Call Centres, die neue industrielle Tyrannei?
Eine kürzlich am "Centre for Economic Performance", London, durchgeführte Studie, deren Ergebnisse in der Zeitschrift CentrePiece veröffentlicht wurden, beschäftigt sich mit dem rasch wachsenden Geschäftszweig der Call Centres.
Dieser Studie zufolge arbeiten in Grossbritannien inzwischen 200.000 Menschen, das sind 1,1 % der Arbeitskräfte - mehr als zusammengenommen in der Kohleproduktion, Stahl- und Fahrzeugproduktion tätig sind - in solchen Call Centres. Damit ist Grossbritannien in Europa derzeit führend mit 50 Prozent der in ganz Europa in solchen Telefonzentren beschäftigten ArbeitnehmerInnen.
Die Computertelephonie ermöglicht ein nie gekanntes Ausmaß der Kontrolle der Arbeitskräfte durch das Managment. Anrufe werden direkt durchgeleitet, ohne daß sich die Telephonisten dagegen wehren könnten. Auf einen erledigten Anruf folgt sofort der nächste. Das Managment kann beobachten, wieviele Anrufe sich auf Warteschleife befinden, wie lange individuelle Operatoren für die Benatwortung benötigen und wer wie oft und wie lange Pause macht. Große, rote LED-Displays zeigen den TelephonistInnen selbst, wieviele Anrufer darauf warten, daß ihr Anruf entgegengenommen wird.
Die Messungen des Managments werden statistisch ausgewertet und oft auch als Maßstab für eine leistungsabhängige Bezahlung herangezogen, die durchschnittlich 15% des Gesamtgehalts ausmacht, in einzelnen Fällen aber bis zu 53% Prozent. Die Messergebnisse werden auch zur Bewertung der Produktivität und zur Erstellung von Anforderungsprofilen für zukünftige Call Centres herangezogen.
So schlußfolgert Sue Fernie, die Autorin der Studie, daß "die Tyrannei des Fließbandes ein Sonntagspicknick im Vergleich zu der Kontrolle ist, welche die Geschäftsleitung mittels computergestützter Telephonie ausüben kann." Ein Softwarepaket für Computertelephonie wird mit dem Slogan "TOTAL CONTROL MADE EASY" angepriesen.
Fernie vergleicht diese Haltung mit der Vision Jeremy Benthams vom Panopticon, dem perfekten Gefängnis, welche dieser vor 200 Jahren entwickelt hatte und stellt den Gegenwartsbezug über Foucalts "Strafen und Überwachen" her. Sind Computertelephonisten das neue industrielle Büroproletariat der Zukunft?
Erstaunlicherweise ist jedoch ein Großteil der Arbeitnehmer relativ zufrieden, was vor allem an der überdurchschnittlichen Bezahlung liegt. Doch Daten über die Anstellungsdauer lassen vermuten, daß bei ca. 18 Monaten ein "burn out" Effekt eintritt. Die meisten Call Centres befinden sich außerhalb Londons und des dicht besiedelten Südostens in ländlichen Gebieten.
Eine Folgestudie will sich noch ausführlicher mit der Situation der Arbeitnehmer beschäftigen und soll im Laufe dieses Jahres in einer Buchpublikation veröffentlicht werden.