Chaos-Metropole Berlin: Was muss passieren, damit eine Wahl rechtswidrig ist?

Chaos-Wahlsiegerin Franziska Giffey (SPD) auf einem der Werbeplakate zur Berliner Abgeordnetenhauswahl. Grafik: SPD Berlin

Am "Superwahltag" im September gab es in manchen Kreisen angeblich eine Beteiligung von über 100 Prozent und weitere Pannen. Über eine Wiederholung wird frühestens im Herbst entschieden

"Muss Berlin noch einmal wählen?" – Diese Frage stellte sich im Herbst letzten Jahres, nachdem in der deutschen Hauptstadt Unregelmäßigkeiten am "Superwahltag" bekannt geworden waren. Am 26. September hatten in Berlin parallel zur Bundestagswahl die Wahl des Abgeordnetenhauses und die der Bezirksverordnetenversammlungen stattgefunden; hinzu kam der Volksentscheid der Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen".

Die Liste der Pannen ist lang: Vor manchen Berliner Wahllokalen mussten die Wähler bis zu zwei Stunden warten. Andere konnten überhaupt nicht mehr wählen, weil nicht genügend Stimmzettel vorhanden waren. In einem Wahllokal in Friedrichshain-Kreuzberg wurden Stimmzettel aus Charlottenburg-Wilmersdorf verteilt, die damit ungültig waren. An vielen Orten reichte die Zahl der Wahlkabinen nicht aus. In mindestens 99 Wahllokalen waren auffällig viele Stimmzettel ungültig.

Es gab auch Wahlkreise, in denen die Beteiligung angeblich bei mehr als 100 Prozent lag. Doch das Thema verschwand schnell aus den Medien; und damit schien es aus der Welt. Aber doch nicht ganz. Schließlich hatte Bundeswahleiter Georg Thiel Einspruch gegen die Berliner Wahlergebnisse eingelegt bei den Wahlkreisen 79 (Steglitz-Zehlendorf), 80 (Charlottenburg-Wilmersdorf) und 83 (Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost).

"Hier ist ein komplettes systemisches Versagen zu sehen"

In der Anhörung forderte der Bundeswahlleiter die Wiederholung der Wahlen in sechs Bezirken. Das wäre genau die Hälfte der Berliner Bezirke. Zudem fand Thiel deutliche Worte für die Vorgänge am Wahltag: "Hier ist ein komplettes systemisches Versagen zu sehen", sagte Thiel und stellte die Frage: "Was muss noch passieren, dass wir Wahlen als wiederholungsfähig oder rechtswidrig sehen?"

Wäre das in einem als illiberale Demokratie gelabelten Staat geschehen, hätte die Legitimität der Wahlen sofort auch in Deutschland zur Diskussion gestanden. Doch zu den Vorgängen in Berlin gab es kam öffentliche Reaktionen, die in Richtung Neuwahlen drängten.

Doch sogleich meldeten sich die Bedenkenträger zu Wort, die davor warnten, dass durch Neuwahlen dringend nötige Neubesetzungen bei der Berliner Justiz weiter verzögert werden könnten. Auch die Berliner Wahlleiterin will Neuwahlen verhindern und provozierte mit der These, die Wahlberechtigten hätten einfach länger warten sollen, auch massiven Widerspruch.

Hier werden die Menschen, die ihr Wahlrecht nicht wahrnehmen konnten, angegriffen und nicht die Strukturen, die dafür gesorgt haben, dass in Berlin so viele Menschen Probleme beim Wählen hatten. Auf vielen Fotos sind die langen Schlangen vor den Wahllokalen zu sehen. Menschen haben also durchaus Zeit investiert, um wählen zu gehen.

Es ist unverständlich, wenn ihnen dann gesagt wird, sie hätten halt noch länger warten sollen. Eigentlich stellt sich doch die Frage, ob die Strukturen auch in Berlin schon so marode und kaputtgespart wurden, dass selbst reguläre Wahlen, auf die sich ja die Staatsapparate vorbereiten können, zum Glücksspiel werden. Viele Menschen erwarten gar nicht mehr, das sich da etwas ändert. Zudem haben viele wenig Vertrauen in die bürgerliche Politik und das Gefühl, den Entscheidungsträgern sowieso egal zu sein, was auch den Mangel Protestbereitschaft erklärt.

Dann kommen bald die nächsten Wahlen

Mittlerweile wurde bekannt, dass der Berliner Kassationsgerichtshof erst im Herbst oder Winter über eine mögliche Wiederholung der von zahlreichen Pannen geprägten Wahl zum Abgeordnetenhaus entscheiden will.

Die Strategie ist klar: Man will das Thema aus der Öffentlichkeit halten, bis sich niemand mehr darüber aufregt. Dann wird auch das Argument kommen, bald finden ja die nächsten Wahlen statt und da lohne sich doch eine zeit- und kostenaufwendige Wiederholung nicht. Dieses intransparente Agieren ist auf jeden Fall Wasser auf die Mühlen derer, die die schon länger ohne Beweise von Wahlmanipulationen reden, bevor die Vorgänge überhaupt überprüft werden sollten,

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