China: Bevölkerungszahl 2018 erstmals seit Gründung der Volksrepublik zurückgegangen
Geburtenkontrollkritiker Yi Fuxian befürchtet negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum
Einer Rechnung des an der University of Wisconsin-Madison lehrenden chinesischen Geburtenpolitikkritikers Yi Fuxian und des an der Universität Peking lehrenden Ökonomen Su Jian nach ist die Bevölkerungszahl der Volksrepublik China erstmals seit ihrer Gründung 1948 zurückgegangen, weil 1,27 Millionen Menschen mehr starben als geboren wurden. Ob die chinesische Statistikbehörde in ihren Rechnungen auf eine ähnliche Zahl kommt, wird erst feststehen, wenn sie ihre offizielle Statistik veröffentlicht.
Für Yi Fuxian ist die von ihm berechnete Entwicklung eine, die ihm Angst macht. Er verweist in einem Gastbeitrag für die zum Alibaba-Konzern gehörige South China Morning Post auf die seiner Meinung nach unzureichende Entwicklung des Wirtschaftswachstums im Nachbarland Japan seit den 1990er Jahren, die er vor allem auf den dort bereits früher eingesetzten Geburtenrückgang zurückführt.
Negativbeispiel Japan?
Eine im Durchschnitt ältere Bevölkerung und ein höherer Anteil von Personen im Renten- auf Personen im Erwerbsalter ist seiner Ansicht nach verantwortlich dafür, dass die japanische Investitionsrate zwischen 1991 und 2016 von 34,2 auf 23,6 Prozent, der japanische Anteil am weltweiten Industrieexport seit 1993 von 12,5 auf 5,2 Prozent und die Zahl japanischer Firmen unter den 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt seit 1994 von 149 auf 52 zurückging. Eine Sicht, die unter anderem außer Acht lässt, dass es in diesen Jahrzehnten auch in den USA, China und anderen Ländern politische und wirtschaftliche Entscheidungen gab, die Anteil an diesen Entwicklungen hatten.
Sieht man die Weltwirtschaft weniger als sportlichen Wettbewerb zwischen Nationen, taugt Japan eher bedingt als Negativbeispiel: Dem Better-Life-Index der OECD nach ist es sehr sicher und bietet mit einer Lebenserwartung von 84 Jahren eine der höchsten der 36 Mitgliedstaaten. Beim Einkommen liegt das Land hinter den USA, der Schweiz, Luxemburg, Belgien und Schweden als erstes asiatisches auf Platz sechs; beim Finanzvermögen der privaten Haushalte auf Platz vier und bei der Arbeitsplatzsicherheit auf Platz eins. Das liegt auch daran, dass das Medianalter kein aussagekräftiger Innovationsindikator ist (vgl. Keine Angst vor "Überalterung") und dass in Japan weniger Menschen im Erwerbsalter mehr leisten, weil sie mehr gelernt haben - vor allem in den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaften, wo japanische Schüler im internationalen Vergleich sehr gut abschneiden.
Wirtschaftlicher und technischer Aufstieg Chinas parallel zur Ein-Kind-Politik
Länder mit sehr hohen Geburtenraten, die es vor allem in Afrika gibt, können ihren Einwohnern da sehr viel weniger bieten (vgl. Nur Afrika bekommt das Bevölkerungswachstum nicht unter Kontrolle). Auch sehr viel weniger als die Volksrepublik China, deren rasanter wirtschaftlicher und technischer Aufstieg in den letzten knapp 40 Jahren sehr auffällig in einen Zeitraum fällt, in dem dort eine Ein-Kind-Politik durchgesetzt wurde.
Diese Politik sollte den Teufelskreis aus Überbevölkerung und Unterentwicklung durchbrechen und Fortschritt durch bessere Bildung ermöglichen. Durchgesetzt wurde sie lokal unterschiedlich über ein Mischsystem aus hohen Kompensationszahlungen an den Staat ("shehui fuyang fei") und Versorgungsanreizen: Ein-Kind-Familien wurden bei der Gesundheitsversorgung, der Rente, beim Urlaub und bei der Wohnungsvergabe bevorzugt. Hinzu kamen flankierende Aufklärungsmaßnahmen: Bis 2003 wurde von jungen Paaren eine Art "Familienplanungsführerschein" gefordert, welcher Grundkenntnisse der Empfängnisverhütung zum Inhalt hatte.
Durch die Ein-Kind-Politik wandelte sich die Haltung gegenüber Kindern: Den Einzelkindern wurde nicht nur mehr Fürsorge, sondern auch mehr Bildung zuteil - im eigenen Interesse der Eltern, die durch ein höheres Einkommen des Einzelkindes ihre Chancen auf Zuwendungen im Alter erhöhten. So konnte auch in traditionell bildungsfernen Schichten der Sprung aus dem Elend geschafft werden.
Als zweischneidiges Schwert erwiesen sich die zur Abschreckung eingeführten Nachteile für die Ausbildung, welche dafür sorgten, dass nicht nur die Eltern, sondern auch die Kinder benachteiligt wurden. Die großen sozialen Unterschiede im heutigen China wurden auch von Eltern verursacht: Arme Wanderarbeiter sind häufig Söhne von Bauern, die sich nicht an die Ein-Kind-Regelungen hielten; Programmierer, Ingenieure und Geschäftsfrauen in den Städten dagegen häufig Einzelkinder (vgl. Wie China den Hunger besiegte).
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