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Captain Cook — der unterschlagene Entdecker Neuseelands

Meine Collage zeigt etliche Bücher zeitgenössischer Historiker, die sich mit Cooks Leben und Werk beschäftigen. "Endeavour" der erste Band von Peter Aughtons Trilogie über Cooks Reisen (oben rechts im Bild) ist auch auf Deutsch zu haben und beschreibt sehr schön die wissenschaftlichen Grundlagen der ersten Reise Cooks. Anne Salmond (unten links) ist besonders gut im hawaiianischen Schlusskapitel. Auch die seltsame Wikingerform der neuseeländischen Kanus ist auf dem Cover ihres Buches gut zu erkennen. Beagleholes Cook Biographie, ganz vorne, und Richard Houghs romanhafte, sehr lebhafte Geschichte —sprechen unterschiedliche Leseransprüche an. „The Fatal Impact” ist ein Klassiker zum Thema Kolonialisierung des Pazifikraumes.

Zum 250. Jubiläum gibt es in dem pazifischen Inselstaat nicht einmal eine Briefmarke zu seinen Ehren

Wie anders war das doch einst in Amerika. Es gibt in den USA die uralte Episode von dem Einwanderer aus Italien, der bei der offiziellen Anhörung gefragt wird: "Wer war der erste Präsident der USA?" Und er antwortet:" Fourteen ninety-two." Er fliegt bei der Prüfung durch und soll sie nächstes Jahr wiederholen. Diesmal wird er gefragt: "Who discovered America?" Und wieder antwortet er: "Fourteen ninety-two." Im Jahr danach hat man bei der Einwanderungsbehörde Mitleid mit ihm und fragt ihn: "When did Columbus discover America?" Und wieder lautet die Antwort: "Fourteen ninety-two." Und diesmal kriegt er seine Staatsbürgerschaftspapiere.

Natürlich stammt dieser kleine Witz aus einer anderen Zeit. Aber egal: Es war in ganz Nord- und Südamerika unvorstellbar, dass irgendjemand die Jahreszahl 1492 nicht kannte. Und ebenso den Namen Columbus. Gut - in Kanada feiert man John Cabot, aber jeder kennt die Geschichte von den beiden rothaarigen Jugendfreunden aus Genua, die davon träumten, einmal den Seeweg nach Indien zu entdecken. Der eine eben dieser besagte Columbus und der andere ein gewisse Giovanni Caboto, vulgo John Cabot.

Selbst im Zeitalter der politischen Korrektheit, sagen wir, 1992, wäre es in den USA niemandem eingefallen zu sagen: "Columbus hat ja niemals seinen Fuß auf amerikanische Erde gesetzt. Die Native Americans waren schon 10.000 Jahre früher da." Heute, 2019, mag der "Columbus Day" in den USA nimmer so gefeiert werden - aber selbst die eifrigsten Gralshüter des "Kennewick Man" haben den Namen "Columbus", gesamtamerikanisch besehen, nicht auslöschen können. Und in Brasilien gilt heute noch jeder Rothaarige automatisch als direkter Nachkomme des Amerika-Entdeckers.

Was Cabot betrifft, so hat er wirklich Kanada entdeckt. Nach seiner ersten Reise Richtung Nordamerika kehrte er mit enthusiastischen Berichten vom dortigen Fischreichtum zurück - und sein Geldgeber, der britische König Henry der Siebte, rüstete ihm eine Flotte von 18 Schiffen mit 400 Mann Besatzung aus. Das war doch etwas anderes als die schäbigen drei Karavellen, die das spanische Königshaus ihrem Cristobal Colon zur Verfügung stellte - und das auch erst, nachdem man vorher die jüdische Bevölkerung um das nötige Geld geschröpft hatte.

Dass Cabot mit Mann und Maus in Amerika unterging bzw spurlos verschwand, tut dabei nichts zur Sache. Die kanadischen Fischgründe blieben 500 Jahre lang ergiebig - bis genau 1992, als die Kabeljaufischerei in Kanada schlagartig den Geist aufgab. Die kanadischen Fischersleut' hatten allen Grund, sauer zu sein - aber John Cabot ließen sie dabei aus dem Spiel.

Traktor der Meere

Bei James Cook war die Sache noch mal anders. Er galt als der fähigste Käpt'n in ganz England, aber er gehörte nicht zur Navy. Man tat sich also schwer damit, ihm einen angemessenen Rang zuzuweisen. Es ging aber damals, 1769, um eine wissenschaftliche Mission der Britischen Astronomischen Gesellschaft. Man wollte genau die Distanz der Erde von der Sonne berechnen - und dazu sollte ein entsprechend wissenschaftlich vorgebildeter Mann erst einmal in den Pazifik schippern.

Cook erbat sich dazu ein Schiff von einem Typus, der üblicherweise zum Transport von Kohle verwendet wurde. Mit diesem Traktor der Meere war er vertraut. Und: Die "Endeavour" erwies sich als extrem pazifiktauglich.

Zu alledem war Cook der beste Kartograph, den es damals in Britannien gab. Er war der erste, der richtige Landkarten jener Region anfertigte, ebenso wie Seekarten der Küstenlinien im Pazifik — auch wenn er interessanterweise ein großes Loch in der Landkarte von Neuseeland hinterließ.

Abel Tasman

Was die "Entdeckung" Neuseelands betraf, so war Cook nicht der erste. Im Dezember 1642 hatte der holländische Kapitän Abel Tasman die Südspitze der Südinsel von Neuseeland gesichtet — er war es, der das Land "Neuseeland" nannte. Weihnachten 1642 hatte er mit seinen beiden Schiffen an der Bruchstelle zwischen den beiden Inseln pausiert und war dann den restlichen Dezember an der Westküste Neuseelands weitergesegelt.

Auch seine Karten und Beschreibungen der Maori erwiesen sich, wie Cook 127 Jahre später feststellte, in jeder Hinsicht unverändert als zutreffend. Tasman entdeckte das später nach ihm benannte Tasmanien, Teile des australischen Kontinents und zahlreiche Inseln, reklamierte indessen alle diese Lokalitäten nicht als holländischen Besitz.

Cook lagen die Karten Tasmans vor, als er in dieser Region des Pazifiks nach Neuseeland Ausschau hielt.

Maori

In den heutigen Darstellungen der ersten Begegnung zwischen Europäern und den in Neuseeland wohnenden Maori werden diese beiden Aufeinandertreffen oft verwechselt. Tasman näherte sich relativ leutselig den Maori an der Westküste der Südinsel auf einem kleinen Küstenboot, wurde aber überraschend angegriffen. Vier Holländer kamen dabei ums Leben. Vom Schiff aus feuerte daraufhin die holländische Mannschaft auf die Maori in ihren ebenfalls relativ kleinen Uferkanus und töteten dabei acht. Obwohl die Holländer also zahlenmäßig doppelt so viele Maori getötet hatten als jene Holländer, blieb der holländische Name "Bucht der Mörder" bis heute erhalten.

Auch bei seinem Abschied von Neuseeland, als Tasman noch einmal mit den Maori in Kontakt treten wollte, wurde er durch Steinwürfe von seinem Vorhaben abgehalten. Cooks spätere Landung an der Ostküste der Nordinsel blieb dagegen relativ konfliktfrei. Der heute von den Maori erhobene Vorwurf, Cook sei ein "Mörder" gewesen, der gleich einmal neun Maori getötet habe, ist also von solider Geschichtskenntnis relativ unbeleckt.

Filmgerecht

Tatsächlich besaß Cooks Landung eine film- oder kinderbuchtaugliche Qualität ähnlich etwa dem Disneyfilm von 1960 "Swiss Family Robinson", wie überhaupt Cooks Seefahrten ausgesprochen filmgerecht wirken, aber nie in einem Streifen wie "Master and Commander — the Far Side of the World" mit Russell Crowe (2003) verewigt wurden. Cook hatte dem ersten seiner Seeleute, der "Land" sichtete, eine Gallone Rum zugesichert, das waren rund 4.54 Liter [1].

Erst wenige Tage zuvor hatte einer der Matrosen sich heimlich an den Rum-Vorräten bedient, sich dabei etwa eine Gallone in einer Nacht hinter die Binde gekippt und auf diese Weise Selbstmord begangen. Als nun der gerade erst 12jährige Schiffsjunge Nicholas Young — "Young Nick" genannt — als erster vom Mastkorb aus "Land! Land!" rief — musste ihm Cook recht geben. Er habe sich die viereinhalb Liter Rum redlich verdient, aber in Anbetracht seiner Jugend müsse er diese Menge mit seinen Schiffahrtskumpanen redlich teilen.

Dafür wurde das nächste Kap (Küstenerhebung) in der Nähe der Landungsstelle auf den Namen "Young Nick's Head" getauft. Das Datum war der 6. Oktober 1769.

Schweine und Kartoffeln

Cook war zu diesem Zeitpunkt ein weitgereister Mann, wenige Monate vorher war er noch in Patagonien gewesen und hatte zwei afrikanische Seeleute an das dortige kalte Klima verloren. Er sah, dass auch die Maori von Neuseeland in einer unbeschreiblichen materiellen Armut lebten. Es gab buchstäblich nichts außer Salat und Fisch oder Muscheln zu essen, es gab keinerlei Felltiere, deren Pelze als Kleidung, deren Fleisch als Nahrung taugten.

Die Maori standen in den kalten, regnerischen Wintern praktisch nackt in Papierhemden im Wind. Sie bauten mühsam in Erdlöchern Süßkartoffeln an und fingen mit trickreichen Fallen die nicht eben flugbegeisterten heimischen Vögel. Cook erkannte, dass er das, was diese Menschen brauchten, dabei hatte. Dass er ihnen helfen konnte. Cook hatte Kartoffeln dabei, die im neuseeländischen Klima ausgezeichnet gedeihen würden, und er hatte Schweine an Bord, die sich mittlerweile bereits zu einer europäisch-asiatischen Unterart fortgeplanzt hatten, die es heute in dieser Form nur noch in Neuseeland gibt, als das Original Cooksche Wildschwein, das die Regierung des Landes indessen ausrotten möchte.

Eine Nachfahrin des Original Cook Schweins, fotografiert auf der Coromandel Halbinsel im Norden Neuseelands. Foto: Reihana Robinson.

Als Cook nach einem Jahr der kompletten Umseglung Neuseelands an seine ursprüngliche Landestelle zurückkehrte, fand er eine blühende Schweinezucht und körbeweise Kartoffelernte vor. Die Maori waren, wie ihre Vorfahren in Westasien, großartige Landwirtschaftler. Von der Seefahrt verstanden sie nur eben so viel, dass sie auf den Weiten des Pazifiks nicht alle ertrunken waren. Anders als die Eskimos, die 400 Wörter für Schnee kannten — ein Mythos, wie man heute weiß — kannten die Maori nur eben drei Wörter für Seefahrt und Seefahrer.

Hunde

Cook fielen aber auch noch ein paar andere Dinge auf, die er tunlichst zu kommentieren unterließ. Es gibt bekanntlich in England drei verschiedene Wörter für "Hund" — das von den Angeln und Sachsen aus ihrer deutschen Heimat eingeführte "Hound", das von den dänischen Wikingern mitgebrachte "Dogge" und das von den norwegischen Wikingern nach Schottland eingeführte "Cur", ausgesprochen "Kör". In Norwegen gibt es heute nur noch das allgemein skandinavische "Hynd", ausgesprochen "Hünd". Einzig in Finnland heißt der Hund auch heute noch "Koira".

Aber Cook fiel natürlich auf, dass der merkwürdig weiß-gelbliche Hund der Maori, den sie "Kuri" nannten, irgendwie ungewöhlich wirkte. Dass sie anderswo einen schwarzen Hund hatten, den sie "Pero" nannten, war ebenfalls seltsam, denn "Perro" ist das spanische Wort für Hund. Ganz offensichtlich diente das Wort "Pero" auch als Schimpfwort, "Pero-Pero" in seiner Verdoppelung sogar als besonders starkes Schimpfwort. Ob die Spanier einmal hier gewesen waren? Diese Frage interessierte Cook weniger, denn er wollte "Neuseeland" für die englische Krone requirieren, ebenso wie den mythischen großen Kontinent, "Australien", für den man bereits einen Namen parat hielt, noch bevor man den Kontinent selber gefunden hatte.

Genetik

Nun kann der heutige Leser manche Dinge rascher überprüfen als Cook es zu seiner Zeit konnte. Man kann bei Google die Wörter "North" "American" "Indian" "Dog" eingeben und dann auf Bildersuche gehen. Der gelbe Kuri mit den spitzen, dreieckigen Ohren und dem seltsam geradelinig nach unter herabhängenden Schwanz, der so aussieht, als hätte man ihm hinten an der Spitze ein Bleigewicht von 454 Gramm drangehängt, fällt einem ganz von selber nach einiger Zeit ins Auge.

Es gibt keine lebenden Exemplare des Kuri mehr. Der Letzte wurde angeblich 1832 feierlich verspeist. Man fragt sich allerdings, wieso es in Amerika diesen Hund oder einen ihm sehr ähnlichen immer noch gibt? Der genetische Vergleich wäre heute eine Kleinigkeit, Maori-Mäntel aus Hundefell hängen immer noch in zahlreichen Museen. Wenn sich der Kuri als ein Amerikaner herausstellen sollte, müsste die Geschichte der neuseeländischen Besiedlung umgeschrieben werden.

Ähnlich ging es bereits dem mythischen Maori-Kapitän Kupe, der einst die ebenso mythischen acht Kanus auf ihrer Reise nach Neuseeland befehligte. Selbst reguläre Anthropologen vertraten häufig die Ansicht, Kupe müsste vor 2000 Jahren gelebt haben, ein Zeitgenosse von Jesus Christus. Erst als man die mitochondrische Uhr der winzigen Maori-Ratte untersuchte, stellte es sich heraus, dass dieses kleine Tier sich genetisch um etwa 1260 von der im Pazifik lebenden polynesischen Ratte verabschiedet hatte.

Allerdings liebt man in Neuseeland die Genetik nicht eben sehr. Mag der bedeutendste neuseeländische Genetiker des 20. Jahrhunderts, Allan Wilson [2], in Amerika die heute immer noch gültige These vom afrikanischen Ursprung des Homo sapiens aufgestellt haben - das nach ihm benannte Forschungszentrum in Neuseeland wurde eines Tages Knall auf Fall dicht gemacht, weil es eben nicht mehr die Gefälligkeitswissenschaft bediente, die man von Regierungsseite her erwartete.

Es war ein Vorspiel dessen, was bei der US-amerikanischen EPA noch kommen sollte — deren Wissenschaft heute dito einem politischen Diktat zu folgen hat. Ob es dabei um die acht Kanus der Maori-Erstbesiedlung oder um die Geschichte des Kuri geht, ist egal. Das Forschungszentrum gibt es nicht mehr.

Immerhin besteht kein Zweifel an der Tatsache, dass die Maori den Kuri aßen - ebenso wie Menschenfleisch. Captain Cook kostete ursprünglich aus reiner Neugier auch einmal einen Bissen vom Hund und kam zu dem Schluss, dass der Kuri sehr zart, etwa wie Lammfleisch schmecke. Im Laufe seiner Umrundung und Kartographierung Neuseelands soll er zusehends mehr Geschmack am Hundefleisch gefunden haben, aber sich auch einer gewissen Persönlichkeitsveränderung unterzogen haben - er soll zusehend knurriger und bissiger geworden sein.

Dritte Reise

Bei seiner dritten Reise durch den Pazifik wurde Cook bekanntlich in Hawaii getötet — am St. Valentinstag 1779. Zu diesem Zeitpunkt war auch in Hawaii die Menschenfresserei und das Verspeisen von Hunden noch Seite an Seite üblich - und so hatte man Cook professionell metzgermäßig für ein Festessen am nächsten Tag vorbereitet, als den Einheimischen klar wurde, dass sie da ein hohes Tier der Kolonialmacht geschlachtet hatten.

Man suchte und fand rasch eine Entschuldigung. Zwei hungrige Kinder hätten sich in das Haus des Essens geschlichen, in der Nacht, und hätten das Herz verspeist, weil sie es für das Herz eine Hundes hielten. Am nächsten Tag erhielt Cook dann ein würdiges Begräbnis.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://teara.govt.nz/en/1966/young-nicks-head
[2] http://www.allanwilsoncentre.ac.nz/