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Corona-Pandemie: von Viren und Verschwörungstheorien

Covid-19 und die neue Weltordnung (Teil 1)

Die Corona-Krise hat nicht nur zu massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens geführt, sondern auch zu einer massenmedialen Präsenz von Verschwörungstheorien, wie es sie wohl nicht einmal nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gab. Der Kampf gegen das Virus wird von einem medialen Kampf gegen virale Verschwörungstheorien begleitet.

Gleichzeitig bildet sich vor allem im Internet eine Corona-Gegenöffentlichkeit heraus, in der Verschwörungstheorien eine zentrale Rolle spielen. Die Kritik an den Corona-Maßnahmen innerhalb dieser Gegenöffentlichkeit ist dabei oft durchdrungen von politischen Weltanschauungen und Ideologien.

Im leitmedialen Diskurs über die Kritik am offiziellen Corona-Narrativ findet eine Fokussierung auf extreme oder kuriose Haltungen und Personen statt, die skandalisierend in Szene gesetzt werden. Besonders viel Aufmerksamkeit versprechen dabei Prominente, die in Sachen Corona aus der Spur geraten zu sein scheinen, wie etwa der Schlagerstar Michael Wendler, der die Corona-Politik öffentlich als Lüge bezeichnete, Werbung für die "Plandemie"-Theorie machte und später die Corona-Maßnahmen mit den Zuständen in Konzentrationslagern verglich.1 [1]


Der Text stammt aus dem Buch "Der Kampf um die Wahrheit: Verschwörungstheorien zwischen Fake, Fiktion und Fakten [2]" von Andreas Anton und Alan Schink.

Komplett Media, 336 Seiten, 22 Euro


In der "Plandemie"-Deutung ist das Virus nur ein Vorwand, um hinter den Kulissen eine bestimmte Agenda durchzusetzen - sei es die Rettung des Klimas, ein politischer Umsturz oder die Errichtung eines globalen Überwachungsstaates. Corona-Verschwörungstheorien zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen thematischen Bezug zum Sars-CoV-2 haben, zugleich aber in der Regel an bereits bestehende Verschwörungstheorien anschlussfähig sind.

Ein Beispiel sind die Verschwörungstheorien über das Corona-Virus und 5G. Zeitgleich mit der Verbreitung des Corona-Virus mehrten sich in ganz Europa Attacken gegen Mobilfunkantennen. Zuvor hatten sich vor allem in den sozialen Medien Verschwörungstheorien verbreitet, die einen Zusammenhang zwischen Covid-19-Erkrankungen und der Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5G behaupteten.

Die Corona-Pandemie gilt innerhalb dieser Verschwörungstheorien als ein Ablenkungsmanöver, um durch die Strahlung der 5G-Antennen entstandene gesundheitliche Schäden zu vertuschen. Bis zum Mai 2020 wurden in Europa rund 150 Mobilfunkantennen beschädigt, 87 davon allein in Großbritannien. Dort habe sich das "Abfackeln von Masten zu einer Art Volkssport entwickelt", bemerkt die Neue Zürcher Zeitung im Juni 2020.2 [3] Die 5G-Verschwörungstheorien knüpfen an ältere Verschwörungstheorien über Elektrosmog oder Gedankenkontrolle" mittels elektromagnetischer Strahlung an (dazu später mehr).

Ein anderes Beispiel ist die Erzählung vom Great Reset. Im gleichnamigen Buch von Klaus Schwab3 [4], Begründer und Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums, geht es um die These, dass Covid-19 wie eine Art Transformationsbeschleuniger hin zu einer neuen technischen, sozialen und ökonomischen Normalität wirkt.

Die Schrift des einflussreichen Unternehmers, die vorgibt, auf eine Verbesserung des Kapitalismus abzuzielen, wurde innerhalb von Corona-Verschwörungstheorien zur einer Dystopie uminterpretiert, die schon lange einen festen Topos verschiedener verschwörungstheoretischer Deutungen bildet: Es geht um die Idee einer Verschwörung der globalen Eliten mit dem Ziel der Umsetzung einer neuen Weltordnung. Wieder andere Verschwörungstheorien verweisen auf Verbindungen zwischen Covid-19 und den Terroranschlägen vom 11. September. Das folgende Kapitel reflektiert die Wechselwirkungen des Verschwörungsdenkens in der Corona-Krise mit verschiedenen Ereignissen und den politischen und medialen Diskursen zur Pandemie.

Ein Virus befällt die Welt

Nachdem im Dezember 2019 in der chinesischen Metropole Wuhan eine neuartige Lungenkrankheit registriert wurde, berichteten westliche Nachrichtenagenturen kurze Zeit später darüber, dass sich laut der chinesischen Gesundheitsbehörde bis dato 27 Menschen infiziert hätten, sieben davon seien in einem kritischen Zustand. Die Ansteckungen könnten möglicherweise auf den Huanan-Fischmarkt zurückgeführt werden. Gerüchten, es handele sich um den Ausbruch einer neuen Sars-Seuche, wurde seitens der chinesischen Volkszeitung widersprochen.4 [5]

In den kommenden Wochen waren die Meldungen über die neue Krankheit in Wuhan in westlichen Medien eher ein Randthema. Bisweilen sorgte die Auseinandersetzung damit sogar für Belustigung. Am 30. Januar 2020 verlieh der Journalist Christoph Süß in der politischen Satiresendung quer im Bayerischen Rundfunk dieser Stimmung Ausdruck. Unter dem Titel "Wie ein Virus die Vernunft zerstört" kommentierte er die in den sozialen Medien bereits kursierende Angst vor dem neuen Virus mit den Worten:

Wer die Apokalypse zum Maßstab seines Denkens macht, der schlägt Maßnahmen zu deren Verwirklichung vor.

Der Journalist des Bayerischen Rundfunk mokiert sich über "rechte Trolle im Netz", die aufgrund der zunehmenden Verbreitung der neuartigen Krankheit fordern, die Grenzen zu schließen:

Nehmen wir den hier implizit gemachten Vorschlag doch mal ernst. Was wäre, wenn man die Grenzen schließen würde? Vorteil: Keine Ausländer kommen mehr rein. (…) Nachteil: Kein Verkehr mehr, Flugzeuge bleiben am Boden, Züge fahren nicht, quasi Generalstreik, die Wirtschaft erlahmt, Krise - und schon hätte man genau das, was man draußen halten will: das Desaster.

Die Angstmache vor dem Virus hält der BR-Journalist für eine "Paranoia-Produktion" rechter Youtuber, er spricht von "Endzeit-Psychosen". Am Schluss des kurzen Beitrags fragt er sich und das Publikum: "Warum sind so viele so leicht mit Verschwörungstheorien zu infizieren?" Der Bayerische Rundfunk hat die Sendung - wie auch alle Hinweise darauf - mittlerweile von seiner Webpräsenz gelöscht. Im Internet-Archiv findet sich allerdings noch ein Statement zur Löschung der Sendung. Dort heißt es [6]:

Die Faktenlage hat sich geändert. Handlungsempfehlungen, die zum Zeitpunkt der Entstehung des Kommentars richtig waren, sind heute nicht mehr richtig.

Seit Januar 2020 hat sich die Situation vollkommen verändert. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte am 11. März 2020 die Verbreitung der von ihr offiziell als Covid-19 bezeichneten Krankheit, die im Dezember 2019 in Wuhan zum ersten Mal registriert wurde, zu einer weltweiten Pandemie. Bereits am 17. Januar hatte die WHO das Test-Protokoll für den Nachweis des neuartigen Corona-Virus (später deklariert als Sars-CoV-2) online auf ihrer Webseite publiziert.

Der Test wurde von einem deutschen Unternehmen entwickelt und zu einem globalen Standard erhoben. Im Frühjahr 2020 wurden durch den etablierten Test-Standard hunderttausende Fälle von Sars-CoV-2 in Zusammenhang mit Symptomen der neuartigen Lungenerkrankung nachgewiesen. In Europa war Norditalien die erste Region, die stark von Covid-19-Fällen betroffen war und in der Folge einen gesundheitlichen Notstand ausrief.

Bilder von Militärkonvois, Ärzten und Pflegepersonal in Schutzausrüstung und gestapelten Holzsärgen gingen um die Welt. Über ein Jahr lang hielten die Meldungen über steigende Fallzahlen, Corona-Tote, verordnete Quarantäne, Lockdowns und (militärische) Abriegelungen ganzer Gemeinden, Städte oder Regionen die Welt in Atem. Sie befindet sich seither in einem Ausnahmezustand.

Am 2. April 2020 erscheint im ARD-Satire-Format extra 3 eine Sendung [7] mit dem Titel "Die Hochkonjunktur von Verschwörungstheorien". Im Ankündigungstext heißt es:

Im Moment herrschen goldene Zeiten für Verschwörungstheoretiker. Für sie ist Corona die neue Designerdroge, denn das Virus passt perfekt zu jeder noch so abstrusen Theorie.

Auch der Deutschlandfunk bringt wenige Tage später einen Beitrag zum "Boom der Corona-Verschwörungstheorien". Im Einleitungstext heißt es5 [8]:

Fake News, Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen haben in der Coronakrise Konjunktur. Mal werden chinesische Labore, mal US-Forscher für den Ausbruch verantwortlich gemacht. Ein Grund für die Verbreitung: der Kontrollverlust durch das Virus, sagen Experten.

Die gewählten Beispiele medialer Berichterstattungen zum Thema Corona-Verschwörungstheorien illustrieren: Zum einen gelten Verschwörungstheorien im leitmedialen Diskurs als irrational und als falsch. Das zeigt ihre Gleichsetzung oder Assoziation mit den Begriffen "Fake News" oder "Desinformation".

Zum anderen ist es stark kontextabhängig, was jeweils als Verschwörungstheorie gilt und was als rationale Erklärung. Letzteres demonstriert die Veränderung der "Faktenlage", nach welcher noch im Januar 2020 die Angst vor dem Virus in die Nähe von Verschwörungstheorien gerückt wurde, spätestens seit der WHO-Erklärung im März aber genau das Gegenteil der Fall ist: Wer die Gefahr des Virus verharmlost, begibt sich in die Nähe von Verschwörungstheorien.

Die Angst vor dem Virus, im Januar im Bayerischen Rundfunk noch als "Paranoia-Produktion" bezeichnet, wurde kurze Zeit später zum Leitmotiv der Pandemie-Politik. Diese Angst ist - zumindest im politisch-leitmedialen Diskurs - so präsent, dass all jene, um nochmals den quer-Moderator zu zitieren, die die Virusangst nicht, "zum Maßstab des Denkens" machen, potenziell als Corona-Verharmloser oder gar -Leugner gelten. Als solche werden Menschen bezeichnet, die auf sogenannten Hygiene- oder Querdenker-Demonstrationen gegen einen "Viruswahn" oder eine "Gesundheitsdiktatur" protestieren.

Dabei sind Zuschreibungen wie "Corona-Verharmloser" oder "Corona-Leugner" seitens der Leitmedien in der Pandemie eng an den Begriff "Verschwörungstheoretiker" gekoppelt. Auch in diesem Fall dient die Bezeichnung "Verschwörungstheoretiker" in erster Linie als Abwehr- und Abwertungsstrategie. Die Assoziation ist in diesem Zusammenhang allerdings durchaus richtig, denn viele Menschen, die abweichende (medizinische, juristische, politische usw.) Ansichten zur Corona-Pandemie haben, verbinden diese in der Tat auch mit der einen oder anderen Verschwörungstheorie.

"Gates kapert Deutschland!"

Die mit Sicherheit prominentesten Corona-Verschwörungstheorien sind im Jahr 2020 jene, in denen Bill Gates in den Mittelpunkt eines globalen Komplotts gerückt wird. Dem Multimilliardär und Microsoft-Gründer wird unterstellt, er wolle mit seiner philanthropischen Stiftungsarbeit – Gates ist zusammen mit seiner Frau der Lenker der weltweit vermögensstärksten Stiftung, der Bill & Melinda Gates Foundation – vor allem Macht ausüben und geheime Pläne umsetzen.

So sei Gates über diverse von der Stiftung geförderte Projekte dabei, implantierbare Mikrochips zur Kontrolle der Weltbevölkerung zu entwickeln oder diese im Rahmen "eugenischer Programme" zu reduzieren. Am besten kommt der Multimilliardär noch in jenen Deutungen weg, nach denen es ihm nur um Geld- oder Machtzuwachs gehe. In Anlehnung an die Kampagne "Gib AIDS keine Chance" der 1980er-Jahre verbreitete sich in Online-Medien und auf T-Shirts oder Transparenten bei Hygiene-Protesten das Meme "GIB GATES KEINE CHANCE".

Ein Video in dem bekannten deutschsprachigen Internet-Medium KenFM6 [9] nimmt Bill Gates ebenfalls ins Visier. In dem 30-minütigen Beitrag Gates kapert Deutschland!, der am 4. Mai 2020 anlässlich der EU-Impfstoff-Geberkonferenz auf dem - mittlerweile auf YouTube gelöschten - Medienkanal von KenFM hochgeladen wurde, kritisiert der Journalist und Aktivist Ken Jebsen die WHO und ihre Beziehungen zur Bill & Melinda Gates Foundation. Die Weltgesundheitsorganisation werde "von Bill & Melinda Gates kontrolliert", so eine Behauptung in dem Beschreibungstext. Weiter heißt es [10] bei KenFM:

Gates setzt auf Impfstoffe und zieht dazu alle Register. Er kauft sich überall ein. Die Impfallianz GAVI wird zu 75 Prozent von ihm finanziert. Das RKI bekommt Geld von Gates. Auch Drosten von der Charité. Die Hopkins-Universität. Der Spiegel, Die Zeit. Und auch die meisten Firmen, die an Covid-19-Impfstoffen forschen, werden von Gates unterstützt.

Das Video wurde innerhalb von wenigen Tagen mehrere Millionen Mal aufgerufen und auch wegen dieser großen Sichtbarkeit von diversen Leit- und Alternativmedien rezipiert und Faktenchecks unterzogen. Dies bescherte dem Video viele neue Klicks und es wurde zu einem der erfolgreichsten Videos von KenFM.

Dass ausgerechnet Bill Gates im Fokus weitverbreiteter Verschwörungstheorien steht, hängt sicher auch mit der tatsächlichen Macht (ökonomisch, sozial, kulturell) der Gates-Foundation zusammen. Im Bereich der Gesundheitspolitik und überall da, wo es um die Produktion und Verteilung von Impfstoffen geht, ist die Stiftung weltweit führend - aber nicht nur dort.

Der Journalist Paul Schreyer macht darauf aufmerksam, dass die Gates-Foundation, gemeinsam mit anderen Stiftungen und Organisationen, massiv in den Bereich der Biosicherheit investiert und dafür weltweit Lobbying betreibt.

Biosicherheit ist ein Sammelbegriff für verschiedene Maßnahmen zur Eindämmung und zur Kontrolle infektiöser Mikroorganismen und gefährlicher biologischer Materialien. 2017 warnte Gates auf der Münchner Sicherheitskonferenz: "Eine hochgradig tödliche globale Pandemie wird noch zu unseren Lebzeiten auftreten." Und weiter: "Wir müssen uns auf Epidemien vorbereiten, wie sich das Militär auf den Krieg vorbereitet."7 [11]

Kurz zuvor hatte Gates auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vor den Gefahren bio-terroristischer Angriffe gewarnt und gemahnt, die Welt müsse sich besser darauf vorbereiten.8 [12] Schreyer zufolge handelt es sich beim Wort Biosicherheit um einen "Propagandabegriff", der unzulässigerweise unterstelle, "dass alle gesellschaftlichen Gruppen" im Katastrophen- oder Krisenfall "ein gemeinsames Interesse hätten - nämlich Sicherheit."

Dabei bedeuten Krisen wie die aktuelle Corona-Pandemie "für verschiedene Gruppen Unterschiedliches": für die Bevölkerung Bedrohung oder Existenznöte; für Regierungen Profilierungsmöglichkeiten und/oder Handlungsdruck; für die pharmazeutische Industrie Investitions- und Profitmöglichkeiten; für das Militär die Erforschung einer "potenziell nutzbaren Waffe".9 [13]

Es dreht sich in diesem Sinne auch bei vielen Corona-Verschwörungstheorien letztlich um eine für Verschwörungstheorien im Allgemeinen typische Frage: Wer profitiert auf welche Weise von dieser Krise - oder kurz: Cui bono?

Die Konjunktur der Faktenchecker und die "Infodemie"

Das KenFM-Video "Gates kapert Deutschland!" ging nicht nur in den sozialen Medien viral, es wurde auch diversen Faktenchecks unterzogen. Dabei zeigte sich, dass einige Aussagen von Ken Jebsen über Bill Gates und seine Stiftung übertrieben, undifferenziert oder schlichtweg falsch waren, etwa die Behauptung, Bill Gates kontrolliere die WHO. So stellt der WR3-Faktencheck fest [14]:

Bill Gates hat also sicher ein Interesse an der Forschung und dem Vorantreiben der Entwicklung von Impfstoffen, er ist aber mit seiner Stiftung und rund 10 Prozent der Anteile an der Finanzierung der WHO sicher nicht derjenige, der die Maßnahmen für die Welt festlegt, was auch die unterschiedlichen Beschränkungen und Vorgehensweisen der Länder in der Corona-Krise belegen.

Insgesamt widerlegt der SWR-Faktencheck fünf Behauptungen von KenFM zur Corona-Pandemie und geht anschließend auf den Hintergrund von Ken Jebsen ein, um ihn als unglaubwürdige, zweifelhafte Person darzustellen.

Derartige Faktenchecks verweisen oft auf andere Faktenchecks, es entsteht eine Art zirkuläre Verfestigung des Anspruchs, "Wahrheit" gegen "Unwahrheit" zu setzen. Allein schon der Begriff "Faktencheck" suggeriert, dass hier fragwürdige Behauptungen von einer kompetenten Instanz auf deren objektiven Wahrheitsgehalt geprüft werden.

Ob dies immer der Realität entspricht, sei dahingestellt. Unklar bleibt in vielen Fällen, was die "Faktenchecker" überhaupt dazu qualifiziert, bestimmte Aussagen zu bewerten und als "Wächter der Wahrheit" aufzutreten.

Dies soll kein genereller Einwand gegen Faktenchecks sein. Doch auch Faktenchecks müssen es sich gefallen lassen, dass sie und die von ihnen präsentierten "Fakten" einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. In vielen Fällen tragen Faktenchecks Wesentliches zur Widerlegung von Falschinformationen oder auch Verschwörungstheorien bei. Beispielhaft sei hier ein Correctiv-Faktencheck über die vermeintliche Änderung der

WHO-Pandemiekriterien genannt, der einerseits aufwendig Quellen recherchiert und gleichzeitig sachlich argumentiert. Es wird gezeigt, weshalb die in diversen Online-Medien zirkulierende Behauptung, nach WHO-Kriterien von vor 2009 würde die Corona-Pandemie von 2020 keine echte Pandemie sein, "größtenteils falsch" ist.10 [15]

Deutlich verkannt wird durch die Technik des Faktenchecks jedoch die appellative Funktion von Verschwörungstheorien: Sie sind oftmals Ausdruck von Sorgen oder Misstrauen, wollen auf mögliche Probleme, Intransparenz, Widersprüche, Zusammenhänge oder Gefahren aufmerksam machen. Das heißt, sie antizipieren mögliche Entwicklungen.11 [16] Wenn dabei Behauptungen oder Vermutungen aufgestellt werden, die sich letztlich als falsch erweisen, delegitimiert dies nicht zwangsläufig die dahinterliegende Grundhaltung oder Intention.

Die Corona-Pandemie hat einer ganzen Reihe von Faktencheck-Seiten neue Aufgaben und Ressourcen gebracht und viele neue Portale geschaffen. Mit der Konjunktur von Verschwörungstheorien geht insofern auch eine Konjunktur von Faktenchecks einher, die sich in den letzten Jahren fast schon zu einer eigenen journalistischen Sparte entwickelt haben.

Die Geschichte des Kampfes gegen (vermeintliche) Desinformation und Verschwörungstheorien in der Pandemie reicht bis in die Zeit vor Covid-19 zurück. Bereits im Pandemie-Planspiel "Event 201", das im Oktober 2019 an der Johns-Hopkins-Universität den Ausbruch einer globalen Corona-Pandemie simulierte und an dem hochrangige Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Medien sowie dem PR- und Geheimdienst-Bereich teilnahmen, wird vor der "Ausbreitung von Desinformation" im Rahmen einer Pandemie gewarnt.

Die verschiedenen Experten sind sich darin einig, dass die "Kontrolle und Reduzierung von Information" das richtige Mittel sei, um mit einer pandemischen Krisensituation angemessen umgehen zu können. Dafür wird unter anderem eine später von der WHO adaptierte "Flutung-Strategie" vorgeschlagen, in welcher die etablierten Massenmedien global koordiniert (und zentral reguliert) mit "Fakten" versorgt werden sollten.

In der antizipierten Krise sei durch mediale Berichterstattung unterstütztes Vertrauen in Pharma-Unternehmen und Regierungen besonders wichtig, betont die anwesende Vizepräsidentin [17] von NBCUniversal, da ansonsten behauptet werden könnte, die Vereinten Nationen oder die Pharmaindustrie hätten die Krise selbst inszeniert.

Mehrfach wird in der simulierten Krisen-Diskussion auch konkret vor der Verbreitung von Verschwörungstheorien gewarnt. Gesponsert wurde die "Event-201"-Übung unter anderem vom Weltwirtschaftsforum und der Bill & Melinda Gates Foundation. Die auffälligen Ähnlichkeiten zwischen der simulierten Krise im Planspiel und der echten Pandemie sind nach einem Faktencheck [18] von USA Today reiner Zufall.

Es mag wenig verwundern, dass später im Rahmen der echten Corona-Pandemie sowohl Event 201 und ähnliche Vorgänger-Simulationen als auch die daran beteiligten Akteure12 [19] samt der WHO Gegenstand von Verschwörungstheorien wurden. Wenige Monate nach der Simulation, am 8. Februar 2020, gab WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom ein Statement ab [20], in dem er zum Kampf gegen die "Infodemie", d. h. die digitale Epidemie von Falschinformationen und Verschwörungstheorien, aufruft:

Bei der WHO bekämpfen wir nicht nur das Virus: Wir bekämpfen auch die Trolle und Verschwörungstheoretiker, die Falschinformationen verbreiten und die Reaktionen auf den Ausbruch unterminieren.

Adhanom erklärt, dass die WHO, gemeinsam mit Partnern aus dem Bereich der großen digitalen Unternehmen (Facebook, Google, Tencent, Baidu, Twitter, TikTok, Weibo, Pinterest und anderen), eine Offensive gegenüber der "Flut der Falschinformation" plane. Diese umfasse das Herausfiltern falscher Informationen sowie die Kooperation mit Influencern, die unter anderem auf Instagram und YouTube ihre Follower mit faktenbasierten Informationen versorgen sollten.

Ein eigens dafür eingerichtetes "Infodemie-Team" ist seither mit der Aufgabe betraut, ein globales Informationsmanagement zu betreiben. Im April 2020 greift auch der UN-Generalsekretär auf diese Agenda zurück [21] und ruft die globale Zivilgesellschaft zu einem "Kampf gegen wilde Verschwörungstheorien" auf, die "das Internet infizieren."

Teil 2: Verschwörungstheorien als Krankheit [22]


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[6] https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/quer/200314-quer-info-100.htmlbzw.https://web.archive.org/web/20200326165117/https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/quer/200314-quer-info-100.html
[7] https://www.ardmediathek.de/daserste/video/extra-3/corona-verschwoerungstheorien-haben-hochkonjunktur/das-erste/Y3JpZDovL25kci5kZS9hNzY2MzY1Zi1hZmEzLTRmZTEtYmQ0ZC01YTdkY2I2OWMwOTM/
[8] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Pandemie-von-Viren-und-Verschwoerungstheorien-6220925.html?view=fussnoten#f_5
[9] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Pandemie-von-Viren-und-Verschwoerungstheorien-6220925.html?view=fussnoten#f_6
[10] https://kenfm.de/gates-kapert-deutschland/
[11] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Pandemie-von-Viren-und-Verschwoerungstheorien-6220925.html?view=fussnoten#f_7
[12] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Pandemie-von-Viren-und-Verschwoerungstheorien-6220925.html?view=fussnoten#f_8
[13] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Pandemie-von-Viren-und-Verschwoerungstheorien-6220925.html?view=fussnoten#f_9
[14] https://www.swr3.de/aktuell/fake-news-check/faktencheck-ken-jebsen-kenfm-bill-gates-corona-100.html#test
[15] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Pandemie-von-Viren-und-Verschwoerungstheorien-6220925.html?view=fussnoten#f_10
[16] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Pandemie-von-Viren-und-Verschwoerungstheorien-6220925.html?view=fussnoten#f_11
[17] https://www.youtube.com/watch?v=LBuP40H4Tko&feature=emb_logo
[18] https://eu.usatoday.com/story/news/factcheck/2020/03/26/fact-check-bill-gates-backed-pandemic-exercise-didnt-predict-covid-19/5081854002/
[19] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Pandemie-von-Viren-und-Verschwoerungstheorien-6220925.html?view=fussnoten#f_12
[20] https://www.who.int/director-general/speeches/detail/director-general-s-remarks-at-the-media-briefing-on-2019-novel-coronavirus---8-february-2020
[21] https://www.un.org/en/un-coronavirus-communications-team/time-science-and-solidarity
[22] https://www.heise.de/tp/features/Verschwoerungstheorien-als-Krankheit-6221798.html