Das Geheimnis um Wespenkameras und Cola-Krise
The Simpsons: Hit & Run
Bisher enttäuschten Videospielumsetzungen der Kult-Zeichentrickserie The Simpsons stärker noch als die deutsche Synchronisation der Episoden. The Simpsons: Hit & Run gelingt es endlich, die Charaktere glaubwürdig auf GameCube, PS2, XBox und den PC zu bringen.
Die am längsten laufende Sitcom aller Zeiten zu sein darf sich die Zeichentrickserie 2005 (Verträge bis dahin sind längst unterzeichnet) rühmen. Nach einem Einstand als Pausenfüller in der Tracy Ullmann Show starteten "Die Simpsons" in den USA am 17. Dezember 1989, in Deutschland starteten die gelben (Anti)-Helden 1990 zunächst verschlüsselt auf Premiere, liefen von 1991 bis 1994 im ZDF und gehören seitdem auf Pro7 zur Dauerinstitution. 13 Staffeln liefen bereits in Deutschland, dem amerikanische Publikum zeigt Fox - immer wieder gerne im Streit für aber jüngst auch gegen die eigene Serie (vgl Simpsons parodieren Demokraten-Bashing) - gerade die 15. Staffel.
Äußerst flau begann die Videospielhistorie 1991 mit Acclaims Bart vs the Space Mutants, ein Spiel, das sich neben vielen Kinoumsetzungen in die Titel der bis heute nicht abreißenden lieblosen Lizenztitel einreiht. Die zahlreichen weiteren Game-Versuche mit den Springfielder Charakteren sind wenig nennenswert, Springfield wollte einfach nicht per Gamepad zum Leben erweckt werden. Immerhin etwas vom Witz der Charaktere - aber zu wenig vom Serien-Gefühl - brachte letztes Jahr der Crazy-Taxi Verschnitt The Simpsons Road Rage (vgl Würfelspiele) von Electronic Arts.
Hinter "The Simpsons: Hit & Run" steht zwar mit Vivendi ein anderer Publisher, mit Radical Entertainment aber dasselbe Entwicklerteam wie hinter "The Simpsons Road Rage". Auch diesmal sind die gelben Figuren vor allem in rasanten Fahrzeugen unterwegs und ebenfalls wiederholt bedienten sich die Entwickler bei einem bekannten Vorbild: Die Nähe zu Grand Theft Auto ist überdeutlich, aber gut geklaut ist besser als schlecht selbst erdacht.
Dass "The Simpsons: Hit & Run" tatsächlich vermag, die Simpsons-Atmosphäre auf die Spielkonsole beziehungsweise den PC zu bringen, ist wohl vor allem Tim Long und Matt Selman, zwei Autoren der Serie zu verdanken, aus deren Feder Story und Dialoge des Spiels stammen. Merkwürdige schwarze Lieferwagen und Wespenkameras sind in Springfield aufgetaucht - die Mitglieder der "ehrenwürdigen" Familie Simpsons machen sich nun unter der Direktive des Daddlers am Gamepad daran, die Geheimnisse zu ergründen. Tradition aus der Fernsehserie: Die Intro eröffnet mit dem bekannten Wolkenhimmel und einem (auf Homer reduzierten) Couch-Gag das Spiel. Nahezu alle Charaktere aus der Serie, von Professor Skinner über Patty und Selma bis zu Doktor Nick Riviera beleben Springfields Straßen und stellen dem jeweiligen Protagonisten zumeist haarsträubende Aufgaben - da gilt es Chief Wiggums Donutspur zu folgen, Monsterzubehör für Professor Frink zu sammeln oder von Moe eine Kettensäge für den Kampf gegen Zombies zu holen.
Den Großteil der Zeit verbringen die Charaktere, die in ihrer Gestaltung an den dreidimensionalen Homer aus der Halloween-Episode "Die Panik-Amok-Horror-Show" erinnern, in ihren fahrbaren Untersätzen. Vier Missionstypen beherrschen überwiegend das Spielgeschehen: Da gilt es schneller als ein anderes Vehikel oder die ablaufende Zeit an einem bestimmten Ort zu sein, vor einem anderen Fahrzeug zu fliehen, ein anderes Vehikel innerhalb der Zeit in Alteisen zu verwandeln sowie zumeist während einer Verfolgung Gegenstände einzusammeln.
Während des Spiels schlüpft der Spieler in die Rollen von Homer, Bart, Lisa, Marge und Apu. Jeder Charakter startet mit einem aus der Serie entliehenen Standardwagen - die Familienkutsche für Homer, die Seifenkiste aus "Das Seifenkistenrennen" für Bart oder der Canyonero aus "Marge Simpson im Anmarsch" für Marge. Zusätzlich dürfen die Springfield-Bewohner unzählige weitere Fahrzeuge verwenden, die zum Großteil der Serie entliehen sind wie Homers selbst entworfenes Auto aus "Ein Bruder für Homer" und die Schneepflüge aus "Einmal als Schneekönig".
Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie der Verfolgungsjagd in Chief Wiggums Polizeiwagen kann der Spieler das Gefährt jederzeit wechseln und zur Not auch einfach in eines der nullachtfünfzehn-Autos, die Springfields Straßen befahren einsteigen. Da sich die Fahrzeuge hinsichtlich Höchstgeschwindigkeit, Beschleunigung, Handling und Robustheit unterscheiden, ist für manche Missionen ein Wechsel angesagt - offensichtlich einigt sich Apus rasanter Sportwagen mehr für Rennen, zu destruktive Missionen sollte der Daddler lieber den etwas trägen dafür aber deutlich robusteren Schneepflug an den Start schicken.
Für einige Herausforderungen muss der Charakter das Auto verlassen - dieser Jump-And-Run-Part des Spiels ist jedoch weit weniger ausgereift als der automobile Teil. Eine träge Steuerung und Kamerafehler trüben den Fußgängergenuss - gut, dass gut 90 Prozent des Spiels im Auto stattfindet. Die Straßenmissionen spielen sich sehr flüssig und verzichten auf Kamerafehler, auch reagieren die Wagen im Gegensatz zu den Fußgängern sehr gut auf die Steuerbefehle des Gamepads. Die rasante Jagd durch Springfield macht einfach Spaß, allerdings sehnt man sich in den hinteren Levels irgendwann nach ein wenig mehr Abwechslung, als mit immer schnelleren Autos immer knappere Zeitlimits einzuhalten.
Zumindest erspart einem das Spiel den Frust, an einer einzelnen Mission komplett zu scheitern und damit im linearen Verlauf blockiert zu sein: Schlägt eine Mission oft genug fehl, darf der Spieler sie überspringen. Auch verliert sich der Fahrer nie im Nirwana: Während und zwischen den Missionen helfen dem Spieler die Minikarte sowie auf der Straße erscheinende Pfeile bei der Orientierung. Gerade in den höheren Levels sollte der Daddler allerdings die Straßen genau kennen, da die Pfeile nur die "offiziellen" Wege kennzeichnen, Abkürzungen jedoch zum Einhalten knapper Limits unerlässlich sind.
Das geradlinige Durchspielen der Levels bis zur Lösung des Geheimnisses um Wespenkameras und Cola-Krise ist wie in heutigen Videospielen üblich nur Teil des Ganzen. Jedes Level bietet eine Bonusmission und drei von der Story losgelöste Rennen, versteckte Gags, Sammelkarten, zu zerstörende Wespen-Kameras und versteckte Fahrzeuge. Darüber hinaus gibt es verschiedene Outfits für die Charaktere, die wie der Großteil des Fuhrparks aus den Simpsonsfolgen entliehen sind: Homer als Auserwählter, Marge als Polizistin, Bart als Bartman und und und. Das Geld, um sich mit neuen Kostümen und Fahrzeugen schmücken zu können, verdienen die Charaktere vor allem durch blanke Zerstörung - politically semikorrekt bringt der Einsatz der Stoßstange Geld, wenn er sich gegen Briefkästen und Laternen, nicht jedoch wenn er sich gegen Passanten richtet. Zuviel Zerstörungswut oder zu häufige Unfälle machen irgendwann die Polizei auf den Fahrer aufmerksam - Zeit für das namensgebenden Hit-And-Run-Driving (Fahrerflucht) - unabhängig von der Aufgabe verfolgen zahlreiche Polizisten den Fahrer - erwischen sie ihn, kostet es nicht nur Zeit (und damit häufig das Missionsziel) sondern auch 50 der mühsam per Zerstörung gesammelten Dollar.
Die Stärke des Spiels liegt im Detail: Kommentare der Originalsprecher aus der Feder der Originalautoren, individuelle Zurufe der Nebenfiguren - fast könnte man sagen "man muss sie alle angefahren haben". Die Hintergrundgags sind so zahlreich, dass man auch nach Stunden Spielzeit noch neue entdeckt - da ist die Plakatkombination aus "Lisa als Vegetarierin": "Don't Eat Beef" ... "Eat Deer" oder ein "No Pagans"-Schild in Ned Flanders Garten zu Halloween - überhaupt ist das Halloween-Level ein Leckerbissen mit veränderten Lokalitäten wie der "Springwarts School" sowie Hexen und Zombies als Passanten ein Leckerbissen. All dies tröstet über das zwar solide, auf Dauer aber zu repetitive Spielkonzept hinweg. Kein Spiel, das man stundenlang am Stück spielt, aber eines, dass man immer wieder gerne hervorholt und sich über neu entdeckte Details freut. Fans der gelben Sippe finden in "The Simpsons: Hit & Run" endlich das, was sie schon seit "Bart vs The Space Mutants" von einem Simpsons-Spiel erwarten: Eine gelungene Umsetzung der Figuren und Atmosphäre.