Corona-Pandemie: Wirksamkeit von Ivermectin und Vitamin D nicht belegt

Welche Medikamente können bei der Behandlung von Covid-19 helfen? (Teil 3 und Schluss)

Der erste Teil dieser Serie hat sich mit den wahrscheinlich demnächst zugelassenen neuen virushemmenden Arzneistoffen Molnupiravir und Paxlovid beschäftigt, die ein hoffnungsvolles Wirkungsspektrum besitzen, aber nur in der Frühphase der Infektion einzusetzen sind und nur bei Patienten mit einem ausgeprägten Risikoprofil für einen schweren Krankheitsverlauf. Antikoagulantien wie Heparin sind in höherer "therapeutischer" Dosis nur indiziert bei Patienten mit moderatem, aber nicht schwerem Krankheitsverlauf.

Im zweiten Teil wurde dargestellt, dass der Einsatz von neutralisierenden monoklonalen Antikörpern im Frühstadium von Covid-19 bei Patienten mit Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf oder zur Prophylaxe bei Immungeschwächten wirksam sein kann. Auch wurde gezeigt, dass immunmodulierende und antientzündlich-wirkende Arzneistoffe wie Tocilizumab oder Janus-Kinase-Hemmer, beide in Kombination mit Dexamethason, bei schwerkranken Patienten die Sterblichkeit vermindern können.

Der vorliegende Beitrag ist der dritte und letzte Teil dieser Serie und beschäftigt sich mit zwei umstrittenen Behandlungsvorschlägen. Es geht die Frage, ob die Arzneistoffe Ivermectin beziehungsweise Vitamin D bei der Behandlung von Covid-19 von Nutzen sein können.

Ivermectin

In meinem ersten Telepolis-Artikel im März dieses Jahres1 zum Thema, welche Medikamente bei Covid-19 helfen können, wurde Ivermectin als ein von Erdbakterien der Gattung Streptomyces produziertes Antibiotikum vorgestellt, das in vielen Ländern eine große Bedeutung bei der Behandlung tropischer Infektionskrankheiten hat.

Auf der Suche nach schon zugelassenen Arzneimitteln, die auch bei Covid-19 wirksam sein könnten, haben Forscher aus Australien im Juni 2020 In-vitro-Daten veröffentlicht, wonach eine einmalige Zugabe von Ivermectin innerhalb von 48 Stunden die Zahl der Viren in einer Zellkultur drastisch reduziert haben.

In der Folge wurde eine Vielzahl klinischer Studien mit diesem Wirkstoff bei Covid-19 begonnen, vor allem in warmen Ländern wie Ägypten, Argentinien, Bangladesch, Indien, Iran, Irak und Brasilien. Evidenzbasierte gültige Aussagen zu Nutzen und Schaden von Ivermectin konnten seinerzeit aber nach Einschätzung des Arzneimittelbriefs2 nicht gemacht werden.

Ivermectin ist derzeit weder von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) noch in den USA von der Food and Drug Administration (FDA) in der Indikation Covid-19 zugelassen.

Die Studien zu Ivermectin, die inzwischen in großer Zahl vorliegen, sind hinsichtlich der untersuchten klinischen Situationen und der Wertigkeit sehr heterogen. Darunter sind Studien zur Prophylaxe, ambulanten Behandlung, Therapie in frühen und späten Covid-19-Phasen, zu unterschiedlichen Schweregraden sowie Behandlung des Post-Covid-Syndroms vertreten.3

Jetzt haben Arbeitsgruppen aus den USA, Brasilien und Peru ein methodisch sehr sorgfältiges systematisches Review und eine Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien (RCTs) zu Nutzen und Schaden einer Behandlung mit Ivermectin bei Patienten mit Covid-19 publiziert.4 Die Studie wurde finanziell nicht unterstützt, und die Autoren geben an, keine Interessenkonflikte zu haben.

Für diese Studie wurden aus einer großen Anzahl die qualitativ besten Untersuchungen ausgewählt. Insgesamt wurden zehn RCTs in die Analyse einbezogen, wobei in fünf die Standardbehandlung und in fünf ein Placebo als Kontrolle diente. Bei acht RCTs bestand ein hohes Risiko für Verzerrungen, bei einem gab es Probleme bei der Randomisierung, und nur bei einem war das Risiko für Bias gering.

In acht RCT waren alle Patienten mittels PCR-Test für Sars-CoV-2 positiv getestet, in einem nur bei 71 Prozent, und in einem weiteren waren auch Patienten mit positivem Antigen-Test eingeschlossen. Das mittlere Alter der Patienten reichte von 26 bis 56 Jahre, der Anteil der Frauen von 15 Prozent bis 78 Prozent.

Covid-19 wurde in acht RCT als mild, in einem als mittelschwer und in einem weiteren als mild und mittelschwer eingestuft. Die meisten Patienten hatten keine Risikofaktoren wie Hypertonie, Diabetes oder kardiovaskuläre Erkrankungen.

Die Gesamtdosierungen von Ivermectin reichten von 12 mg bis 210 mg, die Behandlungsdauer von einem bis zu fünf Tagen.

Von den vielen Einzelergebnissen können hier nur die klinisch am meisten relevanten wiedergegeben werden: Ivermectin reduzierte die Sterblichkeit der Covid-19-Patienten nicht, auch die Dauer der Krankenhausaufenthalte wurde nicht signifikant verkürzt.

Nebenwirkungen, schwere Nebenwirkungen sowie die viralen Clearances (Ausscheidung der Viren über die Nieren) waren in den RCTs, in denen diese Endpunkte untersucht wurden, gleich zwischen Ivermectin und den Kontrollen. Die Ergebnisse in den Subgruppen, die nach Schweregrad von Covid-19 klassifiziert waren, waren meist übereinstimmend mit denen der Gesamtanalyse.

In drei RCTs war die Mortalität in der Ivermectin-Gruppe signifikant geringer, jedoch fand sich in diesen Studien ein hohes Risiko für Verzerrung. Informationen zur klinischen Besserung durch Behandlung mit Ivermectin sowie zur Notwendigkeit mechanischer Beatmung waren den Studien nicht zu entnehmen.

Die beste derzeit erhältliche Evidenz zeigt also, dass Ivermectin in allen Endpunkten keine statistisch gesicherten Vorteile gegenüber den Kontrollen hat, sagen die Autoren des Arzneimittelbriefs.

Eine aktuelle argentinische Studie, die noch nicht in die Metaanalyse eingegangen ist, ergab, dass eine zweitägige, in der Dosierung gewichtsadaptierte Behandlung mit Ivermectin bei ambulanten Patienten (Verum: n = 250; Placebo: n = 251) mit positivem Nasenabstrich für Sars-CoV-2 notwendige Krankenhausaufenthalte nicht reduzierte. Mechanische Beatmung war in der Ivermectin-Gruppe sogar häufiger erforderlich.5

Das Fazit der Autoren des Arzneimittelbriefs lautet:

Wir schließen uns der gut begründeten Schlussfolgerung der Autoren dieser Metaanalyse an: Ivermectin zeigte in zehn randomisierten kontrollierten Studien mit wichtigen klinischen Endpunkten bei Patienten mit mildem bis mittelschwerem Covid-19 keine Vorteile gegenüber Standardtherapie bzw. Placebo.

Noch laufende Studien sollten nach Plan weitergeführt werden. Ihre Ergebnisse könnten dann diese Metaanalyse ergänzen. Bis dahin ist Ivermectin keine praktikable ("viable") Option zur Behandlung von Covid-19.

Vitamin D

Im Abschnitt "Supportive Therapie" habe ich mich im Telepolis-Artikel vom März 20216 ebenfalls mit Vitamin D und Covid-19 beschäftigt und festgestellt, dass es Hinweise auf eine Verminderung des Risikos für Intensivpflichtigkeit von Patienten unter Vitamin D-Substitution und Hinweise auf eine reduzierte Sterblichkeit bei dieser Patientengruppe gibt. Wohlgemerkt Hinweise, aber leider keine Beweise.

Deshalb war ich zu folgender Bewertung von Vitamin D gekommen: Es sollte eine Substitution aller Hypovitaminosen bei Patienten mit nachgewiesenem oder vermutetem Vitamin-D-Mangel erfolgen, bei denen ein erhöhtes Risiko für Covid-19 besteht oder bereits eine Covid-19-Erkrankung vorliegt.

Weiterhin sollte bei kritisch kranken Patienten eine Substitution bei nachgewiesenem Vitamin D-Defizit (gleich/kleiner als 30 nmol/l) entsprechend Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie sowie den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin erfolgen.

Was sagen die aktuellen Cochrane-Daten zu dieser Frage? Cochrane ist ein globales, unabhängiges Forschungsnetzwerk, das sich dafür einsetzt, dass Entscheidungen zu Gesundheitsfragen weltweit auf Basis hochwertiger, relevanter und aktueller wissenschaftlicher Evidenz getroffen werden. Cochrane Deutschland ist die deutsche Repräsentanz dieses internationalen Netzwerks.

Cochrane erstellt wissenschaftliche Reviews, um Entscheidungstragenden dabei zu helfen, auf die neue Covid-19-Pandemie zu reagieren. Im Mai 2021 wurde die erste Version eines Living Systematic Reviews zu den Effekten von Vitamin D-Supplementierung bei Covid-19 veröffentlicht, die bisher nicht aktualisiert werden musste.

In diesem hörenswerten Podcast spricht Vanessa Piechotta von der Uniklinik Köln in Deutschland mit ihrer Kollegin Julia Stroehlein, der Erstautorin des Reviews, über die möglichen Effekte von Vitamin D bei Covid-19 und die Evidenz, die ihre Forschungsgruppe gefunden haben.

In dem dazu gehörigen Review-Artikel7 wird über drei Studien mit 356 Teilnehmern berichtet, auf die die Autorinnen und Autoren ihre Aussagen im Wesentlichen stützen. Eine Studie fand in Brasilien und die anderen beiden in Spanien statt.

Zwei Studien hatten Teilnehmer mit schwerem Covid-19 und eine solche mit leichtem Covid-19 oder ohne Symptome eingeschlossen. Alle Teilnehmer waren vor Beginn der Studie mit einem PCR-Test positiv getestet worden.

Die Teilnehmer der Studien erhielten dann verschiedene Dosen von Vitamin D. Nur in zwei Studien war bei ihnen ein Vitamin D-Mangel festgestellt worden. In den anderen Studien war keine Angabe über den Vitamin D-Status der Teilnehmer zu finden.

Todesfälle: Das Review kann die Frage nicht beantworten, ob Vitamin D hilft, Todesfälle durch Covid-19 zu verhindern. Zwei Studien (bei Teilnehmern mit schwerem Covid-19) lieferten Hinweise auf Todesfälle (aus irgendeinem Grund). In einer Studie wurde über keine Todesfälle bei den 50 Teilnehmern, die zusätzlich Vitamin D erhalten hatten, berichtet, aber über zwei Todesfälle bei den 26 Teilnehmern, die die übliche Covid-19-Behandlung (ohne Vitamin D) im Krankenhaus erhielten. Eine andere Studie berichtete über neun Todesfälle bei 119 Teilnehmern, die Vitamin D erhalten hatten, und sechs Todesfälle bei den 118 Teilnehmern, die Placebo erhielten. Diese Studien unterschieden sich zu sehr voneinander, um Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen ziehen zu können.

Zustand des Patienten: Vitamin D könnte die Notwendigkeit für Patienten reduzieren, an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden zu müssen, aber die Beweise dafür sind unsicher. In einer Studie (bei Teilnehmern mit schwerem Covid-19) wurde berichtet, dass neun von 119 Teilnehmern, die Vitamin D erhielten, und 17 von 118, die ein Placebo erhielten, an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden mussten.

Unerwünschte Wirkungen: Ob Vitamin D unerwünschte Wirkungen, d. h. Nebenwirkungen, verursacht, ist aus den Studien nicht abzuleiten. Nur in einer Studie (bei Teilnehmern mit schwerem Covid-19) wurden Angaben dazu gemacht und berichtet, dass bei einem von 119 Teilnehmern kurz nach der Verabreichung von Vitamin D Erbrechen aufgetreten war.

Lebensqualität: Keine der Studien untersuchte die Lebensqualität an Hand entsprechender Parameter.

Das Fazit des Reviews lautet, dass es derzeit keine ausreichende Evidenz gebe, um Nutzen und Schaden einer Vitamin-D-Supplementierung zur Behandlung von Covid-19 sicher einzuschätzen. Die Evidenz für die Wirksamkeit einer Vitamin D-Supplementierung zur Behandlung von Covid-19 sei sehr ungewiss. Darüber hinaus gebe es nur begrenzte Informationen zur Sicherheit der Behandlung mit Vitamin D.

Aus diesen Gründen möchte ich, auch in Übereinstimmung mit den von Cofriin ( veröffentlichten Daten (Stand: 26.11.2021), beim Thema Vitamin D und Covid-19 weiterhin für das folgende Vorgehen plädieren:

  • Substitution aller Hypovitaminosen bei Patienten mit nachgewiesenem oder vermutetem Mangel, bei denen ein erhöhtes Risiko für Covid-19 besteht oder bereits eine Covid-19-Erkrankung vorliegt;
  • Bei kritisch kranken Patienten Substitution bei nachgewiesenem Vitamin D-Defizit (30 nmol/l und weniger) entsprechend Empfehlungen der oben angegebenen wissenschaftlichen Gesellschaften;
  • Keine Empfehlung zur routinemäßigen Verwendung von Vitamin D zur Prophylaxe oder adjuvanten Therapie von Sars-CoV-2-Infektionen.

Schlussgedanken

Im vorliegenden dreiteiligen Artikel zur medikamentösen Behandlung von Covid-19 wurde gezeigt, dass heute (Stand: Ende Dezember 2021) deutlich mehr Medikamente mit nachgewiesenem Nutzen für die Behandlung von Patienten mit Covid-19 zur Verfügung stehen als noch vor einem Jahr.

Zugleich ist aber leider auch wahr, dass trotz dieser Fortschritte weiterhin ein großer Teil der Patienten mit einem schweren Krankheitsverlauf von Covid-19 auf den Intensivstationen an und mit Covid-19 sterben. Weitere Forschungserkenntnisse sind unbedingt notwendig, damit auch diesen Kranken besser geholfen werden kann.

Ebenso wichtig dürften in der laufenden Sars-CoV-2-Pandemie eine den Bedürfnissen angepasste Impfkampagne mit wirksamen, von der Bevölkerung akzeptierten Impfstoffen und die Durchführung von notwendigen nicht-pharmazeutische Maßnahmen wie z. B. kurzzeitige und wirksame Kontaktbeschränkungen sein.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin - Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.