Bundeswehr-Sondervermögen: Aufrüstung als Konjunkturpaket
Ampel-Koalition und Union haben 100-Milliarden freigegeben. Wozu diese Steuergelder vorgesehen sind, welche Planungen dahinterstehen. Eine Analyse (Teil 2 und Schluss)
Bereits kurz vor der Abstimmung über das Bundeswehr-Sondervermögen am vergangenen Freitag kursierten die ersten Berichte über den zugehörigen Wirtschaftsplan, der etwas detaillierter auflistet, was mit dieser riesigen Summe beschafft werden soll. Bislang waren Informationen hierüber eher in homöopathischen Dosen verfügbar.
Entgegen bisherigen Ankündigungen soll die Beschaffung von Munition im Wert von 20 Milliarden Euro aus den offiziellen Haushalten der kommenden Jahre finanziert werden. Auf der Liste finden sich auf der einen Seite Projekte, die bislang im offiziellen Haushaltsplan verortet waren und deren Verschiebung Gelder u.a. für die Beschaffung von Munition freimachen soll.
Zugleich werden dort nun aber auch Rüstungsvorhaben aufgeführt, deren Finanzierung bislang überhaupt nicht in der Budgetplanung abgesichert waren.
Noch ist alles recht vage: Mehreren sich grob an den Teilstreitkräften orientierenden Dimensionen werden zwar Gesamtbeträge zugeordnet, darüber hinaus fehlen aber für die insgesamt 38 aufgelisteten Vorhaben konkrete Preisangaben und Zeithorizonte, die nur für weniger Projekte aus anderen Quellen halbwegs bekannt sind (die vollständige Liste findet sich bei der Europäischen Sicherheit & Technik).
Finanziert werden über das Sondervermögen auch Kernvorhaben für den Aufbau digitalisierter Großverbände im Nato-Rahmen (Puma Aufrüstung Los I, Nachfolge Marder und Digitalisierung Landbasierter Operationen) sowie die finanzielle Absicherung der Entwicklungskosten für die beiden Schlüsselvorhaben zum Aufbau einer deutsch-französisch geführten Militärmacht Europa: Kampfpanzersystem (MGCS) und Luftkampfsystem (FCAS).
Wichtige Posten sind daneben noch die Ablösung der Tornado-Kampfflugzeuge für die Nukleare Teilhabe der NATO sowie die "Ertüchtigung" von Eurofightern zur Elektronischen Kriegsführung.
Die Projektliste soll nun jährlich fortgeschrieben werden, wobei der Haushaltsausschuss jedes Vorhaben über 25 Mio. Euro auch hier noch einmal separat bewilligen muss. Viele dieser Projekte werden Kosten weit über die im "Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines ‚Sondervermögens Bundeswehr‘" geplante Laufzeit des Sondervermögens von fünf Jahren verursachen.
Bewusst wird damit ein Handlungsdruck erzeugt, den offiziellen Haushalt langfristig deutlich anzuheben. Es folgen einige Anmerkungen zu den wohl wichtigsten Vorhaben des Wirtschafts- bzw. Rüstungsplans.
"Dimension Land": 16,6 Milliarden Euro
Puma-Nachrüstung: Im August 2021 war die Lieferung des ersten Loses mit 340 Schützenpanzern Puma abgeschlossen. Kaum bereitgestellt, gelten Teile bereits als veraltet, aktuell sind lediglich vierzig davon als "kriegstauglich" zertifiziert, um ihren Dienst in der ultraschnellen Nato-Eingreiftruppe VJTF versehen zu können.
Vom Sondervermögen soll nun laut dem gewöhnlich gut informierten Blog augengeradeaus.de die Aufrüstung "aller" Puma des ersten Loses auf den VJTF-Standard finanziert werden. Dies ist insofern überraschend, als bislang stets davon die Rede war, lediglich 266 weitere Pumas aufbohren zu wollen.
- Kostenpunkt: Nicht bekannt.
Das unklare Puma- Los 2 Verwirrend ist auch, dass in der Liste nur noch von einer "Nachfolge Schützenpanzer Marder" die Rede ist, wofür ursprünglich ein zweites Los von 229 Puma-Schützenpanzern angepeilt war.
Zuerst hieß es dann im März, die Entscheidung für die Anschaffung eines zweiten Puma-Loses sei gefallen.
Kurze Zeit darauf wurde gemeldet, aufgrund der nicht enden wollender technischer Probleme des Pumas sollten nun lediglich 100 von ihnen besorgt und die restlichen Exemplare wohl durch Radschützenpanzer auf Boxer-Basis ergänzt werden. Die im Wirtschaftsplan gewählte Formulierung legt nahe, dass die letzte Lösung favorisiert wird.
- Kostenpunkt: Rund vier Milliarden Euro.
Kampfpanzersystem (Main Ground Combat System, MGCS): Das deutsch-französische Projekt soll ab 2035 Leopard II und Leclerq ersetzen. Bei diesem Schlüsselprojekt für den Aufbau einer deutsch-französisch geführten Militärmacht Europa handelt es sich nicht bloß um einen Panzer, sondern um "ein ganzes Verbundsystem, eine Kombination aus heute zum Teil noch futuristisch anmutender Hochtechnologie, Big Data und Waffentechnik".
- Kostenpunkt: Vage Schätzungen gehen "von einem dreistelligen Milliardenbetrag" aus, im unmittelbaren "Wirkungsraum" des Sondervermögens dürften aber Entwicklungskosten weniger als einer Milliarden Euro anfallen.
Doch genau hierüber werden dann Sachzwänge und Pfadabhängigkeiten geschaffen, die Druck auf Erhöhungen des Verteidigungshaushaltes (Einzelplan 14) ausüben werden. Das legt zumindest die den Bundestagsabgeordneten vorgelegte Liste nahe, aus der in den Griephan-Briefen zitiert wird: "Main Ground Combat System (MGCS), veranschlagte Haushaltsmittel bis 2024, danach weitere festzulegende Haushaltsmittel aus Einzelplan 14 nötig".
"Dimension See": 19,3 Milliarden Euro
Korvette K130: Für die "Randmeerkriegführung" soll die Korvette besonders "geeignet" sein, also vor allem für Auseinandersetzungen mit Russland in der Ostsee.
Die ersten fünf Korvetten wurden zwischen 2004 und 2006 gebaut. Ein zweites Los mit ebenso vielen Korvetten wurde 2017 beauftragt und soll bis 2025 vollständig ausgeliefert sein. Anschließend dürfte es somit um ein über das Sondervermögen bezahltes drittes Los mit weiteren fünf Korvetten gehen – ob damit aber das bereits als veraltet geltende erste Los ersetzt werden soll, ist unklar.
- Kostenpunkt: Zwei Milliarden Euro.
Fregatte F126: Die früher als Mehrzweckkampfschiff (MKS) 180 bezeichnete Fregatte "eignet" sich im Gegensatz zur Vorgängerin F-125 auch für Kämpfe gegen technisch hochgerüstete Gegner. Im Jahr 2020 wurden vier derartige Schiffe mit Option auf zwei weitere beauftragt. Die taz berichtete unter Berufung auf eine Quelle aus dem Verteidigungsministerium, dass aus dem Sondervermögen die beiden optionalen Schiffe bezahlt werden sollen.
- Kostenpunkt: Für die ersten vier Fregatten wurden sechs Milliarden Euro veranschlagt.
U-Boot U212 CD: mit Norwegen zusammen entwickeltes U-Boot: Auslieferung 2029 bis 2035. Der Haushaltsausschuss hat im Juni 2021 die Gelder bewilligt. Der Beschaffungsvertrag mit der thyssenkrupp Marine Systems GmbH (tkMS) wurde am 8. Juli 2021 unterzeichnet und soll die "Option für weitere Boote für beide Vertragsstaaten" enthalten.
Eine Quelle, auf wie viele U-Boote sich die Option bezieht, wurde dafür bislang noch nicht gefunden, aber trifft die taz-Berichterstattung zu, dass es bei den F-126 um die optionalen und nicht die bereits bestellten Schiffe geht, liegt es nahe, dass hier ebenfalls zusätzliche U-Boote beschafft werden sollen.
- Kostenpunkt: Für die ersten beiden U-Boote sind 2,79 Milliarden Euro vorgesehen.
"Dimension Luft": 40,9 Milliarden Euro
Kampfjet F-35: Die Anschaffung von 35 F-35 bedeutet, dass die umstrittene Nukleare Teilhabe der NATO, die vorsieht, dass in Deutschland lagernde Atomwaffen von deutschen Piloten ins Ziel geflogen werden sollen, beibehalten werden soll.
Die F-35 besitzt Tarnkappenfähigkeit und ist von den USA auch für die aufgewerteten B-61-12 Atomwaffen zertifiziert, die durchschlagskräftiger und treffsicherer als bisher werden sollen. Lange war für die Tornado-Nachfolge die weniger moderne F-18 (Version "Super Hornet") bevorzugt worden, da die F-35 als Bedrohung für den Bau des geplanten deutsch-französischen Kampfflugzeugs erachtet wurde, was sich aber erledigt hat, nachdem es nun auch hier eine Finanzierungszusage gibt.
- Kostenpunkt: Zehn Milliarden Euro laut Infobrief griephan 13/22.
Luftkampfsystem (Future Combat Air System, FCAS): Noch mehr als das MGCS das Schlüsselprojekt für den Aufbau einer Militärmacht Europa, das von Deutschland und Frankreich (mit Spanien als Juniorpartner) entwickelt wird.
Als Zeithorizont wird eine Auslieferung ab 2040 angepeilt. Auch das FCAS ist nicht "nur" ein atomwaffenfähiges Kampfflugzeug mit Tarnkappeneigenschaften, sondern soll vor allem im Verbund mit bemannten und unbemannten Systemen agieren können.
Kostenpunkt: Die gesamten Entwicklungskosten werden auf rund 100 Mrd. Euro geschätzt. Der Bundestag bewilligte im Juni 2021 Gelder im Umfang von 4,468 Mrd. Euro bis zur Phase 2b (Prototyp 2027), allerdings muss der Haushaltsausschuss 2025 noch einmal zustimmen.
Auch hier werden die – deutlich höheren – Entwicklungskosten dann nach dem Aufbrauchen des Sondervermögens dem offiziellen Verteidigungshaushalt vor die Füße fallen, was dann in Druck auf Budgeterhöhungen umgemünzt werden dürfte. Wie beim MGCS heißt es auch zum FCAS in der den Bundestagsabgeordneten vorgelegten Rüstungsliste: "Future Combat Air System (FCAS), veranschlagte Haushaltsmittel bis 2027, danach weitere festzulegende Haushaltsmittel aus Einzelplan 14 nötig." (griephan 22/22)
Eurofighter: Elektronische Kampfführung: Ursprünglich war auch hier vorgesehen, F-18 (Version "Growler") anzuschaffen. Wohl um Airbus zu bedienen und ggf. auch für wichtige Aspekte in den Auseinandersetzungen mit Frankreich um das FCAS zu "ertüchtigen", werden nun Eurofighter aufgebohrt, die in der Grundausstattung nicht über diese Fähigkeit verfügen. Das Verteidigungsministerium schreibt jedenfalls als Begründung, sich doch für die teurere "Eigenmarke" entschieden hat:
Mit der Weiterentwicklung des Eurofighters für den elektronischen Kampf blieben wichtige Schlüsseltechnologien in Deutschland und in Europa […]. Darüber hinaus sichere sich Deutschland so eine starke Rolle im zukünftigen Kampfflugzeugsystem FCASFuture Combat Air System, das gemeinsam mit Frankreich entwickelt wird.
Es macht außerdem den Eindruck, dass die darüber hinaus bestellten Eurofighter aus dem offiziellen Haushalt bezahlt werden sollen.
- Kostenpunkt: Vier Milliarden Euro laut griephan 13/22
Schwerer Transporthubschrauber: Das Nutzungsdauerende des CH-53G wird auf 2030 veranschlagt. Zum Aufgabenspektrum eines schweren Transporthubschraubers heißt es:
Landstreitkräfte müssen hochflexibel und umfassend zur Durchführung von Operationen in allen Intensitätsstufen, insbesondere im multinationalen Einsatzspektrum, befähigt sein. Mit der durch den STH bereitzustellenden taktischen Luftverlegefähigkeit unterstreicht Deutschland seine Rolle als verantwortungsvoller außen- und sicherheitspolitischer Akteur und verlässlicher Bündnispartner in einem Bereich knapper multinationaler Ressourcen.
Am 1. Juni 2022 wurde berichtet, die Wahl sei auf den CH-47F Chinook von Boeing gefallen.
- Kostenpunkt: Sechs Milliarden Euro laut griephan 13/22.
"Dimension Führungsfähigkeit/Digitalisierung": 20,7 Milliarden Euro
Digitalisierung landbasierter Operationen (DLBO): Auf dem Weg zum sogenannten Heer 4.0 soll die Bundeswehr 2032 drei voll ausgestattete und komplett durchdigitalisierte Divisionen (je 15-20.000 Soldat:innen) in die Nato einspeisen können. Zentral für den "Digitalisierungspart" ist das Projekt "Digitalisierung landbasierter Operationen".
- Kostenpunkt: Für DLBO dürfte der überwiegende Teil der für diesen Bereich vorgesehenen Gelder anfallen.
Das Rundum-sorglos-Rüstungspaket
Abseits des völlig ineffizienten und teils korrupten Beschaffungswesens resultieren viele Probleme der Bundeswehr daraus, dass sie Schwierigkeiten hatte, drei Aufgaben gleichzeitig abzudecken: die Aufrechterhaltung der Interventionsfähigkeit im Globalen Süden; die kurz- und mittelfristige Aufstellung von Großverbänden im Nato-Rahmen bis 2032; und schließlich mittel- bis langfristig den Aufbau einer Militärmacht Europa ab 2035.
Es hat den Anschein, als ziele das Sondervermögen darauf ab, all diese Probleme zu adressieren, damit Deutschland endgültig auch militärisch in die allererste Riege der Großmächte aufsteigen kann. Zumindest von den Ausgaben her wird Deutschland damit dauerhaft die größte Militärmacht in Europa (und Nummer drei oder vier in der Welt). Olaf Scholz wird jedenfalls in der Presse mit den Worten zitiert: "Deutschland wird in Europa bald über die größte konventionelle Armee im Rahmen der Nato verfügen."