Bulgarien: Wahlkampf mit Ruch nach Gas
Neue bulgarische Regierung will wieder Gas von Gazprom kaufen. Preise waren explodiert, während durch das Land russisches Gas nach Serbien floss. Thema bestimmt laufenden Wahlkampf.
"GazWithMe" – unter diesem Slogan hat sich in Bulgarien eine Bürgerbewegung formiert, die das Balkanland aus energiewirtschaftlicher Abhängigkeit von Russland befreien möchte. Am Mittwochabend dieser Woche protestierten rund eintausend ihrer Sympathisanten vor dem Präsidialamt in der Hauptstadt Sofia gegen die von Präsident Rumen Radev Anfang August 2022 berufene Übergangsregierung von Ministerpräsident Galab Donev.
Denn sie hat Verhandlungen Gazprom angekündigt über die Wiederaufnahme von Gaslieferungen an Bulgarien. Kundgebungen gab es auch in Bulgariens zweitgrößter Stadt Plovdiv und der Schwarzmeer-Metropole Varna.
Ende April 2022 war es die damals noch regierende Links-rechts-Koalition von Ministerpräsident Kiril Petkov, die sich der von Russland geforderten Umstellung der Gaszahlungen auf Rubel verweigerte. In Reaktion darauf drehte Gazprom Bulgarien den Gashahn ab. Betroffen vom russischen Gasstopp waren erstmals mit Polen zwei EU-Mitgliedsstaaten.
Davon unberührt blieb das russische Gas, das das Transitland Bulgarien seit dem Dezember 2020 über die neu errichtete Balkan-Pipeline von seiner türkischen Grenze nach Serbien transportiert.
In der bulgarischen Öffentlichkeit stieß die Haltung des Kabinetts Petkov auf ein geteiltes Echo. Seine Anhänger lobten sie als eine moralische Position zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und ersten Schritt der Diversifizierung der bulgarischen Energiewirtschaft. Bis dahin war Bulgarien bei der Lieferung von Gas fast ebenso völlig abhängig von Russland wie bei der von Erdöl und Kernbrennstäben. Dagegen warfen Kritiker Regierungschef Petkov vor, er wolle sich in der EU-Front gegen den russischen Gasstaat besonders hervortun – zu Lasten seiner eigenen Bevölkerung.
Die großen westlichen EU-Staaten wie Deutschland und Italien, so argumentierten sie, akzeptierten auch die von Moskau geforderte Zahlungsweise und stellten ihre Moral nicht über die Notwendigkeit geregelter Energiezufuhr.
Bulgarien benötigt jährlich rund drei Milliarden Kubikmeter Gas; der kleinste Teil davon dient der Versorgung von Privathaushalten und öffentlichen Gebäuden, den größten Anteil verbucht die Industrie.
Bis vor vier Monaten deckte das Balkanland seinen Gasbedarf fast ausschließlich mittels des noch bis zum Jahresende 2022 gültigen Liefervertrags mit Gazprom Export. Ergänzend kam eine geringfügige Menge aserbaidschanischen Gases über den bereits bestehenden Interkonnektor mit Griechenland hinzu. Durch den Lieferstopp sah sich die Regierung von Ministerpräsident Petkov genötigt, Gas von internationalen Händlern zu kaufen. Laut ihren politischen Opponenten soll sie dabei einen um dreißig Prozent höheren Preis gezahlt haben für Gas, das letztlich auch von Gazprom stamme.
Gas aus Aserbaidschan kommt noch nicht
Nur wenige Tage vor seinem Rücktritt vereinbarte Petkov Ende Juli 2022 bei seinem Staatsbesuch in Baku mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev zudem die künftige Lieferung von einer Milliarde Kubikmeter Gas jährlich. Sie kann allerdings erst realisiert werden, wenn der lange überfällige, inzwischen baulich so gut wie fertiggestellte zweite Interkonnektor zum griechischen Gasnetz in Betrieb gehen wird. Dies soll jüngsten Meldungen zufolge zum 1. Oktober 2022 geschehen.
Streit gibt es nun vor allem über noch vom Kabinett Petkov vermeintlich gesicherte Gaslieferungen mittels sieben US-amerikanischer Flüssiggastankern, die den nationalen Gasbedarf über den Winter hinweg decken sollten.
Bis zum 19. August 2022 hätten für sie endgültige Lieferverträge abgeschlossen werden müssen, doch der kommissarische Energieminister Rossen Hristov hat lediglich einen Gas-Liefervertrag für einen der sieben Tanker unterzeichnet. Für die übrigen sechs seien in griechischen oder türkischen Flüssiggasterminals keine Entladungsslots zu akzeptablen Preisen zu bekommen gewesen, so seine Begründung.
Da Bulgarien lediglich noch für den September 2022 über genügend Gas verfüge, sei es "bereits unmöglich, nicht mit Gazprom zu verhandeln", erklärte Energieminister Rossen Hristov im Bulgarischen Nationalen Fernsehen.
Dieses Vorgehen erregt die harsche Kritik der konservativen, euroatlantisch orientierten Parteien und den Protest der GazWithMe-Bewegung. Sie sehen in ihm die Absicht, Bulgariens energiewirtschaftliche Abhängigkeit von Russland zu restaurieren.
Minister Hristov hingegen schiebt die Verantwortung für sein Handeln der Vorgängerregierung zu. "Ich kann nicht verstehen, was sie seit April gemacht hat. Von Mai bis jetzt haben wir keine reservierten Slots", warf er dem Kabinett Petkov das Versäumnis vor, die für die Entladung vereinbarter Gasmengen notwendige Infrastruktur nicht gewährleistet zu haben.
Inzwischen seien die in Frage kommenden Slots aber so nachgefragt und teuer, dass über sie kein für die bulgarischen Unternehmer und Haushalte erschwingliches Gas mehr bezogen werden könne.
So werde es für die Bürger und Betriebe günstiger sein, von Gazprom über die bestehende Transitpipeline geliefertes Gas zu konsumieren.
Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände unterstützen das Handeln der Übergangsregierung. "In der Türkei und in Serbien kostet Gas 100 Bolgarische Lew (rund 50 Euro) pro Megawattstunde. In unserem Land kostet dasselbe Gas 300 lew, erklärte etwa der Vorsitzende der Assoziation des Industriellen Kapitals in Bulgarien (AIKB) Vasil Velev.
Er verwies zudem auf die im Liefervertrag mit Gazprom Export vorhandene Take-or-Pay-Klausel, die Bulgarien verpflichte, für vereinbarte Gasmengen zu bezahlen, unabhängig davon, ob es sie auch abnehme.
Rubel-Forderung schuf zusätzliche Probleme
Die Weigerung des Kabinett Petkov, die von Moskau geforderten Zahlungsweise zu akzeptieren, habe zur Einstellung der Gas-Lieferungen an Bulgarien geführt, meinte Velev. So sehe sich das Land dem Risiko ausgesetzt, von Russland vor einem internationalen Schlichtungsstelle wegen Nichteinhaltung der Take-or-Pay-Klausel zu einer Strafzahlung von mehr als eine Milliarde Euro verurteilt zu werden.
Bei Verhandlungen mit Gazprom sei deshalb ein gegenseitiger Forderungsverzicht anzustreben. "Was ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir das Arbitrageverfahren gewinnen, bei einer Situation, wo eine Reihe Länder in Europa wie Deutschland, Italien, Griechenland und Österreich die Zahlungsweise akzeptiert haben und nach ihr verfahren?", fragte Velev rhetorisch.
Der Chef-Ökonom der Sofioter Niederlassung der Open-Society-Stiftung Georgi Angelov hält eine solche Argumentation für "absurd". Ihm zufolge entledigt sich Bulgarien durch die Aufnahme von Verhandlungen mit Gazprom Export seiner Möglichkeit, seinerseits das russische Unternehmen wegen Nichteinhaltung der Gaslieferverträge zu verklagen.
"Im Moment verteidigen wir Gazprom, während es Polen und den Niederlanden sehr wahrscheinlich gelingen wird, das russische Unternehmen für die erlittenen Verluste zu verurteilen", sagte Angelov Bloomberg TV.
Zum 2. Oktober 2022 sind die Bulgaren und Bulgarinnen aufgerufen, ihr neues Parlament zu wählen, zum vierten Mal in nur eineinhalb Jahren. Seit Jahresbeginn 2021 befindet sich Bulgarien fast permanent im Wahlkampf. Damit geht zwangsläufig ein Schwinden der Vielfalt und Substanz diskursiver Auseinandersetzungen über politische Inhalte und Programme einher.
Stattdessen drängen symbolische Grabenkämpfe und persönliche Attacken in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit. Die politischen Wettbewerber debattieren kaum mehr über Justizreform, Arbeitsmarkt oder das Steuersystem, alles scheint sich um die Gretchenfrage zu drehen "Wie hast Du's mit Gazprom?".
Diese Frage polarisiert die bulgarische Gesellschaft nun so, wie zuvor das neuartige Coronavirus andere Gesellschaften gespalten hat.
Die beiden konträren Lager bombardieren den bulgarischen Stimmbürger mit einer Kakophonie sich oft gegenseitig ausschließender Fakten und Fiktionen zu Gaspreisen, Liefermöglichkeiten und Marktentwicklungen. En Detail kann sie der Wähler unmöglich rational durchdringen, um sich sein eigenes vernunftbasiertes Urteil zu bilden.
Es bleibt ihm nur, eine Glaubensentscheidung zu treffen, ob er in der Gasfrage den Russophilen oder den Euroatlantikern sein Vertrauen schenken möchte.
Ob die Wahlen zur 48. Bulgarischen Volksversammlung Anfang Oktober 2022 eine stabile parlamentarische Mehrheit ergeben werden, ist ungewiss. Erneute vorgezogene Parlamentswahlen im Frühjahr 2023 sind nicht auszuschließen.