COP 26: Die Erfolge von Glasgow und ihre Maßstäbe
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Das Ergebnis der UN-Klimakonferenz wird an sehr verschiedenen Erwartungen gemessen. Dass manche Staatschefs nur per Videoschalte teilnahmen, galt trotz CO2-Ersparnis als kritikwürdig
Die Weltklimakonferenz COP 26 in Glasgow ging nach einer Verlängerung zu Ende, wobei das Echo sehr geteilt ist. Während die einen die Konferenz als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Verhinderung der Weltklimaerwärmung feiern, zeigen sich andere vom Ergebnis enttäuscht, was in der Äußerung von Greta Thunberg gipfelte: "Blah, blah, blah".
Dass die Urteile so unterschiedlich ausfallen, kann wohl kaum am Ergebnis der Konferenz selber liegen, sondern vielmehr an den unterschiedlichen Maßstäben, an denen es gemessen wird.
Der hoffnungsvolle Auftakt
Der Beginn der Konferenz wurde beherrscht vom Auftritt der politischen Größen der verschiedenen Staaten - angefangen vom Präsidenten der Vereinigten Staaten, Joe Biden, bis hin zur geschäftsführenden deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Allein ihr Erscheinen sollte die Wichtigkeit des Anliegens der Konferenz unterstreichen, und eine der Hauptmeldungen in den Medien war das Nichterscheinen von Chinas Präsident Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin.
Zwar waren sie per Videokonferenz präsent und hatten auf diese Weise vorbildlich CO2 -Emissionen gespart, dennoch galt ihr physisches Nichterscheinen als kritikabel - im Gegensatz zu den mit viel Energie-Aufwand in eigenen Flugzeugen angereisten Kollegen.
Im Vordergrund der Konferenz standen zunächst die Absichtserklärungen der erschienenen Politiker wie z.B. die von Angela Merkel:
Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts, also am besten bis 2050, zu erreichen - dieses Ziel wurde genannt; und es ist auch dringend notwendig. Aber dafür werden erhebliche Investitionen gebraucht. Und das ist noch untertrieben, denn wir brauchen eine komplette Transformation unserer Art zu leben und zu arbeiten, der Energieerzeugung und der Mobilität. Das ist natürlich eine große Herausforderung.
Merkel betont wie viele andere auch das gemeinsame Ziel der Klimaneutralität und spricht dabei von der Änderung des Lebens von "uns allen". Mit der Betonung der Gemeinsamkeit bezieht sich die Kanzlerin auf die gemeinsame Betroffenheit aller Staaten, die mit der Erderwärmung vor neue Kalkulationen gestellt werden. Die Betroffenheit fällt für die Staaten allerdings sehr unterschiedlich aus. Manche können durchaus auch Vorteile für sich durch die Erderwärmung entdecken, wenn das Nordpolarmeer eisfrei wird und sich somit neue Verkehrswege und neue Wirtschaftsräume erschließen lassen.
Andrerseits ergeben sich aus diesem Umstand aber auch neue Gefahren, die es abzuwägen gilt. So folgen aus der Erderwärmung für die unterschiedlichen Staaten bei aller gemeinsamen Betroffenheit ganz unterschiedliche Konsequenzen und auch ganz neue wirtschaftliche Chancen, die oft aber auch von den Entscheidungen anderer Staaten abhängig sind. Deshalb setzen sie sich in Konferenzen in Verbindung, um für sich Gefahren und Chancen auszuloten.
Über diese Unterschiede setzt sich die Kanzlerin hinweg, wenn sie das gemeinsame Ziel und dessen Erreichen als Gemeinschaftsanliegen behandelt. Ganz so, als ob es sich um eine Sache handelte, die in gleicher Weise alle betrifft, eben unseren Lebensstil und unsere Art, zu konsumieren. Dabei ist Letzteres nur die abhängige Variable von Entscheidungen, die ganz andere Subjekte treffen.
Und wenn es wirklich ein Gemeinschaftsanliegen der Staatenwelt wäre, dann bräuchte es übrigens nicht die 26. Konferenz von Regierungsvertretern; denn was dann anstünde wäre eher ein technisches Problem. Das Stattfinden der vielen Konferenzen macht dagegen gleich augenscheinlich, dass es dieses Menschheitsanliegen gar nicht gibt. Es geht schließlich um Treffen von Staaten, die bei diesen Konferenzen ganz unterschiedliche Interessen verfolgen, und diese haben nichts mit der vorgestellten Einigkeit zu tun, dass es einfach darum ginge, die Welt vor dem Untergang zu bewahren.
Wenn die Kanzlerin von den "erheblichen Investitionen" spricht, so steht im Hintergrund ja auch immer, dass diese sich irgendwie lohnen sollen. Es geht also bei diesen Konferenzen um den Streit, welche Schäden wer durch den Klimawandel zu erwarten hat und wer von einer Verhinderung der Erderwärmung wie profitieren kann.
Es sind eben Veranstaltungen von Konkurrenten, die sich gegenseitig auf bestimmte Formen der Energiegewinnung und des Energieeinsatzes festlegen wollen und dabei in unterschiedlicher Weise von den unterschiedlichen Formen des Energiegebrauchs profitieren. Um diese Erträge streiten die Staaten. Schließlich hat die oft als Klimakanzlerin gelobte Frau Merkel sich in der Vergangenheit besondere Verdienste dadurch erworben, dass sie im Rahmen der EU Umweltauflagen für die Autoindustrie blockierte, die vor allem den deutschen Autoherstellern hätte schaden können.
Das Ergebnis einer solchen Konferenz kann daher auch nur in einer Vereinbarung bestehen, bei der sich die Staaten selber zu etwas verpflichten, von dem sie sich einen Nutzen versprechen. Es ist die Summe von Selbstverpflichtungen, die da zu Papier gebracht wird. Deren Erfüllung hängt somit auch von der Kalkulation derer ab, die die Selbstverpflichtung aussprechen.
Das Ergebnis
Als Resultat werden in der Öffentlichkeit mehrere Punkte hervorgehoben:
Das beginnt damit, dass die Regeln des Pariser Klimaabkommens nun endlich stehen. Wie konkret Fortschritte im Klimaschutz vergleichbar werden, wie die Staaten neue Pläne hinterlegen, wie sie miteinander kooperieren - all das hat die Konferenz in Glasgow klären können.
Michael Bauchmüller, SZ 15.11.21
Offenbar braucht es Regeln für die Vergleichbarkeit von Klimaschutzmaßnahmen, weil es nicht einfach um deren Wirksamkeit geht, sondern weil die Staaten sich gegenseitig misstrauen, ob die anderen ihre abgegebenen Absichtserklärungen auch erfüllen. Dass die schon abgegebenen Erklärungen nicht ausreichen, um die Erderwärmung zu stoppen, davon gehen alle beteiligten Staaten offenbar aus. Also braucht es ständig neue Pläne, um zumindest den Schein aufrecht zu erhalten, dass die Erderwärmung in einem erträglichen Rahmen gehalten werden kann. Darin besteht also einer der Erfolge der Konferenz und macht damit gleich weitere Konferenzen notwendig.
Die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze weiß zudem einen weiteren Erfolg zu vermelden:
Diese Konferenz hat gezeigt, dass die Welt ein gemeinsames Ziel verfolgt, eine klimaneutrale Weltwirtschaft. Das fossile Zeitalter geht zu Ende, die Energiewende wird weltweit zum Leitbild.
Zwar soll es schon vor Jahren in Paris ein gemeinsames Ziel gegeben haben. Erstaunlich also, dass das nun als Ergebnis von Glasgow gefeiert wird. Macht aber nichts. Mit der Behauptung, das fossile Zeitalter gehe zu Ende, lobt die Ministerin dreist die in der Abschlusserklärung festgehaltene Aussage, dass der Einsatz von Kohle, Gas und Öl reduziert werden soll1:
Und dann ist da dieser eine Absatz, Nummer 36 von 97. Darin sollen die Staaten aufgefordert werden, schneller das Ende der Kohle einzuleiten, sich obendrein von "ineffizienten" Subventionen für fossile Energie zu verabschieden… Aus dem "Ausstieg‘ aus der Kohle wird eine "Verminderung", aus einem "phase-out" ein "phase-down".
Im Grunde fordern alle Staaten mit der Abschlusserklärung sich selber auf, den Einsatz von Kohle zu vermindern, was Deutschland ja auch betreibt, und zwar mit seinem Ausstieg bis 2038, also der damit gesicherten Verbrennung von dreckiger Braunkohle auf Jahre hin. Schließlich ist und bleibt die Braunkohle ein billiger nationaler Energieträger, den es solange zu nutzen gilt, bis sich günstigere Energiequellen ergeben.
Dass zudem "ineffiziente" Subventionen für fossile Energie gestrichen werden sollen, ist fast schon ein Witz. Welcher Staat wendet denn ineffiziente Subventionen auf?
Deutschland hat doch seine Steinkohle lange Zeit deshalb subventioniert, weil es über eine nationale Energiequelle verfügen wollte.
Die Effizienz einer Subvention lässt sich eben sehr unterschiedlich bestimmen - je nach ökonomischer oder politischer Interessenlage. Eins kann man in jedem Fall festhalten: Die Effizienz von Subventionen bemisst sich nicht daran, was sie für den Klimaschutz leisten. Beispielhaft wären da die Subventionen für Elektroautos zu nennen, die den deutschen Autobauern ihren zukünftigen Erfolg, d.h. die Gewinne sichern sollen, wobei die Öko-Bilanz der Umstellung auf E-Mobilität eine höchst problematische Größe ist.
Die Zusammenfassung formulierte der Präsident der Klimakonferenz, der Brite Alok Sharma: "Wir können nun mit Überzeugung sagen, wir haben die 1,5 Grad lebendig gehalten". (SZ, 15.11.21) Auch so kann man ausdrücken, dass das 1,5-Grad-Ziel ein Ideal ist, in dessen Namen die Erderwärmung irgendwie in Grenzen gehalten werden soll, ohne das kapitalistische Wachstum zu gefährden. Insofern kommt es nicht unbedingt auf die genaue Zielerreichung an.
Vielmehr können viele - und vor allem die entscheidenden kapitalistischen Länder - auch mit einer größeren Erwärmung leben und stellen sich bereits darauf ein. Schließlich gibt es viele Initiativen, um die erwarteten Schäden aufzufangen, zu begrenzen oder sich dagegen zu versichern, sowie den Streit darum, wer in Zukunft für die Schäden aufzukommen hat.
Die Zufriedenen
Zu denen, die das Ergebnis von Glasgow mit Zufriedenheit zur Kenntnis nehmen, gehören die Vertreter der zukünftigen Regierung in Deutschland: "FDP-Chef Cristian Lindner bewertete das Ergebnis vorsichtig optimistisch. 'Glasgow ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, aber nicht das Ziel'." (SZ, 15.11.21) Auch der Vertreter der SPD stimmt dem zu: "Glasgow ist ein wichtiges Signal, aber die Arbeit beginnt erst," so der SPD-Vorsitzende Matthias Miersch. (SZ, 15.11.21) Vorsichtiger äußerte sich Grünen-Chefin Annalena Baerbock: "Die Klimakonferenz habe 'die Heftigkeit der Klimabedrohung endlich anerkannt, aber noch lange nicht gebannt'." (SZ, 15.11.21)
Einfach nur Zufriedenheit will niemand signalisieren, sondern alle sehen die Klimawende als eine Herausforderung, der sie sich zu stellen haben, die also noch nicht bewältigt ist: "Der gesellschaftliche Konflikt zwischen denen, die immer neue ehrgeizige Ziele fordern und denen, die die Energiewende blockieren, muss endlich produktiv gelöst werden… Das ist die Aufgabe einer Fortschrittskoalition" (SZ, 15.11.21), weiß der SPD-Fraktionsvorsitzende Miersch zu vermelden.
Er differenziert offenbar bei den Zielen in Sachen Energiewende nicht danach, was zur Vermeidung der Erderwärmung notwendig ist oder nicht, sondern danach, ob sie zu ehrgeizig sind oder nicht. Auch warum sich die Blockierer gegen Maßnahmen wenden, ist für ihn nicht weiter von Bedeutung. Zwischen welchen Positionen die neue Koalition also vermitteln will, bleibt damit offen, fällt damit ganz in ihre Entscheidungskompetenz.
Als zu ehrgeizig gelten natürlich Ziele, die sich nicht an den Notwendigkeiten des Geschäftemachens orientieren. Schließlich bilden Aufwendungen für Energie und neue Technologien Kosten, die sich lohnen, sprich Gewinne sichern sollen. Also haben sich Maßnahmen in Sachen Energiewende an diesem Maßstab zu bewähren. Dort, wo durch Einsatz neuer Technologien Vorteile zu erringen sind, treten diese Politiker als Parteigänger des Klimaschutzes auf; dort, wo sie geschäftliche Einschränkungen vermuten, betrachten sie die betreffenden Maßnahmen als zu ehrgeizig.
Den Maßstab formuliert FDP-Chef Lindner, nämlich "dass es ein hochwirksames Paket zum Klimaschutz geben wird, das zugleich die soziale Sensibilität achtet und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft langfristig stärkt". (SZ, 15.11.21) Klimaschutz soll es also irgendwie geben. Das wird vielen Menschen einiges abverlangen, damit zusätzliche Kosten bescheren. Das wird die Politik im Blick haben, wenn sie sich darum kümmert, dass das Ganze der deutschen Wirtschaft nützt.
Und so mancher Journalist springt den Politikern auch gleich bei:
Enttäuscht müssen alle diejenigen sein, die einen Wundergipfel von einer Versammlung mit Vertretern aus 192 Ländern erwartet haben. Realisten verweisen auf den Druck, der durch Glasgow jetzt erstmals auf einen globalen Kohleausstieg besteht… Besonders wichtig: Durch preiswerte erneuerbare Energie wird Klimaschutz zum Geschäftsmodell. Investoren, Banken, Industriekonzerne begreifen das. Kapitalisten haben schon immer die Eigenschaft, geschmeidig zu sein. Das ist das wahre Erfolgsgeheimnis des Kapitalismus, auch des grünen Kapitalismus.
Franz Alt, Telepolis, 16.11.21
Das Erfolgsgeheimnis des Kapitalismus ist gerade in den umfangreichen Schäden an Mensch und Natur zu besichtigen, schließlich hat der geschmeidige Umgang mit Kosten für Abfallbeseitigung und Abgasbehandlung dazu geführt, dass die Welt so aussieht, wie sie aussieht. Dass hindert offenbar weder den Autor noch die Politik daran, gerade in den Verursachern der Klimakatastrophe die Retter zu entdecken:
Die Kanzlerin hob die CO2(Kohlendioxid)-Bepreisung als geeignetes und wirtschaftlich vernünftiges Instrument hervor, weltweit Industrie und Wirtschaft dazu zu bringen, die technologisch besten und effizientesten Wege zu finden, um Klimaneutralität zu erreichen.
Effizienz in der Wirtschaft bemisst sich bekanntermaßen nicht an einem technologischen Kriterium, sondern daran, inwieweit die Technologie dazu beiträgt, aus einer vorgeschossenen Summe Geldes mehr Geld zu machen. Und das soll auch in Zukunft der Maßstab sein, an dem sich alles zu bewähren hat.
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