"Das Tragische am Bandera-Kult ist, dass Ukrainer oft nicht wissen, wen sie eigentlich verehren"

Seite 4: "Ende der 1980er Jahre wurde Bandera-Kult in die Ukraine zurückgebracht"

In den letzten Jahren konnte man in zahlreichen deutschen und internationalen Reportagen Fackelaufmärsche und Demonstrationen in der Ukraine sehen, auf denen Porträts von Bandera getragen wurden. Ihm zu Ehren wurden auch zahlreiche Denkmäler errichtet. Wie kam es zu diesem Bandera-Kult und welche Bedeutung hat er für die heutige Ukraine?

Grzegorz Rossoliński-Liebe: Der Bandera-Kult ist interessant. Er wurde nach dem Krieg von der ukrainischen Diaspora, die unter anderem aus Veteranen der OUN, UPA, Waffen-SS Galizien und ukrainischen Polizisten bestand, in Kanada, USA, Westdeutschland, England fortgesetzt. Es waren Menschen, die 1941 die Proklamation des ukrainischen Staates in Lemberg unterstützen und die Westukraine von Juden und Polen säuberten.

Der Kult wurde durch das Attentat auf Bandera gestärkt, das der sowjetische Geheimdienst 1959 in München erfolgreich durchführte. Der Kult bekam dadurch auch eine starke antisowjetische Komponente. Bandera wurde als ein Nationalheld erinnert, der im Kampf gegen die Sowjetunion für das Vaterland fiel.

In den späten 1980er Jahren brachte die ukrainische Diaspora den Kult in die Westukraine zurück. Er fiel dort auf einen fruchtbaren Boden, weil die Truppen des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten (NKWD) seit 1944 in der Westukraine im Kampf gegen die UPA über 150.000 Personen ermordeten und über 200.000 in das Innere der Sowjetunion deportierten. Fast jede Familie in der Westukraine war davon betroffen. Darüber hinaus waren Russland und die Sowjetunion in der Westukraine schon immer sehr unbeliebt und sind es heute auch.

Nach alldem, was Sie bisher geschildert haben: Ist den Menschen in der Ukraine bewusst, wen sie da eigentlich verehren?

Grzegorz Rossoliński-Liebe: Das Tragische an dem Kult von Bandera, anderen OUN-Kadern und UPA-Partisanen ist, dass Menschen in der Ukraine – und dazu muss man auch den ukrainischen Botschafter in Deutschland Andrij Melnyk zählen – nicht wissen, wen sie eigentlich verehren. Bzw. sie erinnern sich nur an den Kampf gegen die Sowjetunion aber nicht an den Faschismus, Kollaboration im Holocaust und Massenmorde an Polen und Ukrainern.

Auf diese Weise wird in der Ukraine oft Faschismus bzw. radikaler Nationalismus mit Demokratie verwechselt. Bei den Protesten auf dem Maidan 2014 in Kiew wurde Bandera als ein Symbol des Kampfes um die Demokratie und Annährung an die EU beansprucht.

Hier kommen wir wieder zu dem Problem mit der Rezeption der Biografie und anderen wissenschaftlichen Publikationen. Menschen neigen leider dazu, Wissen zu ignorieren, das ihr Selbstverständnis hinterfragt, Unsicherheit verbreitet oder zu Veränderungen führt. Auch ist die Rezeption des Wissens über Bandera und die OUN schwierig, weil Russland die Ukraine politisch kontrollieren will und dort einen Krieg führt. Meine Bandera-Biographie wurde zwar ins Ukrainische und Russische übersetzt, aber eine Auseinandersetzung mit diesem Buch ist in naher Zukunft nicht zu erwarten.

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