"Das Tragische am Bandera-Kult ist, dass Ukrainer oft nicht wissen, wen sie eigentlich verehren"
Seite 3: "Widerstand gegen Nazi-Deutschland fand nur bedingt statt"
- "Das Tragische am Bandera-Kult ist, dass Ukrainer oft nicht wissen, wen sie eigentlich verehren"
- "Polen, Juden und Russen waren die Hauptfeinde"
- "Widerstand gegen Nazi-Deutschland fand nur bedingt statt"
- "Ende der 1980er Jahre wurde Bandera-Kult in die Ukraine zurückgebracht"
- "Die Ukraine sollte Zweisprachigkeit akzeptieren"
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Lassen Sie mich kurz zusammenfassen: Die ukrainischen Nationalisten beteiligten sich aktiv am Holocaust und ermordeten hunderttausende Juden und Polen. Aber die Deutschen ließen die Gründung eines eigenen ukrainisches Staates nicht zu. Kämpfte die OUN dann auch gegen die Deutschen?
Grzegorz Rossoliński-Liebe: Von einer Veränderung der Haltung gegenüber Deutschland können wir nur bedingt sprechen. Wie gesagt, obwohl Bandera und die OUN-Führung verhaftet wurden, wurde die Kollaboration auf unteren Ebenen fortgesetzt. Die OUN und die UPA gaben aber, als die Wehrmacht die Schlacht bei Stalingrad verlor, den Faschismus langsam auf und orientierte sich um.
In offiziellen Publikationen begann sie Deutschland als ihren Feind darzustellen. Vereinzelt kämpften auch UPA-Partisanen gegen Deutsche in der Westukraine. Dieser Kampf war aber nie ein wichtiges Ziel der Organisation. Die OUN und UPA fühlten sich ideologisch mit den Nationalsozialisten verwandt. Sie wussten auch, dass Deutschland die Ukraine bald verlassen wird.
Auch war ein Kampf gegen die Wehrmacht für die UPA kontraproduktiv, weil Deutschland gegen ihren neuen Hauptfeind – die Rote Armee – kämpfte. Deshalb schickten vor allem die OUN-M und im kleineren Ausmaß auch die OUN-B ihre Mitglieder zu der Division Waffen-SS Galizien, die 1943 in Galizien entstand und aus mehr als 8.000 jungen Ukrainern bestand.
Der "Widerstand" gegen Nazi-Deutschland ist also ein Thema, dass in den ukrainischen Diskursen zwar nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle spielte aber im Krieg nur bedingt stattgefunden hatte.
Welchen Anteil hatten Bandera an den Verbrechen von OUN und UPA? Und gab es noch andere ukrainische Nationalisten, die sich federführend an den Verbrechen beteiligten, aber heute als Helden der Ukraine verehrt werden?
Grzegorz Rossoliński-Liebe: Das sind sehr wichtige Themen, über die wir unbedingt noch mehr forschen sollten. Vor allem über den genauen Verlauf der Kollaboration im Judenmord brauchen wir noch mehr Detailstudien. Wie gesagt, OUN-Mitglieder halfen den Besatzern Juden in der Westukraine zu ermorden.
Ebenso "gewöhnliche" Ukrainer in der Kommunalverwaltung wie Bürgermeister oder Dorfschulzen waren am Judenmord beteiligt. Banderas Onkel – Josef Bandera – war zum Beispiel der Bürgermeister von Stryj. Ohne die Unterstützung der ukrainischen Polizei und Kommunalverwaltungen wäre der Judenmord in der Westukraine nicht so "effizient" und "umfassend" verlaufen und es hätten eventuell deutlich mehr Juden überlebt.
Die OUN und UPA ermordeten auch Juden, die aus den Ghettos geflohen waren und sich in den Wäldern oder Dörfern und Kleinstädten versteckt hatten, ohne dass die deutschen Besatzer sie darum gebeten hätten. Ihr Beitrag zum Holocaust in der Westukraine ist also bedeutend. Viele Details sind leider bis heute zu wenig bekannt.
Die Ermordung von Polen ist besser erforscht. Man weiß, dass Polen seit Frühling 1943 in Wolhynien und seit Anfang 1944 in Galizien massenweise und systematisch ermordet und vertrieben wurden. Man weiß, wie die Verbrechen vorbereitet und durchgeführt wurden. Ähnlich wie jüdische Überlebende hinterließen auch Polen aus Wolhynien und Galizien Berichte. Auch die Pläne der OUN und UPA-Führung sind bekannt. Die Systematik und Grausamkeit des Handelns sind erschreckend. Sie zeigen, wie eine faschistische Bewegung, die politisch mit Nazi-Deutschland offiziell nicht zusammenarbeitet, während des Zweiten Krieges hinter der Front systematisch und massenweise Zivilisten ermordete.
Bandera ist für diese Verbrechen indirekt bzw. politisch verantwortlich. Indirekt, weil er oft selbst nicht in der Westukraine war und selbst auch keine Befehle erteilte. Als Führer der Bewegung radikalisierte er aber die OUN und sprach sich für die Säuberung der Ukraine aus. Bei dem Prozess in Lemberg 1936 sagte er, dass "nicht nur Hunderte, sondern Tausende Menschenleben geopfert werden müssen". Er meinte sowohl ukrainische Nationalisten, die im Kampf fallen, als auch Juden, Russen und Polen, die ermordet werden müssen.
Er war auch in die Vorbereitung der Operation Barbarossa einbezogen und er bereitete die Gewalt vor, die nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 ausgetragen wurde. Ethnische und politische Gewalt war auch ein zentraler Bestandteil seiner Pläne um den ukrainischen Staat, den er als Führer (Providnyk) regieren sollte.
Die weitere Gewalt seit Herbst 1941 geschah ohne seine Beteiligung und teilweise sogar ohne sein genaues Wissen, aber sie war die Fortsetzung seiner Politik. OUN-Mitglieder und UPA-Partisanen verstanden Bandera weiter als ihren Providnyk. Nach dem Krieg schwieg Bandera über diese Themen bzw. leugnete sie, wie alle anderen Veteranen der Bewegung übrigens auch.
Für Historiker und Geheimdienste, die den Holocaust erforschten bzw. Bandera im Kalten Krieg unterstützten, war das ein offenes Geheimnis. Sie wussten bzw. ahnten es, aber sprachen nicht darüber. Nur wenige jüdische Historiker wie Philip Friedmann veröffentlichten Publikationen über die Gewalt der OUN und UPA und hinterfragten das offizielle Erinnerungsnarrativ der ukrainischen Diaspora. Ihre Arbeiten wurden aber durch nordamerikanische und westdeutsche Historiker nicht rezipiert, weil diese Geschichtswissenschaftlicher noch bis vor wenigen Jahren in ihren Publikationen das Narrativ der ukrainischen Diaspora vertraten und nur Verbrechen der Nationalsozialisten in der Ukraine untersuchten.
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