes Energiesystem übernehmen. Wie kann sie dies tun und gleichzeitig die im Green Deal verankerte Vision einer "grünen, sicheren und bezahlbaren Energieversorgung" verfolgen?

Zunächst empfehlen wir den EU-Mitgliedstaaten, sich stärker für den Aufbau wirklich europäischer Energienetze einzusetzen. Auf dem Weg zur Dekarbonisierung können wir davon ausgehen, dass unser Stromsystem zunehmend von einer Vielzahl erneuerbarer Energien gespeist wird. Dies erfordert umfangreiche und miteinander verbundene Netze auf europäischer Ebene, die von den EU-Mitgliedstaaten selbst konsolidiert und ausgebaut werden müssen.

Ein zweites Problem ist die Finanzierung von grüner Energie. Im November warnte das European Climate Neutrality Observatory, dass ein Mangel an öffentlichen Investitionen auf EU-Ebene in grüne Energie und andere Fortschritte dazu führen könnte, dass der Block seine Netto-Null-Ziele verfehlt.

Statt auf diese Warnung zu hören, haben die Mitgliedsstaaten im Februar den Fonds für erneuerbare Energien und saubere Technologien – die Plattform Strategische Technologien für Europa (STEP) – auf 1,5 Milliarden Euro gekürzt.

In unserem Buch fordern wir einen radikalen Strategiewechsel, zum einen durch die Einrichtung eines "Europäischen Übergangs-Sparkontos", um private Ersparnisse anzuziehen, zum anderen durch die Schaffung eines "Europäischen Staatsfonds", in den die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung fließen sollen.

Ob diese Vorschläge tatsächlich umgesetzt werden, hängt von den nächsten Europawahlen ab. Ein Ergebnis, das auf mehr europäische Ambition hindeutet, könnte uns helfen, saubere, bezahlbare und sichere Lösungen zu finden. Am anderen Ende des Spektrums könnte sich ein weiterer nationalistischer Rechtsruck negativ auf die Wirtschaftskraft und paradoxerweise die Souveränität des gesamten Europäischen Wirtschaftsraumes auswirken.

Carine Sebi ist assoziierte Professorin und Koordinatorin des Lehrstuhls „Energy for Society“, Grenoble École de Management (GEM).

Patrick Criqui ist emeritierter Forschungsdirektor am Centre national de la recherche scientifique und Energieökonom der Université Grenoble Alpes (UGA).

Michel Derdevet, Vorsitzender der Organisation Confrontations Europe, hat an diesem Artikel mitgewirkt.

Der vorliegende Beitrag erschien zuerst auf Englisch bei dem Online-Magazin The Conversation.