Corona-Pandemie: von Viren und Verschwörungstheorien
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Covid-19 und die neue Weltordnung (Teil 1)
Die Corona-Krise hat nicht nur zu massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens geführt, sondern auch zu einer massenmedialen Präsenz von Verschwörungstheorien, wie es sie wohl nicht einmal nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gab. Der Kampf gegen das Virus wird von einem medialen Kampf gegen virale Verschwörungstheorien begleitet.
Gleichzeitig bildet sich vor allem im Internet eine Corona-Gegenöffentlichkeit heraus, in der Verschwörungstheorien eine zentrale Rolle spielen. Die Kritik an den Corona-Maßnahmen innerhalb dieser Gegenöffentlichkeit ist dabei oft durchdrungen von politischen Weltanschauungen und Ideologien.
Im leitmedialen Diskurs über die Kritik am offiziellen Corona-Narrativ findet eine Fokussierung auf extreme oder kuriose Haltungen und Personen statt, die skandalisierend in Szene gesetzt werden. Besonders viel Aufmerksamkeit versprechen dabei Prominente, die in Sachen Corona aus der Spur geraten zu sein scheinen, wie etwa der Schlagerstar Michael Wendler, der die Corona-Politik öffentlich als Lüge bezeichnete, Werbung für die "Plandemie"-Theorie machte und später die Corona-Maßnahmen mit den Zuständen in Konzentrationslagern verglich.1
Der Text stammt aus dem Buch "Der Kampf um die Wahrheit: Verschwörungstheorien zwischen Fake, Fiktion und Fakten" von Andreas Anton und Alan Schink.
Komplett Media, 336 Seiten, 22 Euro
In der "Plandemie"-Deutung ist das Virus nur ein Vorwand, um hinter den Kulissen eine bestimmte Agenda durchzusetzen - sei es die Rettung des Klimas, ein politischer Umsturz oder die Errichtung eines globalen Überwachungsstaates. Corona-Verschwörungstheorien zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen thematischen Bezug zum Sars-CoV-2 haben, zugleich aber in der Regel an bereits bestehende Verschwörungstheorien anschlussfähig sind.
Ein Beispiel sind die Verschwörungstheorien über das Corona-Virus und 5G. Zeitgleich mit der Verbreitung des Corona-Virus mehrten sich in ganz Europa Attacken gegen Mobilfunkantennen. Zuvor hatten sich vor allem in den sozialen Medien Verschwörungstheorien verbreitet, die einen Zusammenhang zwischen Covid-19-Erkrankungen und der Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5G behaupteten.
Die Corona-Pandemie gilt innerhalb dieser Verschwörungstheorien als ein Ablenkungsmanöver, um durch die Strahlung der 5G-Antennen entstandene gesundheitliche Schäden zu vertuschen. Bis zum Mai 2020 wurden in Europa rund 150 Mobilfunkantennen beschädigt, 87 davon allein in Großbritannien. Dort habe sich das "Abfackeln von Masten zu einer Art Volkssport entwickelt", bemerkt die Neue Zürcher Zeitung im Juni 2020.2 Die 5G-Verschwörungstheorien knüpfen an ältere Verschwörungstheorien über Elektrosmog oder Gedankenkontrolle" mittels elektromagnetischer Strahlung an (dazu später mehr).
Ein anderes Beispiel ist die Erzählung vom Great Reset. Im gleichnamigen Buch von Klaus Schwab3, Begründer und Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums, geht es um die These, dass Covid-19 wie eine Art Transformationsbeschleuniger hin zu einer neuen technischen, sozialen und ökonomischen Normalität wirkt.
Die Schrift des einflussreichen Unternehmers, die vorgibt, auf eine Verbesserung des Kapitalismus abzuzielen, wurde innerhalb von Corona-Verschwörungstheorien zur einer Dystopie uminterpretiert, die schon lange einen festen Topos verschiedener verschwörungstheoretischer Deutungen bildet: Es geht um die Idee einer Verschwörung der globalen Eliten mit dem Ziel der Umsetzung einer neuen Weltordnung. Wieder andere Verschwörungstheorien verweisen auf Verbindungen zwischen Covid-19 und den Terroranschlägen vom 11. September. Das folgende Kapitel reflektiert die Wechselwirkungen des Verschwörungsdenkens in der Corona-Krise mit verschiedenen Ereignissen und den politischen und medialen Diskursen zur Pandemie.
Ein Virus befällt die Welt
Nachdem im Dezember 2019 in der chinesischen Metropole Wuhan eine neuartige Lungenkrankheit registriert wurde, berichteten westliche Nachrichtenagenturen kurze Zeit später darüber, dass sich laut der chinesischen Gesundheitsbehörde bis dato 27 Menschen infiziert hätten, sieben davon seien in einem kritischen Zustand. Die Ansteckungen könnten möglicherweise auf den Huanan-Fischmarkt zurückgeführt werden. Gerüchten, es handele sich um den Ausbruch einer neuen Sars-Seuche, wurde seitens der chinesischen Volkszeitung widersprochen.4
In den kommenden Wochen waren die Meldungen über die neue Krankheit in Wuhan in westlichen Medien eher ein Randthema. Bisweilen sorgte die Auseinandersetzung damit sogar für Belustigung. Am 30. Januar 2020 verlieh der Journalist Christoph Süß in der politischen Satiresendung quer im Bayerischen Rundfunk dieser Stimmung Ausdruck. Unter dem Titel "Wie ein Virus die Vernunft zerstört" kommentierte er die in den sozialen Medien bereits kursierende Angst vor dem neuen Virus mit den Worten:
Wer die Apokalypse zum Maßstab seines Denkens macht, der schlägt Maßnahmen zu deren Verwirklichung vor.
Der Journalist des Bayerischen Rundfunk mokiert sich über "rechte Trolle im Netz", die aufgrund der zunehmenden Verbreitung der neuartigen Krankheit fordern, die Grenzen zu schließen:
Nehmen wir den hier implizit gemachten Vorschlag doch mal ernst. Was wäre, wenn man die Grenzen schließen würde? Vorteil: Keine Ausländer kommen mehr rein. (…) Nachteil: Kein Verkehr mehr, Flugzeuge bleiben am Boden, Züge fahren nicht, quasi Generalstreik, die Wirtschaft erlahmt, Krise - und schon hätte man genau das, was man draußen halten will: das Desaster.
Die Angstmache vor dem Virus hält der BR-Journalist für eine "Paranoia-Produktion" rechter Youtuber, er spricht von "Endzeit-Psychosen". Am Schluss des kurzen Beitrags fragt er sich und das Publikum: "Warum sind so viele so leicht mit Verschwörungstheorien zu infizieren?" Der Bayerische Rundfunk hat die Sendung - wie auch alle Hinweise darauf - mittlerweile von seiner Webpräsenz gelöscht. Im Internet-Archiv findet sich allerdings noch ein Statement zur Löschung der Sendung. Dort heißt es:
Die Faktenlage hat sich geändert. Handlungsempfehlungen, die zum Zeitpunkt der Entstehung des Kommentars richtig waren, sind heute nicht mehr richtig.
Seit Januar 2020 hat sich die Situation vollkommen verändert. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte am 11. März 2020 die Verbreitung der von ihr offiziell als Covid-19 bezeichneten Krankheit, die im Dezember 2019 in Wuhan zum ersten Mal registriert wurde, zu einer weltweiten Pandemie. Bereits am 17. Januar hatte die WHO das Test-Protokoll für den Nachweis des neuartigen Corona-Virus (später deklariert als Sars-CoV-2) online auf ihrer Webseite publiziert.
Der Test wurde von einem deutschen Unternehmen entwickelt und zu einem globalen Standard erhoben. Im Frühjahr 2020 wurden durch den etablierten Test-Standard hunderttausende Fälle von Sars-CoV-2 in Zusammenhang mit Symptomen der neuartigen Lungenerkrankung nachgewiesen. In Europa war Norditalien die erste Region, die stark von Covid-19-Fällen betroffen war und in der Folge einen gesundheitlichen Notstand ausrief.
Bilder von Militärkonvois, Ärzten und Pflegepersonal in Schutzausrüstung und gestapelten Holzsärgen gingen um die Welt. Über ein Jahr lang hielten die Meldungen über steigende Fallzahlen, Corona-Tote, verordnete Quarantäne, Lockdowns und (militärische) Abriegelungen ganzer Gemeinden, Städte oder Regionen die Welt in Atem. Sie befindet sich seither in einem Ausnahmezustand.
Am 2. April 2020 erscheint im ARD-Satire-Format extra 3 eine Sendung mit dem Titel "Die Hochkonjunktur von Verschwörungstheorien". Im Ankündigungstext heißt es:
Im Moment herrschen goldene Zeiten für Verschwörungstheoretiker. Für sie ist Corona die neue Designerdroge, denn das Virus passt perfekt zu jeder noch so abstrusen Theorie.
Auch der Deutschlandfunk bringt wenige Tage später einen Beitrag zum "Boom der Corona-Verschwörungstheorien". Im Einleitungstext heißt es5:
Fake News, Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen haben in der Coronakrise Konjunktur. Mal werden chinesische Labore, mal US-Forscher für den Ausbruch verantwortlich gemacht. Ein Grund für die Verbreitung: der Kontrollverlust durch das Virus, sagen Experten.
Die gewählten Beispiele medialer Berichterstattungen zum Thema Corona-Verschwörungstheorien illustrieren: Zum einen gelten Verschwörungstheorien im leitmedialen Diskurs als irrational und als falsch. Das zeigt ihre Gleichsetzung oder Assoziation mit den Begriffen "Fake News" oder "Desinformation".
Zum anderen ist es stark kontextabhängig, was jeweils als Verschwörungstheorie gilt und was als rationale Erklärung. Letzteres demonstriert die Veränderung der "Faktenlage", nach welcher noch im Januar 2020 die Angst vor dem Virus in die Nähe von Verschwörungstheorien gerückt wurde, spätestens seit der WHO-Erklärung im März aber genau das Gegenteil der Fall ist: Wer die Gefahr des Virus verharmlost, begibt sich in die Nähe von Verschwörungstheorien.
Die Angst vor dem Virus, im Januar im Bayerischen Rundfunk noch als "Paranoia-Produktion" bezeichnet, wurde kurze Zeit später zum Leitmotiv der Pandemie-Politik. Diese Angst ist - zumindest im politisch-leitmedialen Diskurs - so präsent, dass all jene, um nochmals den quer-Moderator zu zitieren, die die Virusangst nicht, "zum Maßstab des Denkens" machen, potenziell als Corona-Verharmloser oder gar -Leugner gelten. Als solche werden Menschen bezeichnet, die auf sogenannten Hygiene- oder Querdenker-Demonstrationen gegen einen "Viruswahn" oder eine "Gesundheitsdiktatur" protestieren.
Dabei sind Zuschreibungen wie "Corona-Verharmloser" oder "Corona-Leugner" seitens der Leitmedien in der Pandemie eng an den Begriff "Verschwörungstheoretiker" gekoppelt. Auch in diesem Fall dient die Bezeichnung "Verschwörungstheoretiker" in erster Linie als Abwehr- und Abwertungsstrategie. Die Assoziation ist in diesem Zusammenhang allerdings durchaus richtig, denn viele Menschen, die abweichende (medizinische, juristische, politische usw.) Ansichten zur Corona-Pandemie haben, verbinden diese in der Tat auch mit der einen oder anderen Verschwörungstheorie.