Nach Angriffen auf Politiker: Wer braucht wirklich Sonderrechte?

Politische Sicherheitsdiskussion in einer öffentlichen Bibliothek

Intensive Debatte über Sicherheitsmaßnahmen und die Reaktionen auf Angriffe gegen Politiker.

(Bild: KI-generiert)

Politiker fordern härtere Strafen für Angriffe auf ihre Person. Doch wer schützt die wirklich Schutzbedürftigen in Deutschland? Ein Kommentar.

Der Staat soll wieder ein Stück autoritärer werden. Medien und Politik wollen die Strafen für Angriffe auf Politiker verschärfen. Hintergrund sind Berichte über Angriffe auf Politiker in jüngster Zeit. Der sächsische SPD-Spitzenkandidat für Europa, Matthias Ecke, wurde in Dresden von Jugendlichen, von denen mindestens einer Kontakte zur rechten Szene haben soll, schwer verletzt.

Angriffe auf Politiker: Ruf nach härteren Strafen

Deutlich glimpflicher verlief der Angriff eines Rentners auf die Berliner SPD-Politikerin Franziska Giffey in einer Bibliothek in Neukölln. Er hatte mit einer Tasche nach der SPD-Politikerin geschlagen, die dabei leicht verletzt wurde. Dennoch wurde der Rentner in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, weil angeblich eine psychische Erkrankung vorliege.

Dieses Vorgehen wirft in mehrfacher Hinsicht Fragen auf. Warum wird hier ein Angriff auf einen Politiker mit einer Krankheit in Verbindung gebracht? Wäre das auch passiert, wenn er einen Obdachlosen oder einen Flüchtling in ähnlicher Weise angegriffen hätte?

Außerdem sind die Zeiten vorbei, in denen die Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung gleich die Einweisung in eine geschlossene Anstalt bedeutete. Dafür haben Psychiatrie-Erfahrene gekämpft und daran erinnert, dass auch psychisch Kranke Rechte haben.

Die Einweisung in eine psychiatrische Klinik darf nur erfolgen, wenn die Gefahr einer Selbst- oder Fremdgefährdung besteht, z. B. bei Brandstiftung. Ob eine Körperverletzung wie im Fall Giffey dazu gehört, werden vielleicht bald auf die Rechte von Psychiatrie-Erfahrenen spezialisierte Anwälte klären.

Giffey ist unbeliebt und hat viele Gegner

Auch in der Berliner Bevölkerung sind es keine politischen Fanatiker, die nüchtern feststellen, dass die Politikerin eben nicht sehr beliebt ist. Schließlich wurde sie bereits am 1. Mai 2023 in Berlin auf der Maikundgebung von Gewerkschaftern ausgebuht und mit Eiern beworfen.

"Ich bin ganz klar gegen den Angriff auf Frau Giffey, aber die Politiker sollen sich nicht auch noch Bibliotheken und Schwimmbäder für ihre Auftritte vor Wahlen aussuchen. Dort gibt es Menschen, die das als Belästigung empfinden", sagt Erika Schneller.

Auch Giffeys Aussage nach dem Überfall, sie wolle wie jeder andere Bürger überall hingehen können, auch in Schwimmbäder oder Bibliotheken, kann die pensionierte Lehrerin nicht nachvollziehen. "Diese hochbezahlten Entscheidungsträger sind keine Bürger wie wir und die sollen vor Wahlen auch nicht diesen Eindruck erwecken", stellt sie klar.

Gesetzesverschärfungen nach Angriffen auf Politiker: Ein demokratisches Dilemma?

Verfolgt man die aktuelle Diskussion um Gesetzesverschärfungen nach Angriffen auf verschiedene Politiker, verstärkt sich dieser Eindruck noch. Politiker äußern, dass ein Angriff auf sie mehr als eine Anklage wegen Körperverletzung zur Folge haben müsse.

So sagte SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann der Welt: "Ziel der Taten ist nicht die Körperverletzung als solche. Den Tätern geht es um den Angriff auf unser demokratisches System und insbesondere die Behinderung von freien Wahlen. Es soll ein Klima der Verunsicherung und des Hasses geschaffen werden."

Politisches Stalking: Ein neuer Straftatbestand gegen Übergriffe auf Politiker?

Der Weg zu Forderungen nach Strafverschärfungen, die weit über den Schutz von Politikern vor körperlicher Gewalt hinausgehen, ist nicht weit. So hat die sächsische Landesregierung einen Gesetzentwurf gegen politisches Stalking von Politikern, primär auf kommunaler Ebene, eingebracht.

In der Erklärung des sächsischen Justizministeriums heißt es dazu:

Kern des Gesetzesvorhabens ist die Schaffung eines neuen Straftatbestands der Beeinflussung von Amts- und Mandatsträgern durch sog. politisches Stalking. Damit sollen Entscheidungsträger gerade auch auf kommunaler Ebene vor einer Einflussnahme durch bedrohliche Übergriffe in ihr Privatleben geschützt werden. Bislang straflos gebliebene Fälle, in denen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bis zu deren Rücktritt immer wieder eingeschüchtert und angegriffen wurden, sollen damit durch das Strafrecht besser erfasst werden.

Demokratie in Gefahr: Stalking-Gesetz könnte Widerstand kriminalisieren

Diese Initiative wurde bisher von der Innenministerkonferenz nicht aufgegriffen. Sie wäre auch ein massiver Eingriff in die Demokratie. Denn was hier als Maßnahme gegen Stalking daherkommt, kann schnell den Widerstand gegen in der Bevölkerung unbeliebte Bauprojekte kriminalisieren.

Es ist bezeichnend, dass dieser Vorstoß ausgerechnet von einer Ministerin und einem Mitglied der Grünen kommt, die in ihrer Jugend durch massive Einflussnahme auf Politiker bekannt geworden sind, die der "Atomlobby" angehörten, wie es damals hieß.

Vorschläge für weitere Sonderrechte für Politiker wären damals bei den noch nicht etablierten Grünen auf heftigen Widerstand gestoßen. Der Vorstoß ist auch deshalb bedenklich, weil mit dem Paragrafen 188 des Strafgesetzbuches (StGB) Politiker bereits in besonderer Weise geschützt sind – wenn auch nicht vor "Stalking".

Schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen: Wer benötigt wirklich Sonderrechte?

Es gäbe jedoch Bevölkerungsgruppen, die besonders marginalisiert seien und einen besonderen Schutz vor Übergriffen bräuchten. Dazu gehören Flüchtlinge, die aus rassistischen Gründen angegriffen werden, sowie arme und obdachlose Menschen.

Die Recherchegruppe Death in Custody sammelt seit Jahren Fälle von Menschen, die in Polizeigewahrsam zu Tode gekommen sind. Die Aktivisten sind mittlerweile davon überzeugt, dass Rassismus und Klassenlage bei den untersuchten Todesfällen Hand in Hand gehen.

Gewalt gegen Obdachlose: Ein unterschätztes Problem

Die Betroffenen sind oft Menschen mit geringem Einkommen, deren Namen oft nicht einmal bekannt sind. Immer wieder werden sie auch auf der Straße angegriffen, wo sie sich oft gezwungenermaßen die meiste Zeit aufhalten müssen. So starb erst vor wenigen Tagen ein 57-jähriger Obdachloser im Allgäu an einer Hirnblutung, nachdem er von einem Jugendlichen angegriffen worden war.

Im Jahr 1990 tötete ein Mann in der Frankfurter Innenstadt innerhalb weniger Monate acht Obdachlose. Er hatte ihnen an ihren Treffpunkten und Schlafplätzen aufgelauert und sie dann regelrecht hingerichtet. Nach seiner Festnahme zeigte sich der Täter ohne Schuldbewusstsein. Er habe nur die Stadt säubern wollen.

Diese Mordserie erregte nicht annähernd so viel öffentliche Aufmerksamkeit wie die heutigen Angriffe von Politikern. Rassistisch Bedrohte, Wohnungs- und Obdachlose sollten durch Sondergesetze besonders geschützt werden, nicht privilegierte Politiker.