Chomsky zu Irak-Krieg: Warum die USA mit Völkerrechtsbrüchen davonkommen

Seite 2: Bush als liebenswerter Opa, Putin als Reinkarnation Hitlers

Im November 2007, als die USA ein Abkommen über den Status der Streitkräfte anstrebten, sprach die Bush-Regierung Klartext: Sie forderte einen privilegierten Zugang westlicher Energieunternehmen zu den irakischen Ressourcen an fossilen Brennstoffen und das Recht, US-Militärstützpunkte im Irak zu errichten. Diese Forderungen wurden von Bush in einer "Unterzeichnungserklärung" im folgenden Januar bestätigt. Das irakische Parlament lehnte ab.

Die Folgen der Invasion waren vielfältig. Der Irak wurde verwüstet. Das in vielerlei Hinsicht fortschrittlichste Land der arabischen Welt ist heute in einem erbärmlichen Zustand. Die Invasion hat einen ethnischen (schiitisch-sunnitischen) Konflikt ausgelöst, den es zuvor nicht gegeben hatte und der nun nicht nur das Land, sondern die gesamte Region zerreißt.

Die ISIS ist aus diesen Trümmern hervorgegangen und hätte beinahe das Land übernommen, als die von den USA ausgebildete und bewaffnete Armee beim Anblick der mit Gewehren winkenden Dschihadisten in Pickup-Trucks floh. Kurz vor Bagdad wurden sie von iranisch unterstützten Milizen aufgehalten. Und so weiter und so fort.

Aber all das ist kein Problem für den liebenswerten, trotteligen Opa Bush oder die gebildeten Schichten in den USA, die ihn jetzt als ernsthaften Staatsmann bewundern, der über das Weltgeschehen referieren soll.

Die Reaktion ist ähnlich wie die von Zbigniew Brzezinski auf Fragen angesichts seiner Prahlerei, die Russen nach Afghanistan gelockt zu haben, und seiner Unterstützung der US-Strategie, den Krieg zu verlängern und UN-Verhandlungen über einen russischen Abzug zu blockieren. Das war ein wunderbarer Erfolg, erklärte Brzezinski den naiven Fragestellern. Das Ziel, der UdSSR schweren Schaden zuzufügen, sei erreicht worden, so seine (fragwürdige) Behauptung, während er einräumte, dass ein paar "aufgewühlte Muslime" zurückblieben, ganz zu schweigen von einer Million Leichen und einem zerstörten Land.

Oder wie Jimmy Carter, der uns versicherte, dass wir den Vietnamesen "nichts schuldig" seien, weil "die Zerstörung auf Gegenseitigkeit beruhte".

Man könnte leicht derart weiter machen. Einer derart umfassenden Machtfülle, mit einer loyalen intellektuellen Schicht an der Seite ist weniges unerreichbar.

Der Einmarsch in den Irak 2003 war ein ebenso krimineller Akt wie der Einmarsch Russlands in die Ukraine. Aber die Reaktion der westlichen Gemeinschaft darauf war ganz anders als bei der russischen Invasion in die Ukraine. Es wurden keine Sanktionen gegen die USA verhängt, Vermögenswerte amerikanischer Oligarchen wurden nicht eingefroren. Es gab keine Forderung nach einer Suspendierung der USA im UN-Sicherheitsrat. Ihr Kommentar dazu?

Noam Chomsky: Ein Kommentar ist kaum vonnöten. Das schlimmste Verbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg war der lange Krieg der USA gegen Indochina. Ein Votum gegen die USA war nicht denkbar. In der Uno war man sich darüber im Klaren, dass die USA die Institution einfach aufgelöst hätten, wenn die schrecklichen Verbrechen auch nur zur Sprache gekommen wären.

Der Westen verurteilt berechtigterweise Putins Annexionen und fordert die Bestrafung dieser Reinkarnation Hitlers, wagt aber kaum zu protestieren, wenn die USA Israels illegale Annexion der syrischen Golanhöhen und Groß-Jerusalems sowie Marokkos illegale Annexion der Westsahara gutheißen. Die Liste ist lang. Die Gründe dafür sind offensichtlich.

Wenn die herrschenden Regeln der Weltordnung verletzt werden, wird umgehend reagiert. Ein klares Beispiel dafür ist die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs von 1986. Der unangreifbar-heilige Staat (die USA) wurde vom Gericht wegen internationalem Terrorismus (in der Juristensprache: "ungesetzliche Gewaltanwendung") verurteilt. Man fordert ihn auf, die Verbrechen zu beenden und dem Opfer (Nicaragua) erhebliche Entschädigungen zu zahlen.

Washington reagierte mit einer Eskalation der Verbrechen. Die Presse tat das Urteil als wertlos ab, da der Gerichtshof ein "feindliches Forum" sei (so die New York Times), wie das Urteil gegen die USA beweise. Die ganze Angelegenheit wurde praktisch aus der Geschichte gelöscht, einschließlich der Tatsache, dass die USA nun der einzige Staat sind, der eine Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshof zurückgewiesen hat – natürlich völlig ungestraft.

Ein altes Sprichwort sagt: "Gesetze sind Spinnennetze, durch die die großen Fliegen fliegen und die kleinen sich verfangen". Diese Maxime gilt ganz besonders in internationalen Beziehungen, wo der Pate das Sagen hat.

Mittlerweile ist die Verachtung für das internationale Recht – außer als Waffe gegen Feinde – kaum noch zu verbergen. Die Verachtung wird als Forderung nach einer "regelbasierten internationalen Ordnung" (in welcher der Pate die Regeln festlegt) umformuliert – eine Ordnung, die an die Stelle der archaischen, auf der Uno basierenden internationalen treten soll, die die Außenpolitik der USA behindert.

Was wäre passiert, wenn der Kongress sich geweigert hätte, dem Plan der Bush-Regierung, in den Irak einzumarschieren, zuzustimmen?

Noam Chomsky: Ein Republikaner stimmte gegen die Kriegsresolution (Chafee). Die Demokraten waren gespalten (29 zu 21). Hätte der Kongress seine Zustimmung verweigert, hätte die Bush-Regierung andere Mittel finden müssen, um die Ziele zu erreichen, die Cheney-Rumsfeld-Wolfowitz und andere Falken ziemlich klar dargelegt hatten.

Es gibt viele solcher Mittel: Sabotage, Subversion, Provokation (oder Fabrikation) eines Zwischenfalls, der als Vorwand für "Vergeltungsmaßnahmen" dienen könnte. Oder einfach die Ausweitung des brutalen Sanktionsregimes, das die Bevölkerung in die Knie zwingt.

Wir erinnern uns vielleicht daran, dass die beiden angesehenen internationalen Diplomaten, die Clintons Programm (über die Uno) verwalteten, aus Protest zurücktraten und es als "Völkermord" verurteilten. Einer von ihnen, der deutsche Diplomat Hans von Sponeck, schrieb ein äußerst aufschlussreiches Buch, in dem er die Auswirkungen im Detail beschreibt: "A Different Kind of War". Es war nicht einmal notwendig, das wohl wichtigste Buch, das über die Vorbereitung zur verbrecherischen Invasion und über die US-Sanktionswaffe handelt, zu verbieten. Stille Konformität genügte. Die Erkenntnisse hätten die Bevölkerung vielleicht so sehr aufgewühlt, dass eine "humanitäre Intervention" erforderlich gewesen wäre.

Es ist gut, sich daran zu erinnern, dass dem Zynismus keine Grenzen gesetzt sind, wenn Konformität und Gehorsam vorherrschen.

Noam Chomsky (geb. 1928) ist emeritierter Professor für Linguistik und Philosophie am MIT, Lehrstuhlinhaber für Linguistik an der Universität von Arizona, wo er auch das Programm für Umwelt- und soziale Gerechtigkeit leitet. Chomsky ist einer der meistzitierten Wissenschaftler der modernen Geschichte und kritischer Intellektueller, der von Millionen von Menschen weltweit rezipiert wird. Er hat mehr als 150 Bücher, wissenschaftliche Standardwerke und viele Bestseller in den Bereichen Linguistik, politisches und soziales Denken, politische Ökonomie, Medienwissenschaft, US-Außenpolitik und Weltpolitik sowie Klimawandel veröffentlicht. Zusammen mit Vijay Prashad hat er gerade veröffentlicht: "The Withdrawal. Iraq, Libya, Afghanistan, and the Fragility of U.S. Power".

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