Corona-Politik: Nützt oder schadet die Isolationspflicht?
Kontroverse zwischen Minister Lauterbach und Ärztevertreter Gassen weitet sich aus. Impfstrategie und Isolation im Fokus. Ungeimpfte scheitern vor Gerichten.
Nach einem politischen Schlagabtausch über die Ausgestaltung der Corona-Politik zwischen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und dem Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, haben sich zu Wochenbeginn weitere Politiker und Verbandsvertreter zu Wort gemeldet. Bei der Kontroverse zwischen Lauterbach und Gassen geht es im Kern um die Einschätzung der Gefährdung durch die andauernde Corona-Pandemie und die daraus erwachsenden politischen Konsequenzen.
Lauterbach geht von einer massiven Verschlechterung der pandemischen Lage zum Herbst hin aus und plädiert für erneute Einschränkungen. Auch rief er Geimpfte unter 60 Jahren dazu auf, sich eine zweite Auffrischungsimpfung verabreichen zu lassen. All diesen Positionen trat Gassen vehement entgegen. Er forderte ein Ende der Isolationspflicht für symptomfreie Infizierte. Vor allem im Gesundheitswesen sorge die Pflicht zur Quarantäne schließlich für erhebliche Personalausfälle und eine verschlechterte Versorgungslage.
Dieser Haltung schlossen sich zu Wochenbeginn mehrere Politiker der FDP an, auch sie sprachen sich für ein Ende der automatischen Isolationspflicht nach einem positiven Corona-Test aus. Eine Diskussion darüber sei richtig, sagte am gestrigen Montag der FDP-Vizevorsitzende Wolfgang Kubicki gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
"Aus meiner Sicht ist es sowohl epidemiologisch als auch aus Gründen der Eigenverantwortung überfällig, den Menschen diese Entscheidung wieder zu überlassen - so, wie es andere europäische Länder schon längst getan haben", so Kubicki, der für seine entschiedene Ablehnung einschränkender Corona-Schutzmaßnahmen bekannt ist.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai warnte – wie zuvor Gassen – vor Personalausfällen durch die Quarantänepflicht. Gegenüber der Rheinischen Post sagte er: "Wir werden in systemrelevanten Bereichen vor enormen Herausforderungen stehen, wenn wir massenhaft positiv Getestete ohne Symptome in die Isolation schicken."
FDP-Chef Christian Lindner sagte, es dürfe in Zukunft nicht mehr flächendeckende und pauschale Freiheitseinschränkungen für alle geben: "Wir brauchen gezielte Maßnahmen, die möglichst viel gesellschaftliches Leben garantieren und den Menschen möglichst viel Eigenverantwortung belassen."
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, hatte Gassen hingegen "Opportunismus" vorgeworfen. "Die Isolation schützt", sagte er: "Denn so wird verhindert, dass sich andere anstecken." Brysch verwies auch auf die Gefährdung durch Long- und Post-Covid. Gassen spiele angesichts dieser Risiken mit der Gesundheit der Menschen.
Auch die Grünen-Gesundheitspolitikerin Saskia Weishaupt forderte ein Festhalten an den aktuellen Maßnahmen. Wenn Menschen zur Arbeit gingen, sollten sie nicht der Gefahr ausgesetzt sein, sich anzustecken, sagte sie ebenfalls der Funke-Mediengruppe.
Nach derzeit geltenden Bestimmungen kann die vorgeschriebene Quarantäne für Corona-Infizierte nach fünf Tagen enden. Voraussetzung ist ein "dringend empfohlener" negativer Test zum Abschluss.
Erste Ungeimpfte im Gesundheitswesen scheitern vor Gericht
Derweil hat die einrichtungsbezogene Impfpflicht zu ersten Betretungs- und Tätigkeitsverboten geführt. Mindestens ein Zahnarzt und einige Mitarbeiter, die weder gegen Corona geimpft waren noch eine Genesung oder eine Impfunfähigkeitsbescheinigung vorlegen konnten, dürfen demnach nicht mehr arbeiten.
Dies haben in mindestens zwei Fällen auch die angerufenen Verwaltungsgerichte bestätigt. Laut einem n-tv-Bericht von Mitte Juli seien bundesweit gut 70 Mitarbeitern in Gesundheitseinrichtungen das Betreten ihrer Arbeitsstätte bzw. ihre Tätigkeit untersagt worden.
Allerdings sollen dem Bericht zufolge in Deutschland mehr als 160.000 Mitarbeiter von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Arzt- und Therapiepraxen bei den Gesundheitsämtern als ungeimpft gemeldet worden sein.
Am Montag dieser Woche scheiterte ein Zahnarzt aus der Grafschaft Bentheim (Niedersachsen) mit einem Eilantrag gegen das gegen ihn im Juni verhängte Tätigkeitsverbot. Der Zahnarzt ging dagegen vor Gericht und wies bei der Begründung unter anderem darauf hin, dass kein nach dem Arzneimittelgesetz zulässiger Impfstoff gegen das Coronavirus vorliege.
Das Verwaltungsgericht Osnabrück folgte den Ausführungen des Zahnarztes nicht, heißt es in einer Pressemitteilung. Der Landkreis habe korrekt nach dem Infektionsschutzgesetz gehandelt, welches nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im April über die einrichtungsbezogene Impfpflicht rechtmäßig sei.
Der ungeimpfte Zahnarzt habe eine besondere Verantwortung gegenüber seinen Patienten, sein Infektionsrisiko wie auch das Übertragungsrisiko seien gegenüber Geimpften erheblich erhöht, heißt es in der Mitteilung des Gerichts. Allerdings gibt es nach den aktuellen FAQ (Stand Anfang Juni) des Robert-Koch-Instituts keine klare Aussage darüber, ob dies bei Omikron wirklich der Fall ist. Die Übertragung "scheint bei Geimpften weiterhin reduziert zu sein, wobei das Ausmaß der Reduktion nicht vollständig geklärt ist", heißt es dort.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts kann mit einer Beschwerde vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg angefochten werden.
In Rheinland-Pfalz hatten die Gesundheitsämter nach einem Medienbericht Mitte Juli rund 1.000 Bußgeldverfahren eingeleitet, zehn Tätigkeitsverbote und ein Betretungsverbot ausgesprochen.
In der vergangenen Woche hatte das Verwaltungsgericht in Neustadt an der Weinstraße einen Eilantrag einer Betroffenen zurückgewiesen. Die Zahnarzthelferin darf nach Entscheidung des zuständigen Gesundheitsamtes die Praxis nicht betreten, was das Gericht laut Pressemitteilung bestätigte.
Da sie laut Gericht mittlerweile einen positiven PCR-Test vorgelegen hat, darf sie im Zeitraum vom 29. bis 90. Tag nach dem Test die Praxis betreten. Der Beschluss kann noch beim Rheinland-Pfälzischen Oberverwaltungsgericht angefochten werden.
Ungeimpfte im Gesundheitswesen: Berlin hat keinen Überblick
Auch in Brandenburg gibt es erste Betretungsverbote. Diese haben laut rbb zwei Personen im Kreis Oder-Spree (Brandenburg) erhalten. Für sie habe ihre Einrichtungsleitung Ersatz gefunden, heißt es in dem Bericht weiter.
In Berlin wiederum können einige Gesundheitsämter noch nicht einmal angeben, wie viele Mitarbeiter in Gesundheitsberufen überhaupt als ungeimpft gemeldet worden sind. Die BZ berichtet, dass die meisten Gesundheitsämter in den Bezirken nicht in der Lage seien, die von den Arbeitgebern gemeldeten Daten zu prüfen und Sanktionen einzuleiten.
Aus Bayern meldet die Augsburger Allgemeine gut 56.000 Ungeimpfte im Gesundheitswesen, von denen jedoch noch niemand ein Betretungsverbot erhalten habe.
"Wir haben den Gesundheitsämtern im Rahmen unserer Vollzugshinweise mitgeteilt, dass bei der Prüfung von Sanktionen das Thema der Versorgungssicherheit maßgeblich zu berücksichtigen ist", sagt Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Ein Pflegeheimbetreiber aus dem Landkreis Lindau am Bodensee hatte der Zeitung berichtet, dass einige seiner Mitarbeiter sich in Richtung Österreich orientieren würden – dort gilt keine Impfpflicht.
Die Politik auf Landes- und Bundesebene diskutiert derzeit darüber, ob die bis Ende des Jahres geltende Regelung verlängert wird. Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) beispielsweise kann sich die Verlängerung der Nachweispflicht nur in Verbindung mit einer allgemeinen Impfverpflichtung gegen Covid-19 vorstellen.
In Thüringen fordern die Landesärztekammer, die Landeskrankenhausgesellschaft, der Landesverband der Ärzte und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und das Universitätsklinikum Jena ein Aussetzen der Regelung. Sie sagen: "Wir können uns das fehlende Personal in der jetzigen Situation nicht leisten."
Der Abschlussbericht des mittlerweile aufgelösten Corona-Krisenstabes fasste Mitte Juli Vorbehalte der Länder gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht zusammen. Laut Business Insider fordern sie eine Neubewertung der Maßnahme, berichten von Schwierigkeiten bei der Umsetzung und fordern eine Evaluierung, wie die Impfpflicht praktisch umgesetzt werden könnte.
Der Berliner Rechtsanwalt Justus Hoffmann, der dem bereitet unterdessen eine erneute Verfassungsklage von 40 Personen vor, die wegen einer fehlenden Impfung Sanktionen in Kauf nehmen mussten.
Hoffmann gehört der Stiftung Corona-Ausschuss an, deren Youtube-Videos einerseits hohe Zugriffszahlen verzeichnen, aber auch harsche Kritik provozieren.
Dieser Beitrag erscheint in Kooperation mit dem Magazin hintergrund.de