Beschwerdewelle gegen neues Infektionsschutzgesetz

Novelle beschäftigt nun das Bundesverfassungsgericht. Eingeschränkter Rechtsweg und Ausgangssperren in der Kritik
Das in der vergangenen Woche zum wiederholten Male überarbeitete Infektionsschutzgesetz beschäftigt in dieser Woche das Bundesverfassungsgericht. Nachdem die umstrittene Regelung im Eilverfahren Bundestag und Bundesrat passiert hat sowie von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnet wurde, sind bei den Richterinnen und Richtern in Karlsruhe zahlreiche Verfassungsbeschwerden und Eilanträge eingegangen. Die Eingaben richten sich nach Angaben des Gerichtes gegen die "Bundes-Notbremse" als Ganzes oder auch gegen einzelne Maßnahmen wie die nächtliche Ausgangssperre.
Ein Gerichtssprecher bestätigte auf Anfrage, dass alleine am Donnerstag und Freitag vergangener Woche gut zwei Dutzend Anträge zur Prüfung des Gesetzes eingegangen seien. Ständig – und auch zu Beginn dieser Woche – nimmt das Gericht neue Eilanträge entgegen.
Beim Bundesverfassungsgericht bündelt sich derzeit der gesamte Widerspruch gegen das neugefasste Gesetz, weil die Konstruktion der Novelle selbst den Rechtsschutz über Verwaltungsgerichte ausschließt. Auch diese eingeschränkte Möglichkeit des Widerspruchs ist Teil der Kritik an dem überarbeiteten Infektionsschutzgesetz.
Die bundesweit verbindlichen Regeln waren am Samstag in Kraft getreten. Widerspruch hatten unter anderem die FDP, die Freien Wähler und die in Berlin ansässige Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) angekündigt. Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post kündigte einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht an.
Verwaltungsgerichte außen vor
Am Donnerstag hatte der Rechtsanwalt Claus Pinkerneil bestätigt, dass er sich an das Gericht in Karlsruhe gewandt hat. Der Jurist monierte vor allem, dass ich das novellierte Gesetz der Kontrolle der Verwaltungsgerichte entzieht. Pinkerneil hoffe mit seiner Verfassungsbeschwerde eine Ausfertigung des neuen IfSG durch Bundespräsident Steinmeier zu stoppen, was ihm zunächst nicht gelang.
Auch in der vergangenen Woche hatte der Würzburger Jurist Henrik Eibenstein bei Telepolis darauf hingewiesen, dass es sich bei dem erneuerten IfSG nicht um eine typische Rechtsgrundlage des Gefahrenabwehrrechts handelt, sie also Tatbestand und Rechtsfolge enthält. Vielmehr würden die Verbote unmittelbar im Gesetz geregelt, so Eibenstein: "Insoweit dem Einzelnen unmittelbar durch ein Bundesgesetz ein bestimmtes Verhalten auferlegt bzw. untersagt wird, wird er hiergegen nicht mehr - wie bislang - vor den Verwaltungsgerichten Rechtsschutz suchen können", erklärte er.
Neben diesen Fragen des Rechtsschutzes sorgen auch die im novellierten Infektionsschutzgesetz festgelegten nächtlichen Ausgangssperren für Kontroversen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der die Ausgangssperren kritisch sieht, hofft auf eine rasche Entscheidung in Karlsruhe. "Es wäre gut, wenn das Bundesverfassungsgericht diese Frage möglichst bald klärt", sagte er der Augsburger Allgemeinen.
Landkreise kennen die Lage besser
Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, kritisierte indes das überarbeitete Infektionsschutzgesetz, weil es von Berlin aus die Lage im ganzen Bundesgebiet beurteilen zu können vorgebe. Der nun definierte Inzidenzwert von 100 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern und Woche habe zu wenig Aussagekraft, beanstandete der CDU-Politiker im ZDF. Die Verantwortlichen vor Ort seien viel besser in der Lage, zusätzlich die Situation etwa in den Krankenhäusern einzuschätzen.
Eine Gegenposition nahm der Intensivmediziner Uwe Janssens ein, der auch Mitglied des Divi-Intensivregisters ist. "Angesichts von nahezu wieder 1.000 Toten diese Woche, finde ich es sehr, sehr bedenklich, wie hier vorgegangen wird", sagte er am Donnerstag mit Blick auf die Klagen und Eilanträge gegen die sogenannte Bundesnotbremse.
Er sehe nicht die Verhältnismäßigkeit gegen eine Ausgangsperre ab 22 Uhr vorzugehen, angesichts der Menschen, die auf seine Intensivstation kämen und dem Sterben nahe seien, sagte der Mediziner: "was ist denn mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben?", fragte Janssens im Rundfunk Berlin-Brandenburg.
Dessen ungeachtet sorgen die Auswirkungen der Corona-Schutzmaßnahmen vor allem in den besonders betroffenen Branchen weiter für Unmut. "Für uns und die gesamte Kultur ist das Infektionsschutzgesetz eine Katastrophe", sagte etwa der Intendant des Berliner Ensembles der Deutschen Presse-Agentur.
Das pauschale Verbot gleichermaßen von Innen- und Außenveranstaltungen und das starre Abstellen auf einen Inzidenzwert machten jegliche Planung von Kulturevents auch in diesem Frühling und Sommer unmöglich.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.