Clean Meat: Wenn Burger aus dem Bioreaktor kommen

Susanne Aigner
Fleischtube, Petrischale mit Fleisch und Pipette

Fleisch ohne Tierleid – das versprechen Labore weltweit. Die Technik macht Fortschritte, erste Produkte sind bereits zugelassen. Wann kommen sie auf den Markt?

Seit einiger Zeit entwickelt Stepan Janoud an der Prager Universität für Chemie und Technologie Lebensmittelmischungen für 3D-Drucker. Und das funktioniert so: Eine Paste aus Erbsenprotein, Öl und Leberpastete wird in einen speziellen Aufsatz gefüllt. Nach wenigen Minuten spuckt das Gerät Tropfen für Tropfen ein rundes Stück Fleisch aus. Der 3D-Druck soll den fleischlosen oder hybriden Alternativen die optimale Textur geben.

Die Technologie zum Selbstausdrucken wollen die Prager Forscher dahingehend verbessern, dass sie von Unternehmen als auch von Verbrauchern eingesetzt werden. Sie entwickelten bereits hybride Brotaufstriche für tschechische Unternehmen. Um bessere Fleischalternativen herzustellen, druckte das Team um Janoud künstliches Fleisch aus und kombinierte es mit natürlichem Hühnerfleisch. Bisher sind viele Produkte teuer und alles andere als gesund.

Sie enthalten oft wenig Protein, dafür viele hoch verarbeitete Zusätze, kritisiert Rudolf Sevcik. Er findet es zwar gut, weniger Fleisch zu essen, doch einige Nährstoffe sollten besser aus Fleisch stammen. Sein Wissenschaftlerteam nutzt nur natürliche Zutaten als Paste aus Hülsenfrüchten, Getreide und etwas Fleisch.

Fleisch aus aneinander geklebten Zellhaufen

Das erste Stück Laborfleisch wurde im August 2013 bei einer Pressekonferenz in Westlondon in der Pfanne gebraten. Mark Post von der Universität Maastricht züchtete damals mithilfe von anregenden Chemikalien reiskornkleine Fasern. Etwa dreitausend dieser Zellhaufen wurden immer wieder aneinander geklebt, bis daraus so etwas Ähnliches wie ein Burger entstand.

Der Mitbegründer des Unternehmens Mosa Meat wollte mit der Frikadelle, die damals 300.000 Euro kostete, einen ersten Schritt in Richtung eines "ökologisch verträglichen Fleischkonsums" unternehmen. Die Textur war nicht weich genug, wie Testesser befanden, doch der Geschmack sei schon nah dran am Fleisch gewesen.

Künstliche Reize regen Muskelzellen zum Wachstum an

Um Fleisch im Labor zu züchten, braucht es Stammzellen aus dem Muskel eines Tieres. Diese sind in der Lage, eine Kopie von sich hervorzubringen, indem sie sich teilen. Eine der neu hervorgebrachten Zellen trägt die gleichen Eigenschaften wie die Mutterzelle: Die Stammzelle erneuert sich selbst. Die zweite reift zu einem Zelltyp, aus dem sich Muskelgewebe bildet.

Das Laborfleisch wird für gewöhnlich mit künstlichen Fettzellen vermengt und durch den Fleischwolf gejagt. Die daraus entstehende Form der Produkte ist egal, solange sie wie an Tieren gewachsenes Fleisch schmecken: Nuggets, Frikadellen und Burgerpatties, Hackbraten.

Fötales Kälberserum als Nährmedium?

Nachdem die Stammzellen dem Muskelgewebe entnommen wurden, werden sie im Labor von sogenannten Zellsortierungsmaschinen isoliert. Anschließend teilen sich die Stammzellen in einem Bioreaktor mit einem Nährmedium aus Zucker, Aminosäuren, Mineralien und Vitaminen. Hinzu kommt fötales Kälberserum, das dem noch schlagenden Herzen eines Fötus einer trächtigen Kuh entnommen wird, die dafür geschlachtet werden muss.

Seit 2017 allerdings ist es aus tierschutzrechtlichen Gründen verboten, Rinder und Schweine im letzten Drittel der Trächtigkeit zu schlachten. Unternehmen suchten deshalb nach Alternativen: In einer im Januar 2022 im Fachmagazin Nature Food erschienenen Studie stellte Mosa Meat ein neues, patentiertes Verfahren vor: Aus pflanzlichen Ersatzstoffen – etwa Algen – wird ein Nährmedium synthetisiert, das sich für die Zellkultivierung eignet.

Weltweit tüfteln Unternehmen an Verbesserungen

Inzwischen arbeiten große Player aus der Fleisch- oder Pharmabranche daran, Form und Geschmack des Laborfleischs zu verbessern. Das Good Food Institute listet über 170 börsennotierte Unternehmen in sechs Ländern auf, die Fleisch oder Fisch aus Zellkultur weiterentwickeln und auf den Markt bringen wollen. Milliardäre und Prominente wie Bill Gates oder Richard Branson feuern den Hype um das Zellkultur-Fleisch weiter an.

So investiert etwa die PHW-Gruppe, eine der größten Geflügelproduzenten Europas, zu der auch Wiesenhof gehört, 40 Millionen Euro in eine strategische Partnerschaft mit dem niederländischen Branchenpionier Mosa Meat. Letztgenanntes Unternehmen beantragte kürzlich bei der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit die Zulassung von kultiviertem Fett.

Dieses kann mit pflanzlichen Zutaten gemischt werden, um Aroma und Mundgefühl von Fleisch zu kreieren. Mit durch Crowdfunding generiertem Kapital werde Mosa Meats "die letzten Phasen der Forschung und Entwicklung seiner Produkte vor dem Verkauf in Restaurants sowie die Produktion der ersten kultivierten Rindfleischburger samt Marketingmaßnahmen" finanzieren, verkündet das vegane Wirtschaftsmagazin Vegconomist.

Zuchtfisch aus der Petrischale

Das Food-Tech-Start-up BLUU Seafood will die Produktion von kultiviertem Fisch vorantreiben – mit modernen Laboren sowie einer Testküche auf rund 2.000 Quadratmetern in Hamburg-Altona. In einem Fermenter, der bis zu 2.000 Liter umfasst, sollen die zellbasierten Fischprodukte hergestellt werden. Sebastian Rakers will "Muskel-, Fett- und Bindegewebszellen von Atlantischem Lachs und Regenbogenforelle in deutlich größeren Mengen züchten als bisher".

Seine Laborprodukte schädigen weder Tier noch Umwelt, zudem sind sie frei von Schwermetallen, Mikroplastik und Gentechnik, ist er überzeugt. In Hamburg gebe es ideale Bedingungen, weiterzuwachsen und die Herstellungskosten kontinuierlich zu senken, glaubt der Unternehmensgründer. Stimmen die Rahmenbedingungen, werde man in drei Jahren schon kultivierten Fisch zu Preisen des Fischgroßhandels anbieten.

Einziges Problem: Weder Fleisch noch Fisch aus dem Labor sind in Deutschland bislang zugelassen. In Singapur wird seit 2020 Hühnerfleisch aus dem Labor verkauft, allerdings wurden die Produkte mit pflanzlichen Proteinen gestreckt. Das US-Landwirtschaftsministerium genehmigte 2023 zwei Firmen den Verkauf von kultiviertem Hähnchenfleisch. Bislang gilt die Genehmigung jedoch nur für den Verkauf im Restaurant. Supermärkte sind ausgeschlossen.

Laborfleisch schont die Umwelt

Für Laborfleisch werden keine Tiere getötet, betonen die Akteure der Laborfleischszene. Zudem werden weniger Ressourcen verbraucht. Die Viehzucht ist für etwa 14,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich, berechnet die UN-Organisation für Ernährungs- und Landwirtschaft (FAO).

Knapp die Hälfte dieser Emissionen stammt aus der Produktion und der Verarbeitung von Futtermitteln, hinzu kommt das Methan, das aus Wiederkäuern entweicht. Dem Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung zufolge werden etwa 70 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche genutzt, um Futter anzubauen oder Tiere zu weiden.

Als weiteres Argument dient der hohe Wasserverbrauch in der Fleischproduktion. Dieser jedoch variiert je nach Haltungsart und kann in großen Teilen auch durch Regenwasser erfolgen.

Ist Laborfleisch klimaneutral?

Fakt ist, dass weniger Fläche für Nutztiere und Futterproduktion benötigt wird. Einer Studie zufolge sinkt beim Rindfleisch der Kohlendioxid-Fußabdruck um bis zu rund 90 Prozent.

2021 untersuchte die Beratungsfirma CE Delft die Treibhausgas- und Feinstaubemissionen, den Land- und Wasserverbrauch sowie die Toxizität für Menschen. Demzufolge erzielte Rindfleisch mit weitem Abstand die schlechteste Umweltbilanz.

Huhn- und Schweinefleisch jedoch schnitten sogar etwas besser ab als Laborfleisch – allerdings nur, solange die Labore mit konventioneller Energie betrieben werden. Am wenigsten belastet die Umwelt eine komplett pflanzenbasierte Ernährung (aus ökologischem Anbau).

Wie reagieren Konsumenten?

Viele Verbraucher bewerten In-vitro-Fleisch als unnatürlich und weniger gut für die Gesundheit. Dennoch können sich laut Umfragen mehr als die Hälfte der Deutschen vorstellen, im Labor kultiviertes Fleisch zu probieren. Die Bioökonomin Ramona Weinrich vom Institut für Agrarpolitik und Landwirtschaftliche Marktlehre der Uni Hohenheim sieht In-vitro-Fleisch als Ergänzung zu Angeboten für Menschen, die eine Alternative für Fleisch suchen.

Kritik kommt hauptsächlich aus der Öko-Branche: Die zelluläre Landwirtschaft ignoriere natürliche Kreisläufe, nur damit Menschen weiterhin mehr Fleisch essen können als ihnen selbst und der Umwelt guttut. Verbraucherschützer fordern eine transparente Kennzeichnung für Fleisch oder Fisch aus dem Bioreaktor.

Der generelle Nutzen, die Unbedenklichkeit und der Gesundheitswert müssten deutlicher werden. Der Bauernverband erkennt bislang kein Marktpotenzial für In-vitro-Fleisch, will sich der Entwicklung aber auch nicht komplett verschließen.