Bulgarisches Gericht verbietet Vorratsdatenspeicherung
In Bulgarien wurden Überwachungs- und Abhörmaßnahmen ausgebaut, ein Geheimdienst spähte in der Operation Galerie über 50 Journalisten aus
Bulgarien ist mit sieben Millionen Einwohnern ein kleines und mit einem offiziellen Durchschnittseinkommen von ca. 250 € das ärmste Land in der Europäischen Union. So mag erstaunen, dass der bulgarische Staat in den letzten zwei Jahren knapp 50 Millionen € für Überwachungs- und Abhörmaßnahmen aufgewendet hat, deren Ergebnisse sich indes zu weniger als drei Prozent als gerichtsrelevant erwiesen. Die frappante Diskrepanz wurde im Laufe eines politischen Skandals bekannt, der im April 2008 mit der Entlassung von Innenminister Rumen Petkov spektakulär begann und am 22. September in einer brutalen Attacke auf den Journalisten Ognjan Stefanov kulminierte.
Seit Jahren wird Bulgarien von der Europäischen Kommission für ausbleibende Resultate in der Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung kritisiert. Tatsächlich liegt der Verdacht nahe, der exzessive Einsatz sogenannter spezieller Ermittlungsmethoden könnte zuweilen eher politischen Zwecken dienen als kriminalistischen. Nun hat Bulgariens Oberstes Verwaltungsgericht Mitte Dezember gegen Behördenschnüffelei und zugunsten der Privatsphäre der Bulgaren entschieden.
Auf Anrufung der Sofioter Nichtregierungsorganisation Access to Information Programme (AIP) erklärten die Verwaltungsrichter die Ende Januar 2008 in Kraft getretene bulgarische Verordnung Nr. 40 zur EU-Direktive 2006/24/EC zur Vorratsdatenspeicherung für nicht verfassungsgemäß. Die Ausführungsverordnung, die Innenministerium und Strafverfolgungsbehörden direkten Zugriff auf von Internetprovidern gespeicherte Verbindungsdaten ihrer Kunden gewährte, verletze die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre der Bulgaren, befanden die Richter. Mit ihrem Urteil widerriefen sie eine Entscheidung einer untergeordneten Instanz, die die Verordnung zuvor für rechtens erklärt hatte.
Alexander Kashumov, Rechtsvertreter der AIP in dem Gerichtsverfahren, sieht in dem Richterspruch einen Erfolg, dessen Bedeutung über Bulgarien hinausgeht: „Die Entscheidung schützt nicht nur die Privatsphäre der Bulgaren und vor allem auch die Arbeit investigativ recherchierender Journalisten, die am meisten von Überwachung und Abhörung bedroht sind. Sie kann auch für Bürger im übrigen Europa von Nutzen sein“, hofft er. Er sei zuletzt von vielen ausländischen Kollegen kontaktiert worden, in deren Ländern ebenfalls eine missbräuchliche Umsetzung der EU-Direktive zur Vorratsdatenspeicherung drohe, berichtet er und nennt als Beispiel Ungarn:
Auch hier sollen Polizei und Geheimdienste direkten oder fast direkten Zugang zu vorgehaltenen elektronischen Verbindungsdaten bekommen. Die Entscheidung in Bulgarien hat sicherlich Potenzial, Bürger in EU-Ländern, in denen derlei Gerichtsverfahren anstehen, zu ermutigen.
Geheimdienst überwachte Journalisten
Die Relevanz und Brisanz der Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts für die bulgarische Öffentlichkeit wird vor allem vor dem Hintergrund eines Anfang Oktober publik gewordenen operativen Vorgangs der Nationalen Agentur für Staatliche Sicherheit (DANS) deutlich, der den Codenamen Galerie trug. DANS wurde erst zum Jahresbeginn 2008 neu gegründet und hat die spezielle Aufgabe der Korruptionsbekämpfung vor allem auch in den höheren Etagen der bulgarischen Politik; im öffentlichen Diskurs wird die Behörde gerne auch als „bulgarisches FBI“ bezeichnet.
Seit Mitte August sammelte DANS in ihrer Akte Galerie Informationen zu rund fünfzig Journalisten so gut wie aller maßgeblichen Medien Bulgariens. Dies wurde bekannt, wenige Tage nachdem vier maskierte Männer den Chefredakteur des Webportals Frognews Ognjan Stefanov mit Hämmern halbtot geschlagen hatten. Bei einer Anhörung von DANS-Mitarbeitern zu dem Überfall vor der Parlamentarischen Kommission für Innere Sicherheit, erfuhren deren Vorsitzende, Mincho Spassov (NDSW) und Tatjana Dontschev (BSP), dass DANS auch Ausdrucke ihrer telekommunikativen Verbindungsdaten geprüft hatte.
Anhand der Ausdrucke der Telefonverbindungen wollten die DANS-Agenten ein Leck in ihrer Behörde aufspüren und in Erfahrung bringen, über welche Kanäle sogenannte klassifizierte Informationen auf das anonyme, extrem DANS-kritische Webportal Opassnite Novini (gefährliche Nachrichten) gelangt waren. Als deren Herausgeber hatte DANS-Direktor Petko Sertov bereits im August Ognjan Stefanov bezeichnet; Stefanov indes bestreitet bis heute, irgendetwas mit dem journalistisch eher zweifelhaften Nachrichtenportal Opassnite Novini zu tun zu haben.
Nach Bekanntwerden des OV Galerie rief Petko Sertov den Vorsitzenden des bulgarischen Verlegerverbandes und Mitherausgeber der zur WAZ-Gruppe gehörenden Tageszeitung Trud, Tosho Toshev, und den Chef der Vereinigung Elektronischer Medien und Betreiber von Darik-Radio, Radovsvet Radev, eilends zu einem klärenden Gespräch. Im Ergebnis der Unterredung verkündeten Toshev und Radev unisono, Sertov habe ihnen zugesichert, seine Behörde höre keine Journalisten ab und führe auch keine Ermittlungen gegen sie. Nur eine gute Woche später indes musste DANS-Sprecherin Soja Dimitrova eingestehen, im Rahmen des operativen Vorgangs Galerie seien durchaus Maßnahmen durchgeführt worden, die den Rechtsgrundsätzen von DANS nicht entsprächen. Dimitrova sprach sich für eine De-Klassifizierung der Akte Galerie aus und kündigte an, der ganze Vorgang werde der Staatsanwaltschaft zur Prüfung übergeben.
„Es ist bis heute nicht geklärt, ob Journalisten im Rahmen von Galerie abgehört wurden oder lediglich Ausdrucke ihrer Kommunikationsverbindungen überprüft wurden“, sagt Alexander Kashumov. Eine Einsicht in Verbindungsdaten wäre zu diesem Zeitpunkt noch rechtmäßig gewesen, werde künftig aber aufgrund des Verwaltungsgerichtsurteils zur Vorratsdatenspeicherung illegal sein, so der Jurist. „Obwohl sich Dimitrova für eine De-Klassifizierung der Akte Galerie ausgesprochen hat, waren Journalistenanfragen auf Einsicht in sie bisher ergebnislos. DANS sperrt sich dagegen mit dem Hinweis darauf, dass der Vorgang bei der Staatsanwaltschaft liege“, kritisiert Kashumov die mangelnde Offenheit von DANS.
Seit Aufnahme ihrer Tätigkeit hat sich DANS eher durch zweifelhafte Aktionen als durch nachweisliche Erfolge einen Namen gemacht. Vor allem der Vorgang Galerie weckte ungute Erinnerungen an die repressive Staatssicherheit im totalitären Bulgarien vor 1989. Dies ist wenig verwunderlich, da viele der DANS-Agenten ihre professionelle Prägung durch die kommunistischen Geheimdienste erhalten haben.
Wenige Tage nach dem Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts zur Unrechtmäßigkeit der einschlägigen Vorratsdatenspeicherung-Verordnung hat die Bulgarische Volksversammlung beschlossen, ein neues Kontrollorgan zu schaffen, das künftig die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Überwachungs- und Abhörgeräte durch die bulgarischen Behörden gewährleisten soll. Ob Richterspruch und Parlamentsbeschluss künftig einen rechtsstaatlicheren Datenschutz in Bulgarien bewirken werden, wird das kommende Jahr zeigen müssen.