Bundesregierung sollte Völker- und Menschenrecht überall schützen
- Bundesregierung sollte Völker- und Menschenrecht überall schützen
- Der Ukraine-Krieg ist eine Gelegenheit der Rüstungslobby, ihren Einfluss auszubauen
- Menschen- und Völkerrechtsbrüche wie in der Türkei und im Amazonas nicht aus den Augen verlieren
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Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert die Bundesregierung auf, beim Gas-Deal mit Katar und anderen Menschenrechtsbrüchen wie in der Türkei oder dem Amazonas die Augen vor Verbrechen nicht zu verschließen.
Interview mit Tabea Giesecke, Referentin für ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV).
Die Bundesregierung hat mit Katar eine Energiepartnerschaft abgeschlossen, um sich unabhängiger vom russischen Gas zu machen. Sie verweisen auf die Menschenrechtsverletzungen im Emirat und mahnen, dass wirtschaftliche Interessen nicht dazu führen dürfen, das Leid der Opfer zu vergessen. Katar ist auch beteiligt am Krieg in Jemen, der eine humanitäre Krise ausgelöst hat. Schildern Sie uns bitte, wie es um die Menschenrechte in Katar steht. Was sind konkret ihre Forderungen an die Bundesregierung: Ist der Gas-Deal mit Doha unter den gegebenen Umständen überhaupt vertretbar?
Tabea Giesecke: Katar ist ein autokratisches Regime. Das bedeutet, dass der Emir Tamim bin Hamad Al Thani alle Gewalten unter sich vereint. Er kann willkürlich 35 Mitglieder einer beratenden Versammlung und weitere Parteien oder ein Parlament gibt es nicht. Die Gesellschaft Katars ist streng islamisch geprägt.
Staatsreligion ist der Islam, in der orthodox-sunnitischen Ausprägung des Wahhabismus. Darunter leiden besonders Frauen, die de facto unter einer männlichen Vormundschaft stehen und LGBTQIA+ Personen, die ihre Sexualität und sich selbst im Land verstecken müssen, um Haftstrafen und Anfeindungen zu entgehen. Auch gibt es durch die Arbeitsmigration viele andere Religionen im Land, wie Christ*innen, Hindus und Buddhist:innen.
Freie Ausübung der Religion ist in Katar nicht gegeben. Mein Kollege Kamal Sido war diesen März in Katar und berichtete davon, wie Christ:innen sich in quasi Untergrundkirchen treffen und die öffentliche Auslebung ihrer Religion vermeiden. Zwar gibt es Kirchen, diese werden aber streng überwacht. Auch wollten sich viele bekannte Kontakte aus anderen Religionen gar nicht mit meinem Kollegen treffen. Aus Angst es könnte für sie negative Auswirkungen haben.
Auch die Meinungsfreiheit ist deutlich eingeschränkt im Emirat. Katar überwacht streng, was gesagt wird und der TV-Sender Al Jazeera ist Teil dessen. Auch hier wird über die Lage in Katar nicht gesprochen. Auf den Schultern von Arbeitsmigrant:innen aus asiatischen Ländern wird in einem der reichsten Länder der Welt ein Spieleparadies für Architekten und Bauingenieure aus dem Boden gestampft.
Bisher sollen wegen Ausbeutung und schlechter Arbeitsbedingungen etwa 10.000 Menschen auf Baustellen in Katar ums Leben gekommen sein. Das Kafala-System, welches abgeschafft sein sollte ist leider in der Praxis immer noch aktiv und die Arbeiter:innen sind schlechtesten Bedingungen ausgesetzt ohne eigene Handhabe.
Auf vielen Gebieten betreibt Katar eine aggressive Außenpolitik. Das Emirat ist an zahlreichen Konflikten im Nahen und Mittleren Osten und darüber hinaus beteiligt. Es finanziert gefährliche islamistische Organisationen wie Al-Qaida oder Taliban. Dies läuft über die internationale Muslimbruderschaft, deren führende Köpfe in Katar sitzen und von dort aus ihre Aktivitäten in der ganzen Welt organisieren.
Angehörige zahlreicher Minderheiten wie Kurd:innen, Christ:innen, Yezid:innen oder Hazara werden von Islamist:innen eingeschüchtert, verfolgt oder sogar ermordet. Die Nähre zu extremistischen Gruppen zieht sich besonders in der extremen Auslegung des Islams und dem Wahhabismus, den auch extremistische Gruppen ausüben.
Durch den Angriffskrieg in der Ukraine ist Deutschland deutlich geworden wie abhängig wir eigentlich von Russland sind, wenn es um Gas und geht. Leider kommt diese Erkenntnis viel zu spät und bringt uns in einen Zugzwang, den man hätte vermeiden müssen.
Auch die Situation in der Ukraine ist nicht erst Ende Februar plötzlich entstanden, sondern wächst seit Jahren. Das Geschäft mit Gas ist geprägt von Autokratien, die mit ihren Rohstoffen Druck auf andere Länder ausüben. Das ist bei Katar nicht anders. Katar gewinnt durch den Gas-Deal nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch weiteren Einfluss.
In einer so dringlichen Situation aber Katar komplett als Energiepartner auszuschließen ist wohl leider fern von der Realität. Die Regierung ist jetzt in einer Situation, wo sie schnell handeln muss. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass Katar das in jeglicher Hinsicht in die Hände spielt und wir dem Emirat weiteren Spielraum zugestehen. Das heißt, wir können nun nicht nur eine Energiepartnerschaft mit Katar eingehen und sonst die Augen verschließen.
Nein – wir müssen den Dialog dann auch auf weiteren Ebenen führen. Die Regierung ist dazu angehalten diese Partnerschaft zu nutzen und Katar auch in Menschenrechtsfragen stärker zu beeinflussen. Auch wenn bisherige Versprechen der Besserung von der katarischen Seite als leere Worte gesehen werden müssen, können wir den Dialog nicht abbrechen lassen.
Die Situation besonders für religiöse Minderheiten, Arbeitsmigrant:innen, Frauen und LGBTQIA+ wird sich auch nur so verbessern lassen. Das komplette Abschotten des Emirates würde wahrscheinlich die Situation noch verschlechtern. Katar hat besonders jetzt ein Interesse sich als "weltoffen" und "modern" zu zeigen. Das darf aber nicht nur eine Imagewäsche bleiben, sondern muss auch Taten folgen lassen. Ob das gelingt ist leider fraglich, aber unsere momentan beste Chance.