Brückenkopf oder Trojanisches Pferd?

Denkmal der Sowjetischen Armee in Sofia. Bild: F. Stier

Bulgarien im Loyalitätskonflikt zwischen Russland und der Europäischen Union

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Als Russlands stellvertretendem Ministerpräsidenten Dmitri Rogosin, der im Zuge der gegen sein Land verhängten Sanktionen nicht in die EU einreisen darf, auf seinem Flug in die transnistrische Hauptstadt Tiraspol der Überflug über die Ukraine verwehrt wurde, wich er in den Luftraum über Rumänien und Bulgarien aus. "Der Pilot sagte mir, die bulgarischen und rumänischen Fluglotsen hätten ihn gefragt, ob ein 'verbotener Passagier' an Board sei? In diesem Falle würden sie Kampfflugzeuge senden", twitterte er anschließend.

Das bulgarische Verteidigungsministerium dementierte umgehend, doch ungeachtet ihres Wahrheitsgehalts wirft die Anekdote ein bezeichnendes Licht auf das bizarre Verhältnis der Völker im heutigen Europa zwei Jahrzehnte nach der vermeintlichen Überwindung der Blockteilung.

Karte: CIA

Vor wenigen Tagen nun berichtete Der Spiegel über "nachrichtendienstliche Erkenntnisse der Bundesregierung", wonach der wachsende Einfluss Russlands auf Bulgarien ein Anlass zur Sorge sei. Die dortige Regierungskoalition aus Sozialisten und der Partei der türkischen Minderheit DPS gelte "als treuer Gehilfe Moskaus" und in den Regierungsparteien seien "alte kommunistische Parteikader, Geheimdienstmitarbeiter und schwerreiche bulgarische Oligarchen aktiv", die "mit den Günstlingen Moskaus Geschäfte machen".

Drohen die Bulgaren nun, russische Politiker mit Kampfflugzeugen abzufangen, oder machen sie mit ihnen schmutzige Geschäfte? Und ist es tatsächlich ein geostrategisches Problem, wenn das südosteuropäische Bulgarien die Funktion eines "Brückenkopfs" zwischen Russland und Westeuropa übernimmt, wie die Bundesregierung laut Spiegel zu meinen scheint? Oder ist das Balkanland nicht аufgrund seiner Lage am Schwarzen Meer geradezu prädestiniert, eine Brücke zu bilden zwischen dem "alten Europa" und Russland und den übrigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion?

Die Metapher der "Brücke" ist unabkömmlicher Bestandteil der politischen Rhetorik des früheren bulgarischen Ministerpräsidenten Sergej Stanischev, wenn er über die Rolle seines Landes im eskalierenden Konflikt zwischen Russland und der westlichen Welt spricht. Seit Ausbruch der Ukraine-Krise sieht sich Stanischev in seiner Doppelfunktion als Vorsitzender der "Bulgarischen Sozialistischen Partei" (BSP) und "der Partei Europäischer Sozialisten" (PES) einer Zerreißprobe ausgesetzt. Steht er gegenüber seinen europäischen Genossen in der Pflicht, von ihnen befürwortete Sanktionsmaßnahmen gegen Russland mitzutragen, so gilt Russland vielen seiner bulgarischen Parteifreunde noch immer als Bruderland und natürlicher Verbündeter.

Denkmal der Sowjetischen Armee in Sofia. Bild: F. Stier

Russophile und Russophobe

Es war die Regierung des Ex-Zaren Simeon Sakskoburggotski, die im März 2005 verfügt hat, am 9. Mai sei in Bulgarien "der Tag Europas" zu feiern. In diesem Jahr wurde dieser Tag jedoch weniger zu einer Manifestation von Bulgariens Zugehörigkeit zur Europäischen Union als zu einer Demonstration der Solidarität mit Russland. Hunderte Menschen, darunter sozialistische Parteigenossen, Kriegsveteranen und in Sofia lebende Russen, versammelten sich am Denkmal der Sowjetischen Armee in Sofia, um den "Tag des Sieges" über den Faschismus zu begehen. Sie legten Blumen nieder und lauschten russischen Romanzen, die die Musikanten der Gruppe Gramophon in russische Uniformen gewandet vortrugen. "Russophile" ließen auf Transparenten Putin hochleben und forderten "NATO raus!".

Gleich zwei Meinungsumfragen haben jüngst die Einstellung der Bulgaren zu Europa und Russland zahlenmäßig zu ermitteln versucht. Glaubt man der nicht-repräsentativen Umfrage der Informationsagentur Kross, so sehen die Bulgaren im 9. Mai mehrheitlich noch immer eher den Tag des Sieges als den Tag Europas. 51,7% der Befragten votierten für ihn, 20,8% für den Tag Europas und 25,8% gaben an, für sie sei der Tag mit beiden Bedeutungen besetzt. Nun befragte das Meinungsforschungsinstitut Alpha Research Anhänger verschiedener Parteien, wie sie sich bei einem Referendum über die Angehörigkeit zur EU oder den Beitritt zur von Russland vorangetriebenen Euro-Asiatischen Union (EAU) entscheiden würden. Insgesamt sprachen sich dabei 40% der Befragten für die EU und 22% für die EAU aus, immerhin 28% konnten sich nicht entscheiden. Mit 38% zu 33% gaben die Anhänger der nationalistischen Ataka der EAU den Vorzug, die Sympathisanten der Bulgarischen Sozialistischen Partei immerhin noch mit 34% zu 33%.

Auch BSP-/PES-Chef Stanischev nahm an den Feierlichkeiten am Sofioter Denkmal der Sowjetarmee teil: "Heute ist ein zweifacher Feiertag, der Tag des Sieges und der Tag Europas, und diese Feiertage sind eng miteinander verbunden", sprach er. Bulgariens traditionelle Rechte sieht das naturgemäß anders. Der Poet Nikolai Kolev-Bosia (Der Boss), einer ihrer prominentesten Vertreter, war als Dissident in der sozialistischen Volksrepublik Bulgarien mehrfach inhaftiert. "Was wurde nicht alles für Unsinn geschrieben über den 9. Mai - Tag des Sieges oder Tag Europas? Russophile, Russophobe und alle möglichen Mikroben sonderten Klischees ab und Einfältigkeiten", polemisiert er in seinem Blog und gibt zu bedenken: "Feiern wir den sogenannten Tag des Sieges, so feiern wir unser doppeltes Debakel, die Niederlage im Krieg und den Verlust unserer Souveränität. Das ist kein Masochismus, das ist viel schlimmer. Es ist Selbsterniedrigung und Selbstzerstörung."

Zar Osvoboditel (Befreierzar Alexander II) gegenüber der Bulgarischen Volksversammlung. Bild: F. Stier

Außer der historischen Verbundenheit zwischen Bulgarien und Russland werden von den bulgarischen Sozialisten die engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern angeführt als Argument ihrer Ablehnung westlicher Sanktionen gegen Russland. Auch ihr politischer Gegner Boiko Borissov ist kein Befürworter von Strafmaßnahmen gegen Russland. Er hat sich zuletzt anerkennend über Russlands Krisenhandling geäußert: "Präsident Putin spielt seine Karten wieder mal am besten von allen und hat einige sehr gute Siege errungen. Als er friedlich sein musste, um die Olympiade in Sotschi durchzuführen, war er es. Davor aber hat er seine Interessen gewahrt in Syrien wie jetzt in der Ukraine. Nachdem ich gehört habe, dass er seine Soldaten von der Grenze abzieht, bin ich überzeugt, dass dem Präsidenten Putin der Krieg nicht nötig ist, denn wer die Ukraine mit ihren fünfzig Millionen Einwohnern kennt, weiß, wie viel Geld dort benötigt wird", kommentierte der Ex-Ministerpräsident und Vorsitzende der rechtsgerichteten "Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens (GERB).

Die bulgarische Wirtschaft sei zu einem Drittel in russischer Hand, haben die deutschen Nachrichtendienstler dem Spiegel zufolge der Bundesregierung verraten. Tatsächlich haben viele Russen Immobilien am bulgarischen Schwarzen Meer und in Gebirgsorten wie Bansko erworben. Offizielle Angaben des bulgarischen Wirtschaftsministeriums spiegeln aber keine solche russische Dominanz der bulgarischen Wirtschaft wider. Zwar gehört Russland zusammen mit Deutschland tatsächlich zu Bulgariens wichtigsten Handelspartnern, doch mit einem Umfang von 7,1 Milliarden US-Dollar beläuft sich Russlands Anteil am bulgarischen Außenhandel gerademal auf 15,9%. Dabei weist die bilaterale Handelsbilanz einen deutlichen Saldo von 5,6 Milliarden US-Dollar zugunsten Russlands auf, das Bulgarien mit Waren für 6,4 Milliarden beliefert, vor allem mit energetischen Rohstoffen wie Erdgas, Erdöl und Nuklearbrennstäben. Dagegen summieren sich die bulgarischen Warenexporte nach Russland auf bescheidene 0,76 Milliarden US-Dollar.

Оb und, wenn ja, in welchem Umfang sich Sanktionen gegen Russland nachteilig auf die bulgarische Wirtschaftsentwicklung auswirken werden, ist unter bulgarischen Wirtschaftsexperten umstritten. Desislava Nikolova vom Instituts für Marktwirtschaft in Sofia stützt die Position der regierenden Sozialisten, wonach Wirtschaftssanktionen gegen Russland Bulgarien mit am stärksten träfen. Dagegen schätzt Bulgariens Ilija Vassilev, früher Bulgariens Botschafter in Moskau, diese Gefahr wegen des geringen Anteils bulgarischer Ausfuhren am bilateralen Handel als gering ein, sieht in Strafmaßnahmen gegen Russland sogar Chancen für sein Land. "Sanktionen können uns veranlassen, lange aufgeschobene politische Maßnahmen zur Diversifizierung von noch aus Sowjetzeiten überkommenen monopolistischen Abhängigkeiten zu ergreifen, die unsere Entwicklung behindern", sagt er.

Streit um die Gaspipeline South Stream

Das geflügelte Wort von Bulgarien als Trojanischem Pferd Russlands in der Europäischen Union machte bereits vor einigen Jahren die Runde, als noch drei russische Großprojekte Bulgarien zum Energie-Hub des Balkans machen sollten. Inzwischen ist aber das Projekt eines zweiten bulgarischen Atomkraftwerks bei Belene an der Donau genauso zu den Akten gelegt wie die Erdölleitung vom bulgarischen Schwarzmeerhafen Burgas ins griechische Alexandroupolis. Allein die submarin von Russland durchs Schwarze Meer und Bulgarien weiter nach Österreich und Italien führende Gaspipeline South Stream wird weiter verfolgt. Ihr droht nun aber die aktuelle Großwetterlage zum Verhängnis zu werden, hat sich doch bereits das Europäische Parlament mehrheitlich gegen die Gasleitung ausgesprochen, was in Bulgarien für Empörung gesorgt hat.

"South Stream ist eine strategische Priorität für unser Land und wir wollen ihre Realisierung noch in diesem Jahr beginnen", versicherte Bulgariens Wirtschafts- und Energieminister Dragomir Stojnev, nachdem sich EU-Energie-Kommissar Günter Öttinger bei ihm wegen einer Novellierung des Energiegesetzes beschwert hatte. Auf russischen Wunsch hin wurde in dem Gesetzestext das submarine South Stream-Teilstück auf bulgarischem Gebiet von einer Pipeline zu einem Interkonnektor zwischen zwei Gasnetzen umdefiniert, damit die Bestimmung des Dritten Energie-Liberalisierungspaket der EU zum freien Zugang Dritter dafür keine Gültigkeit besitze.

Javor Kujumdschiev, sozialistischer Abgeordneter und stellvertretender Vorsitzender der Parlamentarischen Kommission für Energiefragen, sieht hinter den Attacken aus Brüssel und Straßburg Wahlkampfgeplänkel der Europäischen Volkspartei (EVP). "Einige Leute, hauptsächlich von der ЕVP, wollen nicht, dass Bulgarien, Serbien, Ungarn und Italien einen unabhängigen Gaslieferanten haben. Das erhöht die Wahlchancen der EVP, ist aber zum Schaden Bulgariens", kommentierte Kujumdschiev und gab zu bedenken, ein Stopp der Gaslieferungen nach Deutschland durch Nord Stream sei eine wesentlich härtere Sanktion gegen Russland als das Aus für das Projekt South Stream.