Birgit Mahnkopf: "Alles daran setzen, die Kriegsrhetorik zu beenden"

Kriegsszene in Gaza

Kriegsszene in Gaza

(Bild: Anas-Mohammed/Shutterstock.com)

Wir haben uns an den Wirtschaftskrieg gewöhnt, meint unsere Gesprächspartnerin. Andere Herausforderungen werden dabei oft ausgeblendet. Ein Telepolis-Interview.

Deutschland wird seit dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine 2022 verstärkt militarisiert. Bundeskanzler Scholz rief am 27. Februar 2022 eine "Zeitenwende" aus, der Bundestag beschloss ein 100 Milliarden-Euro-Sondervermögen Bundeswehr und die Erhöhung des Rüstungsetats auf mindestens zwei Prozent des BIP.

Dagegen regt sich Protest, wie am kommenden 3. Oktober bei der Friedensdemonstration "Nein zu Kriegen!" in Berlin. Zahlreiche Wissenschaftler unterstützen den Aufruf – ein Anlass, wissenschaftliche Perspektiven auf die Militarisierung zu beleuchten.

▶ Am 3. Oktober findet in Berlin die bundesweite Friedensdemonstration "Nein zu Kriegen!" statt. Zahlreiche Wissenschaftler rufen dazu auf, darunter auch Sie. Frau Mahnkopf, was bewegt Sie dazu?

Birgit Mahnkopf: Seit 20 Jahren sind wir Zeugen des sogenannten Kriegs gegen den Terror, in dessen Folge der Irak, Libyen, Syrien und immer wieder der Libanon verwüstet wurden. Israel führt seit 50 Jahren einen Krieg gegen die Palästinenser. Seit dem Überfall der Hamas auf jüdische Siedler setzt dieser ganz neue Maßstäbe für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, etwa durch den gezielten Einsatz von tödlichen Drohnen gegen palästinensische Kinder und Jugendliche. Im Sudan tobt seit über einem Jahr ein Bürgerkrieg, der bereits 150.000 Menschen das Leben gekostet und 12 Millionen vertrieben hat, was hierzulande aber nur wenige berührt. Hingegen wurde der seit 2022 anhaltende russisch-ukrainische Krieg zum Anlass genommen, in Deutschland und anderen EU-Staaten eine Militarisierung von Politik und Wirtschaft in Gang zu setzen.

Vor diesem Hintergrund muss ein Mensch schon sehr dumm sein, wenn ihm der von Günther Anders angesichts der atomaren Bedrohung geforderte "Mut zur Angst" gänzlich abgeht. Signum unserer Zeit sind nicht länger die Regeln des friedlichen Zusammenlebens, die seit den 90ern den Abbau von Grenzen, die Ausdehnung von Märkten, von Anlagesphären für Kapital, Welthandel und Direktinvestitionen geprägt haben. Signum unserer Zeit sind Kriege in vielfältiger Gestalt. Sie werden im 21. Jahrhundert nicht allein mit territorialen Eroberungen geführt; sie sind auch ökonomische und Finanzkriege. Sie werden mit der hard power von Sanktionen und Embargos geführt, mit Protektionismus, auf Basis von ökonomischem Nationalismus. Die Kriegsmetaphorik ist allgegenwärtig: Wir haben uns an den Wirtschaftskrieg der westlichen Verbündeten gegen Russland gewöhnt – und an den der USA gegen China. Es war lange die Rede von einem Energiekrieg, den Russland gegen die EU geführt haben soll und von einem Chipkrieg, den die USA vorgeblich gegen China führen müssen – der aber vor allem seine Verbündeten trifft. Parallel dazu ist ein Subventionskrieg zwischen den USA und der EU in Gange. Ein Krieg um den Ölpreis zwischen den USA und der OPEC+, der in einen Krieg um die Weltwährung Dollar einmünden könnte, kann jederzeit beginnen.

Es fehlt an Investitionen

▶ Die militärische Eskalation und verhärtete Konfrontation gefährden klimapolitische Vorhaben. An welchen Stellen sehen Sie die Gefahr eines klimapolitischen Scheiterns?

Birgit Mahnkopf: Die geopolitische Konflikte werden den andauernden Krieg gegen den Planeten eskalieren. Dieser wird immer noch verharmlosend als Klimakrise bezeichnet. In westlichen Industriestaaten deutet derzeit nichts auf eine grüne Wende bei Energieverbrauch und -erzeugung, Mobilität, Wohnen, Konsum und noch weniger in der Landwirtschaft oder der auf energieintensive Digitalisierung ausgerichteten Industriepolitik. Bekundungen zu Ausbauzielen bei Wind- und Solarstrom gibt es zuhauf. Doch es fehlen private wie öffentliche Investitionen in Netze, Konverter und Speicher. Zudem werden Ankündigungen auf beiden Seiten des Atlantiks durch Regierungsentscheidungen unterlaufen, die weiter auf fossile Energieträger setzen und ansonsten – wie in Hochzeiten des Imperialismus – den Zugriff auf strategisch wichtige Rohstoffe anstreben. Das wird ihnen heute durch den Systemrivalen China erschwert, stärken die durch China angestoßenen Bündnisse mit rohstoffreichen Ländern des globalen Südens doch zumindest deren Verhandlungsmacht.

▶ Um die Klimakatastrophe zumindest einzudämmen, müsste die Politik sich an einem ökologischen Imperativ ausrichten. Der Umweltbewegung käme dabei eine wichtige Rolle zu. Was könnte ein stärkeres Zusammengehen von Klima- und Friedensbewegung bewirken?

Birgit Mahnkopf: Kriege vernichten das Leben von Pflanzen, Tieren und Menschen in großer Zahl und auf lange Zeit. Kriegsgegner haben meist allein das Leben von Menschen im Blick, obwohl deren Zukunft vom Überleben der nicht-menschlichen Natur abhängt. Hier könnte die Umweltbewegung helfen, Blick und Begründung für "Nie wieder Krieg" zu schärfen. Zudem erzeugen Ressourcenextraktion und -verarbeitung, die der Herstellung tödlicher Waffen vorausgehen, Schadstoffemissionen, die Wasser und Böden degradieren und einen erheblichen Anteil an der Erderwärmung haben. Die Kosten des Wiederaufbaus nach Kriegseinsätzen, auf die private Investoren spekulieren, gehen in der Regel zu Lasten sozialer Maßnahmen, die notwendig sind, um den inneren Frieden in einem Land zu gewährleisten. Das kann weder der Klima- noch Friedensbewegung egal sein.

Ende der Kriegsrhetorik

▶ Wo besteht der größte Investitionsbedarf im Klimaschutz? Könnte eine zivile, klimapolitisch orientierte BRD globale Impulse setzen, um die Klimakatastrophe noch zu verhindern?

Birgit Mahnkopf: Der Bedarf bei allen Infrastrukturen zur Stromerzeugung ist bekannt. Ohne billige chinesische Solaranlagen und Komponenten für Windkraftanlagen sähe es noch düsterer aus. Doch wir müssen vor allem regionale Wirtschaftsstrukturen aufbauen, die mit weniger Energie, Mobilität und Naturverbrauch auskommen. Auch braucht es eine Umlenkung aller Fördermaßnahmen für die Landwirtschaft zugunsten ökologisch tragfähiger Strukturen. Und eine Qualifizierungsoffensive, die nicht nur den absehbaren Arbeitskräftemangel bekämpft, sondern Bildung und Ausbildung so umgestaltet, dass junge Menschen bereit und fähig sind, das ökologisch gebotene Wiedernutzen, Umnutzen und Recyceln bereits bestehender Materialien und Strukturen als Kern ihres künftigen Berufs zu akzeptieren. Ob aus ökologischen Rettungsmaßnahmen im eigenen Land globale Impulse erwachsen, kann unser Hauptmotiv nicht sein. Es sollte zunächst alles daran gesetzt werden, die Kriegsrhetorik zu beenden und den für die Menschheit ausweglosen Krieg gegen den Planeten einzudämmen.

Benjamin Roth sprach mit Birgit Mahnkopf. Sie ist emeritierte Professorin für Europäische Gesellschaftspolitik im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.