Deutschland: Befürchtungen vor Sabotage-Akten auf kritische Infrastruktur
Innenministerin Faeser verspricht besseren Schutz, fordert mehr Krisenresilienz und will sich mit einer Gesetzesvorlage beeilen; Städtetag-Vertreter warnt vor Blackouts und begrenzter Notversorgung, "maximal 72 Stunden". Verfassungsschützer sehen viele Sicherheitslücken.
Die Gefährdung der kritischen Infrastruktur (im Amtsdeutsch kurz: Kritis) ist nun mit neuer Dringlichkeit Angst- und Sorgenthema der politischen Diskussion. Sind die Kritis-Anlagen in Deutschland gut genug geschützt, was passiert im Notfall?, lauten die Fragen, die viele Jahre vor allem Science-Fiction-Autoren beschäftigt hat oder Ausblicke auf Auswirkungen des Klimawandels.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sorgt heute mit ihrer Ankündigung, dass sie sich um einen besseren Schutz der kritischen Infrastruktur bemühen und mit dem Kritis-Dachgesetz beeilen wolle, für Schlagzeilen .
Begleitet wird dies von Aussagen des Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, der den Blackout als "realistisches Szenario" beschreibt und warnend davon spricht, dass man sich in Deutschland darauf einstellen müsse, dass "verschiedene Krisensituationen aufeinandertreffen". Sein Ausblick:
Eine funktionierende Notversorgung mit Wasser und Wärme ist nur über maximal 72 Stunden möglich.
Helmut Dedy, Deutscher Städtetag
Als Problem stellt Dedy heraus, dass die Bevölkerung "bisher unerfahren mit Krisen und Katastrophen" sei, weswegen es nun "kontinuierliche, transparente und niedrigschwellige Aufklärung über mögliche Risiken" wichtig werde. Daher fordert er, dass "Kampagnen zur Selbstschutz- und Selbsthilfefähigkeit müssen deutlich stärker und breiter ausgerollt werden."
"Zeitenwende für die innere Sicherheit"
Die Sabotage am Kabelnetzwerk der Bahn, die vor einer Woche zu großflächigen Zugausfällen im Norden Deutschlands führten, hatten die Diskussion über eine neue Bedrohungslage angefacht.
"Jede Umspannstation, jedes Kraftwerk, jede Pipeline kann attackiert werden, kann ein mögliches Ziel sein", sagte General Carsten Breuer, Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos, in einem Interview am vergangenen Sonntag. Mit drastischen Worten: "Krieg in Europa ist wieder möglich." untermalte er seine Befürchtungen:
"Es geht hier nicht um eine feindliche Armee mit Soldaten und Panzern, die unser Land angreift. (…) Aber es gibt Einflussnahmen, mit Anschlägen auf Infrastruktur und mit Cyberangriffen, oder zum Beispiel Aufklärungsflüge mit Drohnen über Kasernen. Also Nadelstiche, die in der Bevölkerung, die bei uns Verunsicherung schüren und das Vertrauen in unseren Staat erschüttern sollen.
General Carsten Breuer
Auch für Innenministerin Nancy Faeser ist der Ukrainekrieg, wo auch heute die russischen Angriffe auf Infrastruktur-Einrichtungen fortgesetzt werden, Hintergrund für die Wahrnehmung einer neuen kritischen Lage: "Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine markiert auch in der inneren Sicherheit eine Zeitenwende. Dafür wappnen wir uns", sagte sie der SZ.
Kritis-Dachgesetz soll schnell kommen
Noch in diesem Jahr wolle sie Eckpunkte für ein Kritis-Dachgesetz vorlegen. Aufgabe sei aber auch, dass sich die Betreiber "umfassend gegen Gefahren wie Naturkatastrophen, Terrorismus, Sabotage, aber auch menschliches Versagen wappnen". Von Regierungsseite ist beabsichtigt, weitere Meldepflichten für Sicherheitsvorfälle einzuführen. Auch damit werde die Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa gestärkt, verspricht die Innenministerin:
Wir müssen Risiken und Bedrohungslagen früh erkennen, Gefahren stärker vorbeugen - und die Krisenresilienz insgesamt erhöhen.
Nancy Faeser
Bislang waren die Koalitionskollegen von der FDP, den Grünen und die Opposition aus der Union mit den Bemühungen der Innenministerin zum Schutz der kritischen Infrastruktur in Deutschland nicht einverstanden. Sie drängten auf mehr Tempo und Initiative.
"Wie viel Schutz ist eigentlich möglich?"
In den aktuellen Wochenendausgaben der Zeitungen werden "Deutschlands wunde Punkte" aufgezählt. Vom Bundeskriminalamt wird in der SZ übermittelt, dass man dort nach den Sabotageakten weitere Angriffe für möglich hält "auch in quantitativ und ggf. auch qualitativ gesteigerter Form".
Als Zielspektrum macht das BKA "Stromleitungen oder Internetkabel, Offshore- oder auch Windkraftanlagen an Land sowie Flüssiggasterminals" aus. Vor allem die Betreiber von Energie-Anlagen und Netzen mahne das Amt zu "äußerster Vorsicht".
Aber: "Wie viel Schutz ist eigentlich möglich?", fragt die Süddeutschen Zeitung.
Eine Antwort gibt die Dimension der Anlagen. Allein 36 000 Kilometer ist das Höchstspannungsnetz lang, weitere 96 000 Kilometer umfasst das Hochspannungsnetz. Sogar mehr als eine halbe Million Kilometer misst das deutsche Gasnetz. Besonders heikel sind bestimmte Abschnitte: etwa Leitungen, die von den großen Gasspeichern aus ins Land führen. Vieles mag sich mit Zäunen, Kameras oder sogar Lkw-Sperren schützen lassen. Ob sich Angriffe damit abwehren lassen, ist eine andere Frage.
SZ, Warnstufe rot
In der Welt werden indessen ungenannte Verfassungsschützer zitiert, die auf andere Sicherheitslücken aufmerksam machen. Unbewachte Leitungen in der Landschaft würden nicht die größte Sicherheitslücke bilden, vielmehr liege diese bei den Computernetzwerken, etwa "von Verkehrsunternehmen, Energiefirmen, Kliniken oder Stadtwerken".
Man sei, besonders bei kleineren Infrastruktur-Betreibern viel zu schlecht gegen Cyberattacken abgesichert, das größte Risiko seien "einfach zu knackende Passwörter oder Mitarbeiter, die sorglos gefährliche E-Mail-Anhänge öffnen", so erleichtere man es Hackern, dass sie via Intranet Zugriff auf Steuerungssysteme für Strom, Gas oder Wasser bekommen.