"Historisch betrachtet willkürlich und bis heute weder intelligent noch zielführend"

Grafik: TP

Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert Ende der Verfolgung von Cannabiskonsum

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André Schulz, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, hat in der Bild-Zeitung eine "komplette Entkriminalisierung von Cannabis-Konsumenten" gefordert: "Die Prohibition von Cannabis", so der 47-Jährige, sei "historisch betrachtet willkürlich erfolgt und bis heute weder intelligent noch zielführend".

Man müsse, so der diplomierte Verwaltungswirt, "schlicht akzeptieren", dass es "in der Menschheitsgeschichte noch nie eine Gesellschaft ohne Drogenkonsum" gab und dass "unser derzeitiges Rechtssystem Menschen stigmatisiert und kriminelle Karrieren erst entstehen lässt". Für bessere Ansätze, mit der anthropologischen Konstante umzugehen, hält er die Anleitung zu Verantwortung im Konsum, die Fürsorge für Menschen, die das nicht schaffen, einen "tatsächlich wirksamen Kinder- und Jugendschutz" und die Gewährleistung, dass unter Marihuanaeinfluss nicht Auto gefahren wird.

Auch Strafrechtler für Reform

Diese Ideen erscheinen nicht nur Anwälten wie Udo Vetter‏ "höchst vernünftig". Ein großer Teil der deutschen Strafrechtsprofessoren verlangte bereits 2013 die Einsetzung einer Expertenkommission, die "Schaden und Nutzen der Drogenpolitik unvoreingenommen wissenschaftlich überprüfen" und die "Geeignetheit, Erforderlichkeit und normative Angemessenheit des Betäubungsmittelstrafrechts" evaluieren soll (vgl. Strafrechtsprofessoren fordern Überprüfung des Betäubungsmittelgesetzes).

Zwei Jahre später forderte Joachim Pfeiffer, der wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, eine Cannabis-Freigabe, weil die bisherige Politik seinem Eindruck nach gegen den "großen, sehr aktiven und mit der organisierten Kriminalität engstens verflochtenen Schwarzmarkt für illegale Drogen" bislang nichts ausrichten konnte. Denn, so Pfeiffer: "Ein Schwarzmarkt ist Folge eines Verbots" (vgl. "Man kann keinen Schwarzmarkt verbieten").

Ein "regulierter Markt" wäre seiner Meinung nach sinnvoller als ein wirkungsloses Verbot. In diesem Zusammenhang rechnete er vor, dass die zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität sinnlose Strafverfolgung von Cannabis-Konsumenten den Steuerzahler jährlich ein bis zwei Milliarden Euro kostet, aber weder die "Querfinanzierung weiterer krimineller Machenschaften" noch "lebensbedrohliche Beimischungen" unterbindet. Bislang sind CDU und CSU in dieser Frage aber noch nicht auf der Linie ihres wirtschaftspolitischen Bundestagsfraktionssprechers - nicht zuletzt wegen der expliziten Gegnerschaft Angela Merkels.

Weltweite Entwicklung

Zu den ein bis zwei Milliarden Euro, die sich der Staat spart, wenn er keine Cannabis-Konsumenten mehr verfolgt, könnten noch einmal bis zu zwei Milliarden Euro an Steuereinnahmen hinzukommen, wenn man Marihuana in ähnlicher Weise besteuert, wie dies US-Bundesstaaten tun, die das Genussmittel in den letzten Jahren nach Volksabstimmungen legalisieren mussten. Inzwischen ist in den USA der Gebrauch von Cannabis als Rauschmittel in den Bundesstaaten Alaska, Kalifornien, Colorado, Oregon, Massachusetts, Maine, Nevada und Washington erlaubt (vgl. Bürger in Kalifornien, Nevada und Massachusetts erzwingen Legalisierung von Marihuana). Und es steht zu erwarten, dass weitere Bundesstaaten folgen werden. In mehr als 20 davon ist Cannabis bereits als Arzneimittel zugelassen.

In Kanada soll im Juli 2018 ein Gesetz in Kraft treten, das den Marihuanakonsum freigibt (vgl. Kanada: Befürworter einer Legalisierung von Marihuana wird neuer Premierminister). In Uruguay wird es bereits seit dem letzten Jahr rezeptfrei in Apotheken verkauft. In Kolumbien, Chile, Spanien, mehreren indischen Bundesstaaten, Südafrika und den Niederlanden ist es faktisch legalisiert; in den meisten anderen lateinamerikanischen Staaten, Russland, Italien, Portugal der Schweiz, Osterreich, Tschechien, Slowenien und mehreren australischen Bundesstaaten hat man den Konsum weitgehend entkriminialisiert.

Das deutsche Betäubungsmittelgesetz liegt im Zuständigkeitsbereich des Bundes. Dort planen die alten und neuen Koalitionspartner Union und SPD bislang nicht, etwas Grundsätzliches zu ändern. Die Details der Strafverfolgung sind jedoch (anders als Strafgesetzgebung und die Strafprozessordnung) Ländersache, weshalb die einzelnen Bundesländer ihren Polizisten und Staatsanwälten Vorgaben machen können, wie sie mit bestimmten Fällen umgehen.