Chance für Cannabis-Legalisierung: Gesetzeshüter streiten übers Kiffen
Die Spitzen der großen Polizeigewerkschaften sind strikt gegen die Freigabe. Manche GdP-Mitglieder, der Bund Deutscher Kriminalbeamter und ein globales Netzwerk sehen das anders
Die Polizeigewerkschaften GdP und DPolG sehen zwar die Polizei überlastet, warnen aber dennoch vor einer Gesetzesänderung, die den Beamten viel Arbeit ersparen würde und mit den Sondierungen für eine "Ampel-Koalition" in greifbare Nähe rückt. Die "Königsmacher" von den Grünen und der FDP sind für die Legalisierung von Cannabis, die SPD denkt zumindest über Modellprojekte nach.
Während der neue Bundessprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus am Wochenende beim Bundeskongress seiner Organisation angekündigt hat: "Wir werden den Kampf für eine gerechtere Welt nicht fürs Kiffen verramschen, liebe FDP", ist der Chef der rechtskonservativen Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, erwartungsgemäß aus dem Häuschen. Dieser Stoff sei nicht nur eine gefährliche Einstiegsdroge, sondern wegen der Unkontrollierbarkeit seiner Zusammensetzung insbesondere für junge Menschen eine Gefahr, sagte Wendt der Neuen Osnabrücker Zeitung.
"Wenn demnächst auch noch Bekiffte am Straßenverkehr teilnehmen, bekommen wir ein Problem", so der DPolG-Chef. Aber auch die vergleichsweise liberale Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnt vor der Legalisierung. Deren Bundesvorsitzender Oliver Malchow erklärt, es mache keinen Sinn, neben dem legalen, aber gefährlichen Alkohol "die Tür für eine weitere gefährliche und oft verharmloste Droge zu öffnen", auch wenn immer mehr Befürworter das anders sähen.
"Es muss endlich Schluss damit sein, den Joint schönzureden." Gerade bei Jugendlichen könne der Konsum von Cannabis zu erheblichen Gesundheitsproblemen und sozialen Konflikten führen, so Malchow. Zudem würde eine Legalisierung dieser Droge den Schwarzmarkthandel nicht beseitigen, meinte der GdP-Chef.
"Historisch betrachtet willkürlich"
Konsens ist das allerdings weder in seiner Berufsgruppe noch in seiner Gewerkschaft, denn die Unkontrollierbarkeit der Zusammensetzung hat zum Beispiel direkt mit der Illegalität zu tun: Wer sich durch gestreckten Stoff aus illegalen Quellen beinahe vergiftet, kann nicht einfach die Verbraucherzentrale einschalten und auf Schadenersatz klagen.
Auch in Polizei- und Justizkreisen gibt es daher Befürworter einer Legalisierung inklusive Jugend- und Verbraucherschutz. Sie gehen davon aus, dass der illegale Handel durch regulierten Verkauf und legalen Konsum weitgehend unattraktiv werden würde. Bereits 2018 forderte der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) einen Politikwechsel: "Die Prohibition von Cannabis ist historisch betrachtet willkürlich erfolgt und bis heute weder intelligent noch zielführend", sagte seinerzeit BDK-Chef André Schulz in einem Interview mit der Bild.
"Es gab in der Menschheitsgeschichte noch nie eine Gesellschaft ohne Drogenkonsum, das muss man schlicht akzeptieren", befand der BDK-Chef. Schulz ging damals schon davon aus, dass Cannabis in Deutschland nicht mehr allzu lange verboten sein werde.
Netzwerk streitbarer Beamter
Weitere Befürworter der Freigabe aus Polizei und Justiz gehören dem internationalen Netzwerk Law Enforcement Against Prohibition (LEAP) - zu Deutsch Gesetzeshüter gegen Prohibition - an. So etwa der Geraer Kriminalhauptkommissar Frank Tempel, der seit 1995 GdP-Mitglied ist und zwischenzeitlich für die Partei Die Linke im Bundestag saß, und der Bernauer Jugendrichter Andreas Müller.
Tempel warf am Dienstag der GDP-Spitze Inkompetenz vor. "Vielleicht sollte auch die GdP dieses Thema nicht alten vorurteilsbeladenen Männern überlassen", schrieb Tempel auf seiner Facebook-Seite. Der BDK habe es vorgemacht und sich offen mit der Thematik beschäftigt, so Tempel. Jugendrichter Müller warb auf seinem Twitter-Kanal intensiv für die Hashtags "Cannabis", Legalisierung" und "Legalisierung jetzt" und empfahl, die Beteiligten der Sondierungsgespräche von SPD, Grünen und FDP über deren Accounts "direkt anzusprechen".
In einer Erklärung zur Bundestagswahl 2021 hatte die deutsche LEAP-Sektion argumentiert, durch die Legalisierung und Regulierung des Marktes für Cannabisprodukte würden "Millionen Bundesbürgerinnen und -bürger von sinnloser strafrechtlicher Verfolgung befreit und Risiken durch Streckmittel, kriminelle Dealer u. a. deutlich reduziert". Polizei und Staatsanwaltschaft könnten sich außerdem "intensiver um wirklich strafrechtlich relevante Delikte kümmern".
LEAP Deutschland hat nach eigenen Angaben mehr als 100 Mitglieder und existiert hier seit 2015. Das internationale Netzwerk wurde 2002 im US-Bundesstaat Massachusetts gegründet. Weltweit gehören ihm nach eigenen Angaben rund 15.000 Personen an. Bei der schon 2014 geplanten Gründung der deutschen Sektion auf Initiative von Frank Tempel war beabsichtigt, dass der damalige Polizeipräsident von Münster, Hubert Wimber, den Vorsitz übernehmen sollte. Das Ressort von Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) untersagte ihm aber dienstrechtlich dieses Engagement. Letztendlich kam es erst nach Wimbers Pensionierung zur Gründung des Vereins.
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