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Bitcoin crasht um fast 40 Prozent vom Allzeithoch

Doch lieber altmodisches Gold? Symbolbild: TamimTaban auf Pixabay (Public Domain)

Doch kein sicherer Hafen? Finanzmarktspekulation, Hackerangriffe und Inflation

Bitcoin, der bedeutendste unter den Kryptowerten, entstand 2009 als Reaktion auf die Finanzkrise. Der wundersamen Geldvermehrung durch Zentralbanken und Kreditvergabe – die inzwischen tatsächlich noch viel größere Ausmaße angenommen hat – sollte ein dezentrales, in seiner Menge fest beschränktes und kryptografisch gesichertes digitales Gut entgegengesetzt werden. Doch ist Bitcoin oder ein anderer der inzwischen über 10.000 Kryptowerte wirklich der Ausweg?

Die nunmehr fast 19 (von maximal 21) Millionen errechneten Bitcoin wechseln momentan für rund 50.000 US-Dollar pro Einheit den Besitzer. Damit schafft es der nicht nur älteste, sondern finanziell auch bedeutendste Kryptowert auf eine Marktkapitalisierung von fast einer Billion Dollar.

Doch Obacht: Die "Marktkapitalisierung" ist ein gedachter Wert, der die Menge mit dem zurzeit gehandelten Preis multipliziert. Jedem sollte klar sein, dass der Kurs sehr schnell gegen null tendieren würde, wenn auf einmal alle 19 Millionen Bitcoin auf den Markt kämen.

Hohe Kursschwankungen

Erst am 10. November erreichte der Kryptowert sein Allzeithoch von 69.000 Dollar. Seitdem verliert er aber fast ununterbrochen an Wert. Kurze Gegenbewegungen wurden sofort wieder abverkauft. Am vergangenen Wochenende crashte er dann sogar fast auf 42.000 Dollar. Das waren fast 40 Prozent unter dem Allzeithoch und riss so gut wie alle anderen Kryptowerte mit nach unten.

Zuvor war die Börsenwoche vom 22. November mit einem schwarzen Freitag zu Ende gegangen, bei dem es nicht um vorteilhaftes Shopping ging: Berichte über die neu entdeckte Omikronvariante des Coronavirus hatten die Märkte verunsichert. Verstärkt wurden die negativen Schlagzeilen durch den amerikanischen Feiertag Thanksgiving, weswegen die dortigen Börsen kürzer geöffnet waren.

Obendrein brachte die US-Notenbank dann auch noch die Erhöhung des Leitzinses ins Gespräch, die jetzt im Laufe von 2022 erwartet wird. Damit will man die steigenden Preise (Inflation) bremsen. Für Unternehmen, die vor allem auf Wachstum setzen, aber noch nicht profitabel sind, ist das Ende der "Zeit des billigen Gelds" aber ein Problem. Dann können sie sich nicht mehr so leicht verschulden, geraten vielleicht sogar in die Insolvenz.

Unsicherheit durch Omikron und steigende Zinsen, dazu kürzere Handelstage – das waren die Zutaten für eine heftige Börsenkorrektur. Wichtige Börsenindizes wie der amerikanische S&P 500, der Tech-Index NASDAQ oder der deutsche DAX verloren in der Folgewoche vom 29. November deutlich. Letzterer fiel beispielsweise von rund 16.300 fast auf 15.000 Punkte, also fast um 8 Prozent. Vor allem spekulative Einzelwerte verloren schnell mal 10, 20, 30 oder noch mehr Prozent an Wert.

Gegenwind für Kryptowerte

Haben die Kryptowerte diese Kursbewegungen nach unten am vergangenen Wochenende nur nachgeholt? So einfach ist es nicht. Zu der allgemein unsicheren Lage kam beispielsweise ein Hack der Kryptobörse BadgerDAO, bei dem Werte in Höhe von rund 120 Millionen Dollar gestohlen wurden. Darauf folgte am Wochenende ein Hack der Börse Bitmart, bei der sogar fast 200 Millionen abhandenkamen.

Zwar haben viele langfristig orientierte Besitzer von Kryptowährungen diese auf externer Hardware oder lokaler Software gespeichert. Für kurzfristige Anleger und Spekulanten ist das aber nicht nur teurer, sondern auch viel langsamer. Daher lassen sie ihre Werte bei den Börsen liegen, wo es immer wieder einmal zu Hacks kommt.

Kurz vor dem kritischen Wochenende hatte zudem Charlie Munger, rechte Hand des Börsengurus Warren Buffet und Vizechef von dessen legendärer Investmentfirma Berkshire Hathaway, auf einer Investorenkonferenz in Sidney vernichtende Kommentare über Kryptowerte abgegeben [1].

Der Vorzeigekapitalist lobte tatsächlich China dafür, die Werte bereits verboten zu haben. Munger verglich die derzeitige Lage bei Bitcoin & Co. mit der Dotcom-Blase der 1990er – bloße seien die Kryptowerte noch schlimmer. Es wäre besser gewesen, sie nie erfunden zu haben.

Negatives Chartbild

Auch das Chartbild sieht zurzeit nicht sehr positiv aus. Im Sommer stürzte Bitcoin auf rund 30.000 Dollar, nachdem China weitere Restriktionen einführte [2]. Im Herbst hielt sich der Kryptowert dann bei rund 40.000 und jetzt bei rund 50.000 Dollar. Darin könnte man zwar einen positiven Trend sehen. Bitcoin liegt aber zurzeit fast 10.000 Dollar unter seinem gleitenden Monatsdurchschnitt und auch andere Indikatoren sind eher negativ [3].

Bitcoin in US-Dollar, im Wochenchart: Man sieht einen generellen Aufwärtstrend mit neuen Höchstwerten im Februar, März, April und dann wieder Oktober und November 2021. Im Sommer hielt sich der Kryptowert nach einem Abverkauf bei um die 30.000 Dollar, im Herbst dann um 40.000. Im Crash vom Wochenende fiel Bitcoin wieder in diesen Bereich, wurde in den letzten Tagen aber durch Käufe im Bereich um 50.000 Dollar gestützt. Zurzeit liegt er deutlich unter dem gleitenden Monatsdurchschnitt (blaue Linie). Quelle: Mit freundlicher Genehmigung von Tradingview.com

Da man anders als bei börsennotierten Firmen, die in regelmäßigen Abständen bestimmte Unternehmensdaten veröffentlichen müssen, bei den Kryptowerten keine Kennzahlen für einen inneren Wert hat, orientieren sich viele Anleger an der Chartanalyse. Korrekt ist allerdings auch, dass jemand, der vor einem Jahr Bitcoin gekauft und gehalten hat, sein Investment mehr als verdoppelte (plus 150 Prozent). Wenn man nur im richtigen Moment kauft.

Erwartungen nicht erfüllt

Für Ernüchterung könnte auch sorgen, dass das Modell des Bitcoin-Gurus "PlanB", dem auf Twitter 1,6 Millionen Nutzer folgen, nun deutlich daneben liegt. Noch im November hätte der Kryptowert demnach auf fast bis zu 100.000 Dollar steigen sollen. Für das Jahr 2025 sagt er sogar einen Wert von 1 Million Dollar pro Bitcoin voraus. Auch viele andere Krypto-Experten hatten zum Jahresende das Erreichen sechsstelliger Dimensionen in Aussicht gestellt.

Soll man nun in Bitcoin oder andere Kryptowerte investieren oder nicht? Ebenso könnte man fragen: Soll man beim Roulette auf Rot oder Schwarz setzen? Im Glücksfall wird man seinen Einsatz verdoppeln, sonst alles verlieren. Die Wahrscheinlichkeit für den Gewinn liegt (wegen der farblosen Null) etwas unter 50 Prozent. Darum gewinnt langfristig vor allem die Bank.

Klar sollte sein, dass Bitcoin und andere Kryptowerte nicht der "sichere Hafen" sind, als den manche sie darstellen. Immer wieder hat sich gezeigt, wie die Preise durch durchgeführte oder auch nur erwartete politische Entscheidungen beeinflusst werden, durch Tweets des Tesla-Chefs Elon Musk oder durch die allgemeine Marktstimmung. Zudem gibt es immer mehr spekulative Instrumente (Derivate), mit denen es zu großen Kursbewegungen kommt – sowohl nach oben als auch nach unten.

Wozu Bitcoin?

Als Währungsersatz sind viele Kryptowerte und vor allem Bitcoin viel zu umständlich, zu teuer und zu langsam. Zudem ist Bitcoin eine Riesenumweltsau: Je höher der Kurs steigt, desto mehr Rechenleistung wird in das "Schürfen" investiert, desto schwieriger wird das Lösen der kryptografischen Aufgabe, desto mehr Rechenleistung braucht man und so weiter.

Der jährliche Energieverbrauch des Bitcoin-Netzwerks wird auf zurzeit 126,5 Terawattstunden geschätzt [4]. Das ist so viel wie die Ukraine verbraucht und etwas weniger als ganz Polen. Im August waren es noch 82 Terawattstunden.

Dabei treibt Gier noch mehr Gier: Produziert wird dort, wo die Energiekosten am niedrigsten sind, als vorzugsweise mit dreckigem Strom. An manchen Orten wird das sogar noch vom Steuerzahler subventioniert [5] (etwa beim Verbrennen von giftigem Kohleschlamm in den USA).

Bitcoin vom Ende her gedacht

Wer langfristig denkt, sollte sich einmal überlegen, was passiert, wenn alle 21 Millionen Bitcoin errechnet wurden. Dann gibt es keine Vergütung mehr fürs "Schürfen", sondern muss sich das ganze Netzwerk allein aus den Transaktionskosten finanzieren.

Das Dilemma: Entweder sind die Kosten dann wahnsinnig hoch, sodass eigentlich nur noch die Reichen Bitcoin tauschen können. Oder die Transaktionskosten sind sehr niedrig, was die Berechnungen finanziell unattraktiv macht. Dann werden aber viele Serverfarmen schon allein aus ökonomischen Gründen dem Netzwerk den Rücken kehren müssen.

Wenn die Rechenkapazität abnimmt, wird die kryptographische Aufgabe einfacher – und droht schließlich die Kaperung des gesamten Netzwerks durch eine sogenannte 51-Prozent-Attacke. Damit wäre die Sicherheit aller 21 Millionen Bitcoin gefährdet. Möglicherweise entscheidet ein Bitcoin-Oligopol dann, den Algorithmus zu ändern, um das theoretische Maximum entgegen dem ursprünglichen Versprechen zu erhöhen.

Problem Inflation

Bei der zurzeit steigenden Inflation scheinen viele Anleger in die klassischen "sicheren Häfen" zu investieren, nämlich Rohstoffe, Immobilien und Aktien. Wenn die Zinsen steigen, werden Staatsanleihen wieder attraktiver. Ob Bitcoin oder andere Kryptowerte ein wirklicher Inflationsschutz sind, muss sich erst noch zeigen. Dass es inzwischen über 10.000 verschiedene Arten von "digitalen Münzen" gibt und es immer mehr werden, sieht jedenfalls nicht gerade nach einem Inflationsschutz aus.

Bitcoin & Co sind meiner Einschätzung nach eine rein spekulative Wette auf die Zukunft: Wenn man zum Beispiel heute zum Kurs von 50.000 Dollar in Bitcoin investiert, findet man in einem Jahr vielleicht jemanden, der einem die Zahlen im Netzwerk, der Blockchain, zum Kurs von 100.000 Dollar zurückkauft. Vielleicht auch nicht. Es muss aber immer einen geben, der in Zukunft mehr bezahlt als man selbst. Sonst verliert man die Wette.

Das gilt natürlich auch für andere Anlageformen, deren Werte sich aber anders bestimmen. Wohnraum werden wir beispielsweise immer brauchen. Ebenso Nahrungsmittel, medizinische Versorgung und Infrastruktur. Auch das Wirtschaften wird in der einen oder anderen Form immer weitergehen.

Die Inflation lässt zurzeit die Vermögen der Besitzenden, die rechtzeitig in Sachwerte investiert haben, und der Besitzlosen, die gerade so über die Runden kommen und kein Geld für Investitionen übrig haben, weiter auseinanderdriften. Die Inflation belohnt auch diejenigen, die sich in der Vergangenheit verschuldet und damit Infrastruktur aufgebaut oder Gewinne privatisiert haben.

Rolle der Notenbanken

Die expansive Geldpolitik der Notenbanken hat das ermöglicht. Im Gegenzug wurden Crashs abgemildert, zuletzt die Coronapandemie. Das Spiel wird aber nicht ewig so weitergehen können. Dass die Zentralbank der USA jetzt die Zinswende einleitet, wird auch die Europäische Zentralbank unter Druck setzen. Bei Anhebung der Zinsen drohen aber Staats- und Unternehmensbankrotte, weil dann die Schuldenlast zu hoch wird.

Zurzeit sieht es danach aus: entweder eine zunehmende soziale Krise durch immer höhere Inflation; oder eine Rückkehr der Eurokrise, die natürlich wiederum zur politischen Krise würde.

Wenn man sich einmal die Bilanzen der Deutschen Bundesbank anschaut, wird man schnell verstehen, dass wir alle in einem Boot sitzen: Die hat inzwischen Forderungen von 1,127 Billionen Euro [6] (Stand 30. November 2021) gegenüber Banken anderer Länder, vor allem Italien und Spanien. Allerdings sind Ökonomen unterschiedlicher Meinung darüber, wie gefährlich das ist.

Die gute Nachricht ist, dass die hier beschriebenen Probleme menschengemacht sind – und daher auch von Menschenhand gelöst werden können. Mit einer Investition in Kryptowerte, Rohstoffe, Immobilien, Aktien oder andere Anlageklassen kann man vielleicht den individuellen Spielraum erhöhen.

Zu viel Bargeld unter der Matratze oder auf dem Konto erscheint angesichts der Inflationserwartungen eher nicht sinnvoll. Im Endeffekt wird es aber eine multilaterale politische Lösung für die ökonomischen Probleme geben müssen. Oder eine Krise in dem Ausmaß, wie viele der heute lebenden Menschen sie noch nicht erlebt haben.

Hinweis: Der Artikel dient nur zur Information, nicht als Anlageberatung. Weder der Autor noch die Redaktion übernehmen Haftung für etwaige spekulative Verluste.

www.schleim.info [7]


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Links in diesem Artikel:
[1] https://fortune.com/2021/12/03/charlie-munger-criticizes-crypto-china
[2] https://www.heise.de/tp/features/Haerteres-Vorgehen-in-China-Kryptowaehrungen-unter-Druck-6116753.html
[3] https://www.coindesk.com/markets/2021/12/07/bitcoin-technical-indicator-suggests-low-probability-of-santa-rally
[4] https://ccaf.io/cbeci/index
[5] https://www.heise.de/tp/features/Kryptowerte-auf-Erholungskurs-6160665.html
[6] https://www.bundesbank.de/en/tasks/payment-systems/target2/target2-balance/target2-balance-626782
[7] http://www.schleim.info/