Cool Britannia
Ein Image schlägt zurück
Cool Britannia ist das von der Regierung Blair aufgebrachte Schlagwort zur Vermarktung des Unternehmens UK Plc. In einem Land, das mehr und mehr wie ein Wirtschaftsunternehmen geführt wird, ist die Rolle der Regierung, neben dem Erstellen der Finanzpläne, vor allem die der Unternehmenskommunikation nach innen wie nach außen. Kunst und Kultur werden dabei gerne vor den Karren der Standortpolitik gespannt.
Die Nation als Markenname
Das ist ja an sich nicht neu und in vielen Ländern gängige Praxis. Interessant ist aber, mit welcher Intensität sich New Labour um diese Aufgabe bemüht, und was neben all dem "Spin Doctoring" an realer Politik geschieht. Ob durch den Premierminister Tony Blair selbst, Kulturminister Chris Smith oder Minister ohne Portfolio Peter Mandelson (auch genannt der "Glöckner vom Millennium Dome"), es wird keine Gelegenheit versäumt, die Bedeutung der "Creative Industry" für die Wirtschaft (und damit die Politik) zu unterstreichen. "Cool Britannia" ist das Etikett, mit dem anerkannte Spitzenleistungen des Kreativsektors vermarktet werden, und wenig feinfühlig wird dabei auch Kunst gleich der kreativen Industrie zugerechnet.
Wie das geschieht, sei hier nur mit einigen blitzlichtartigen Momentaufnahmen festgehalten. Tony Blair lädt die 60ties Retro-Pop-Band Oasis nach 10 Downing Street ein, diese Ehre war zuletzt nur den Beatles, auch unter einer Labour Regierung, zuteil geworden. Blair selbst läßt sich mit Stromgitarre im Life-Style Magazin The Face abbilden.
Chris Smith eilt von Ansprache zu Ansprache, um das sich Auflösen der Grenzen zwischen Wirtschaft und Kunst herbeizubeschwören. Der BBC, eine der letzten Bastionen des europäischen Programms des Bildungsfernsehens, soll, wenn es nach ihm geht, nun endlich rechnen wie ein echtes Unternehmen und auch enger mit anderen britischen Großunternehmen zusammenarbeiten. Eine "Creative Task Force" wurde gegründet, in der Designer wie die Neokonservativen Vivienne Westwood und Paul Smith sitzen, aber auch BBC-Direktoren, usw., das Establishment der Medien-, Design-, Pop-, Film- und Fashion-Industrie.
Peter Mandelson steuert über die "New Millennium Experience" die Vorbereitungen für den Millennium Dome und benutzt Presseerklärungen des Unternehmens auch gleich als Sprachrohr: "Mandelson Applauds Design Industry", heißt es da in einer Meldung vom 24.April 1998.
Das Inselreich hat aber auch allen Grund, seine kreativen Kräfte hervorzustreichen. "Bis zum Jahr 2006", so Mandelson in oben erwähnter Presseerklärung, "werden die kreativen Industrien die größte Quelle für neue Jobs von allen anderen Wirtschaftszweigen sein." Auch jetzt schon sind Oasis, Prodigy, Jamiroquai usw. ein wichtiger Exportfaktor in Britanniens Wirtschaft. Neben den USA und Schweden ist es das einzige Land, mit einem Außenhandelsüberschuß in Urheberrechten.
Ein Image schlägt zurück
Doch das dauernde Reiten auf der Cool Britannia Welle kann in einem so medienbewußten Land nicht lange folgenlos bleiben. Immer öfter wurde in den letzten Monaten das "Spin Doctoring" von New Labour in Zeitungen und Zeitschriften kritisiert, die versuchte Einflußnahme auf die Presse, aber auch die Macht, welche Pressesprecher wie Alistair Campell innerhalb der New Labour Mannschaft haben, sowie die engen Verbindungen der Regierung zum Medienmagnaten Murdoch, für dessen Interessen sich Tony Blair gleichmal in einem Telefonat mit seinem italienischen Kollegen Romano Prodi stark gemacht hatte.
Begonnen hatte es ja eigentlich mit dem Skandal um das Verbot der Zigarettenwerbung in der Formel 1 im Fernsehen. Bernie Ecclestone, der New Labour im Wahlkampf mit einer Million Pfund unterstützt hatte, soll bei Blair vorgesprochen haben, und schon hat sich die Regierung für eine Ausnahme des EU-weiten Tabakwerbeverbots für die Formel 1 stark gemacht. Als dann das Chaos in der Presse tobte, beeilte sich Labour, die saftige Wahlkampfspende zurückzuzahlen, um den Eindruck der Klüngelwirtschaft zu vermeiden, doch es war bereits zu spät, das Image der 100prozentigen moralischen Sauberkeit war dahin.
Plötzlich war nicht mehr Thema, was die Presseleute der Regierung zum Thema machen wollten, sondern ihre eigene Tätigkeit selbst brachte Schlagzeilen auf den Titelseiten. Und immer öfter rückte dabei auch das Label Cool Britannia ins Visier.
Doch Blair und Mandelson, anstatt auf Argumente im Detail einzugehen, zogen es vor, mit Breitseiten zurückzuschießen. "Heckenschützen und Zyniker" seien es, so Blair, die den Millennium Dome ablehnten, jenes milliardenschwere Symbol für die kreative Zukunft von UK Plc. Und Mandelson stößt ins selbe Horn, wenn er sagt, "es irritiert mich sehr...wenn Leute höhnische Bemerkungen über Cool Britannia machen. Sie machen dabei nicht nur die kreative Industrie von heute runter, sondern auch ihre Bedeutung für die ökonomische Zukunft".
Dies wird nun einer Bevölkerung zu verkaufen versucht, die seit dem Regierungswechsel immer noch auf schlechte (und immer schlechter werdende) öffentliche Transportmittel angewiesen ist, die über ein Jahr auf ein Krankenhausbett für Routineoperationen warten muß, und wo die Sozialhilfe für Jugendliche, alleinerziehende Eltern und Teilbehinderte reduziert werden soll - und das um nur einige Beispiele zu nennen, bei denen das Cool Britannia Image kräftig Schlagseite zu zeigen beginnt.
Nun hat zwar New Labour ohnehin nie mehr versprochen, als die besseren Tories zu sein, doch einige der Großtaten können trotzdem immer wieder verwundern. Da das Marketing für Cool Britannia Geld kostet (der Millennium Dom alleine mehr als 2 Milliarden Mark), und ja nicht wesentlich mehr Geld vorhanden ist, müssen Budgets umgeschichtet werden. Die große Geldspritze für kulturelle und soziale Zwecke sind seit einigen Jahren die Überschüsse der nationalen Lotterie. Kulturelle und standortpolitische Großprojekte erhalten dabei immer öfter den Vorzug gegenüber sozialen Einrichtungen. So hat die nationale Aids-Hotline angedroht, bald schließen zu müssen, weil das Lottery-Funding ausläuft, während überall im Land Baugruben oder fesche Neubauten stehen, mit Lotterie-Geld ausstaffiert.
Leere Paläste
Da die Mittel der traditionellen Kunstförderinstitutionen wie Arts Council und Arts Board zugleich gekürzt werden, kommt es zu seltsamen Fehlentwicklungen. Erst im Herbst hat das Lux-Center in Ost-London aufgemacht, ein Designer-Gebäude mit viel Glas und in den Boden versenkten Monitoren. Dort residieren nun die London Filmmakers Co-operative und London Electronic Arts, also eine Filmemacherkooperative und eine zuvor eher unbedeutende Gallerie für Elektronische Kunst. Das Gebäude ist fertig und auch vollgestopft mit neuer Technik, doch für das Programm fehlt es an Geld. Ähnlich geht es der Fotogallerie CameraWorks und das renommierte ICA (Institute of Contemporary Arts) stand vor einem Jahr kurz vor der Schließung.
In dieser Situation, wenn die Institutionen der Nachkriegsavantgarde sich nur mehr vor sich hinverwalten können, aber in frischrenovierten oder sogar neugebauten Räumen, schließt sich der Kreis von der Auflösung der Grenzen zwischen Wirtschaft und Kunst, die von Chris Smith so sehnlichst beschworen wird. Die Privatwirtschaft muß als Sponsor und Event-Maker einspringen, und sie tut es auch gerne, allerdings nicht, ohne ihre eigenen Konditionen aufzuerlegen.
Das ICA ist mit einem 2 Millionen Pfund Sponsoring Deal für drei Jahre zu einer Art räumlichem Interface für das SUN Microsystems New Media Center geworden, das in seinen Eingeweiden implementiert wurde. Sun hat dem ehrwürdigen Institut nicht einfach sein Logo aufgedrückt, sondern sucht nach einer "vollkommen integrierten Kollaboration" zwischen Kunst- und Technologie-Innovationszentrum, was die Nutzung der Räume für eigene Veranstaltungen gleich mit einschließt.
Das Lux rettet sich mit fremdfinanzierten Sponsoring-Events über die Runden. Die verschiedensten ausländischen Kulturinstitute können hier nun ihre Filmreihen unterbringen und Privatsponsoren wie die Edel-Jeans-Marke Evisu Events zum Thema Guerrilla-Chic abhalten (Piss Factory, 13.Mai).
Am wenigsten kommt vom "Trickle-Down-Effect" - übrigens ein klassisches Argument der Rechten gegen staatlich erzwungen Umverteilung - der in Umlauf gesetzten Lotto-Milliarden bei den ganz jungen Kulturschaffenden an, denen, die ja eigentlich das nächste Update von Cool Britannia leisten sollen. Ihnen wird das Leben noch schwerer gemacht.
Mit dem New Deal für unter 25-jährige Arbeitslose, der von den Betroffenen wohl eher als Raw Deal empfunden wird, werden diese nach 9 Monaten entweder zur Annahme eines Jobs oder eines Ausbildungsprogramms verpflichtet. "Signing On" und mit Sozial- und Wohnungsbeihilfe ein relativ abgesichertes Leben auch bei Niedrigsteinkommen als Künstler zu führen, wie es selbst zu Thatchers Zeiten noch möglich war, soll damit völlig verunmöglicht werden. Der Kreativszene, so heißt es, werde die letzte Rückzugsmöglichkeit genommen.
Auf dieser Welle reitend, hatte die Musikwochenzeitschrift New Musical Express eine von Rockstars mitgetragene Kampagne gegen die Vereinnahmung durch Cool Britannia lanciert. Tenor: Wir haben euch im Wahlkampf unterstützt und nun betrügt ihr uns. Spätestens seither sind die Fronten festgefahren, so daß die Regierung nicht aufhört, alle als "Zynics" oder "Snobish" zu bezeichnen, die mit dem Cool Britannia Image nicht einverstanden sind, während die Presse nicht aufhört, sich darüber lustig zu machen, und der Begriff als eine Art Unwort schon in ganz unpassenden Gelegenheiten zitiert und zerfetzt wird.
Willkommen im Designer Ghetto
Aber auch ohne sich der Argumentation des NME anzuschließen, der seine eigene Agenda als absinkender ehemaliger Meinungsführer zum Britpop verfolgt, läßt sich der Gesamteindruck nicht vermeiden, daß New Labour zwar die Früchte der kreativen Industrie gerne ernten möchte, aber wenig für den Nachschub tut. Soziale Freiräume und ökonomische Nischen werden verkleinert, während die kreativen Industrien eine starke Sogwirkung auf junge Talente ausüben. Sich für eine freie, nichtkommerzielle, forschende künstlerische Tätigkeit zu entscheiden, ob als Musiker, Autor, bildender Künstler, ist, als ob man eine freiwillige Verpflichtungserklärung zur Armut einginge. Da ist es kein Wunder, daß fast alle, die irgendetwas im Grenzbereich Computer und Kreativität drauf haben, im Web-, Multimediadesign oder Gamedesign tätig sind.
Viertel wie Shoreditch im Grenzbereich von City und East End, nahmen durch diesen Boom der digitalen Kreativdienstleistungen einen ungeahnten Aufschwung und bildeten eine mit Geld aus den Finanzdienstleistungszentren der City gespeiste, hyperventilierende Design-Seifenblase aus (evtl. vergleichbar mit Silicon Alley in NYC). Das bunte Künstlervolk aus dem East End unterhält sich hier Schulter an Schulter mit den Anzug-tragenden Jung-Yuppies aus der City in den einschlägigen Pubs. "Asian Drum & Bass" dröhnt dazu aus kuscheligen Kreativ-Studios in den umliegenden alten Lagerhäusern, während zum Abschluß des letzten Interface Designs für Interactive TV der erste Feierabend-Spliff geraucht wird. Das ist Cool Britannia in der (noch nicht gedrehten) Hanif Kureishi Verfilmung.
Cool Germania
Die große Frage für Deutschland ist natürlich, ob eine SPD unter Schröder, angenommen sie gewinnt im New Labour Kielwasser die Wahl, auch so etwas wie den Cool Britannia Hype zu imitieren versuchen wird. Cool Germania, wie klingt denn das, ist so etwas denkbar? Einige Überlegungen dazu stellte ReneŽMartin in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift Spex an, und vergleicht die Situation eher mit NRWŽs Medien-Clement und Viva-Boss Dieter Gorny als mit Bundes-Schröder und natürlich mehr aus dem besonderen Blickwinkel der Pop-Musik, was durchaus stimmige Momente hat.
Sicherlich läuft zwischen Rhein und Spree alles ein wenig anders als an der Themse, aber wenn Berlin als Hauptstadt etwas mehr zu sich selbst findet, so daß es auch besser nach außen auftreten kann, könnte es einen guten Nährboden für einen Cool Germania Hype abgeben. Die neo-feudalistischen Kunsthöfe in Berlin-Mitte haben jedenfalls schon kräftig aufgerüstet, um für den kommenden Kultur-Boom rechtzeitig dagewesen zu sein und Web-Designer im supercoolen Army-Functional-Look der 90iger, die ihre Zip-Drives in der Plastikfahrradbotentasche zur nächsten Präsentation tragen, schlurfen auch bereits in ausreichender Anzahl herum.
Überarbeitete Fassung eines Vortrags gehalten in der Mikro.Lounge Nr.# 3, Berlin, 6.05.98