Covid-19 und die Angst vorm Sensenmann

Blau: Durchschnittliche wöchentliche Sterbefallzahlen 2016-2019; Rot: Sterbefallzahlen 2020; Orange: Covid-19-Tote 2020. Quellen: Statisisches Bundesamt, RKI. Grafik: TP

Die Älteren sind uns offiziell viel wert, aber sie gehören zu den besonderen Verlierern der Pandemie. Zu Fragen der "Übersterblichkeit"

Wir lesen in diesen Tagen, dass in Deutschland mehr als 50.000 Menschen an (oder mit) Covid-19 gestorben sind. In offiziellen Stellungnahmen zeigen sich Verantwortliche schockiert, so etwa RKI-Chef Lothar Wieler, der Mitte Januar von einer "bedrückenden" und "schier unfassbaren Zahl" sprach. Wegen der weiterhin hohen Infektionszahlen hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungschefs der Länder zuletzt den derzeitigen Lockdown bis zum 14. Februar verlängert und zugleich verschärft.

Was die Pandemie in weltweiten Zahlen bedeutet, erklärt ein Blick auf die globale Statistik (Stand 26.01.2021):

Deutschland auf dem elften Platz

Die USA, Brasilien und Indien führen die Liste an. Deutschland liegt bei den Todesfällen mit 53.203 auf Platz elf. Nur nebenbei: Eine Weltbevölkerungsuhr sowie die fünf führenden Todesursachen in der Welt zeigt ständig das Zählwerk der Plattform countrymeters.info

Zurück zur pandemischen Lage: Die Corona-Todesfall-Statistik des Robert Koch-Instituts (RKI) berücksichtigt nicht, ob jemand "an" oder "mit" Corona gestorben ist. Beide Fälle fließen in die RKI-Statistik ein. Die Entscheidung, ob jemand "an" oder "mit" Corona gestorben ist, treffen jedoch die lokalen Gesundheitsämter auf Basis der ärztlichen Todesbescheinigungen. Das Statistische Bundesamt erfasst demgegenüber nur diejenigen, die "an" Covid-19 gestorben sind, das heißt Personen, bei denen Covid-19 ursprünglich verantwortlich für den Tod ist.

Übersterblichkeit und Basismortalität

Unvermeidlich begegnen wir dieser Tage dem Begriff der "Übersterblichkeit". Ist es ein wissenschaftlicher, etwa ein rein statistischer Terminus, oder kommt dem Gebrauch auch eine politische, eine gesellschaftliche Dimension zu?

Auf jeden Fall löst die Vorstellung einer "Übersterblichkeit" Ängste und Besorgnisse aus, was auch manipulativ beabsichtigt sein kann. Das heißt, die Idee oder das enthaltene Bild verweisen auf Gevatter Tod, den stillen Grandseigneur einer jeden Seuche, und rufen die TV-Bilder wieder ins Gedächtnis zurück, die wir von den norditalienischen Zuständen 2020 oder von den Kühllastwagen vor New Yorker Kliniken im Hinterkopf haben und die weltweit Schrecken verbreiteten.

Das RKI definiert den Begriff "Übersterblichkeit" als Instrument, um über einen bestimmten Zeitverlauf eine erhöhte Sterblichkeit in einem Gebiet zu identifizieren. Die Beobachtung der Übersterblichkeit wird als wichtiges Hilfsmittel angesehen, um im Krisenfall – also etwa während einer Pandemie wie unserer – den Überblick über die Entwicklung zu behalten.

Weichen die Sterbezahlen, so wie es etwa auch während einer Grippewelle der Fall sein kann, stark von der erwartbaren Norm ab, bezeichnet man das als Übersterblichkeit.

Grundlage für die Einschätzung ist die sogenannte Basismortalität, das ist die erwartete Anzahl an Sterbefällen in einem Jahr. Beim Statistischen Bundesamt wird sie anhand der Fallzahlen der letzten Jahre berechnet. Komplexere Berechnungen liefert beispielsweise das Projekt Euromomo, ein europäisches Mortalitätsmonitoring, das darauf abzielt, erhöhte Todesfallzahlen im Zusammenhang mit saisonaler Grippe, Pandemien und anderen Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit auf der Ebene mehrerer europäischer Länder zu messen.

August 2020: Keine Panik, oder was?

Das Statistische Bundesamt veröffentlicht wöchentlich eine Sonderauswertung der absoluten Zahlen. Basis für den Vergleich sind dabei die Sterbefallzahlen seit 2016. Erhebung und Nachverfolgung der Übersterblichkeit gelten auch hier während der Krise als wichtiges Instrumentarium zur Überwachung.

So erschien am 12. August 2020 eine Sonderauswertung der Sterbefallzahlen 2020 (bis dahin) mit Daten zur Einordnung der zeitweisen Übersterblichkeit im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Die seit dem 1. Januar 2020 erhobenen Daten wurden selbstverständlich als vorläufige Rohdaten gesehen; eine "vollständige plausibilisierte Sterbefallstatistik des Jahres", so der Hinweis, liege erst zur Mitte des Folgejahres vor. Das dürfte klar sein: Erst mit diesen Daten sind abschließende, umfassende Bewertungen, Analysen und Vorjahresvergleiche zur Beurteilung einer sogenannten "Übersterblichkeit" möglich.

Im Fazit des Berichts hieß es, "dass die Corona-Pandemie in Deutschland bisher vergleichsweise geringe Auswirkungen im Hinblick auf eine etwaige Übersterblichkeit hatte. Ein Zusammenhang der erhöhten Sterbefallzahlen mit dem gleichzeitigen Auftreten von COVID-19-Todesfällen in gleicher Größenordnung ist zwar naheliegend, jedoch wurden beispielsweise die Dimensionen der Grippewelle 2018 nicht erreicht. Dieses Bild sieht in vielen Ländern völlig anders aus". Wie gesagt, Stand: August 2020.

Der Blick auf Europa offenbarte zu diesem Zeitpunkt beträchtliche Unterschiede. Das statistische Amt Frankreichs (Insee) beispielsweise wies für die Monate März und April 2020 eine gegenüber 2019 um 26 Prozent erhöhte und gegenüber 2018 um 16 Prozent erhöhte Sterblichkeit aus (Insee, 2020). Das nationale statistische Amt Italiens berichtet von einer um 49 Prozent erhöhten Sterbefallzahl (für März 2020) im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2019 (Istat, 2020).

Für den Ballungsraum Stockholm meldet das nationale statistische Amt Schwedens (SCB) für die Kalenderwochen 14 bis 16 doppelt so hohe Sterbefallzahlen wie im Durchschnitt der fünf Vorjahre (SCB, 2020). In anderen Ländern war die Sterblichkeit regional teilweise deutlicher erhöht als im jeweiligen Landesdurchschnitt.

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