Das Wissen der Avantgarde und der Mainstream
Interview mit Tim Renner, Chef von Universal Music Deutschland, über die Zukunft der Musikindustrie und den Kampf gegen Cracker
Tim Renner, Geschäftsführer des Labels Universal Music Deutschland, hat die Debatte über illegale Downloads und CD-Brennerei satt. Auf der Konferenz BerlinBeta forderte er jüngst seine Kollegen in der Branche auf, endlich eine Qualitätsoffensive zu starten, statt immer nur über Techniken zum Schutz von Inhalten zu reden. Trotzdem will Universal Music in den nächsten Wochen als erstes großes Label alle seine CDs mit Kopierschutz versehen. Stefan Krempl sprach mit dem 36-jährigen Manager über die Probleme der Branche und das zukünftige Geschäft.
Woher werden wir in fünf Jahren unsere Musik beziehen?
Tim Renner: Eindeutig vor allem aus mehr Quellen als bisher. Man wird Musik nach wie vor offline erwerben können, im Shop dann aber auch gleich die eigene Wunsch-Compilation zusammenstellen können. Erst recht wird dies natürlich online möglich sein, entweder als CD oder als Download. Daneben wird es möglich sein, Musik temporär zu erwerben. Dazu erhalten Sie entweder einen Zugangscode für einen Stream, sodass Sie sich die eigene Festplatte nicht vollkleistern müssen. Oder Sie laden sich ein Stück herunter, dass sich dann aber nach einiger Zeit selbst löscht.
Schauen wir noch einmal fünf Jahre zurück in die Vergangenheit. Schon damals wurde von Netzgurus wie John Perry Barlow prophezeit, dass die eigentlichen Inhalte frei sein werden und die Künstler vor allem durch Aufführungen Geld verdienen.
Tim Renner: Auf dem Geschäftsmodell gründete sich dann eine ganze Industrie, die wir heute als "New Economy" kennen. Insofern haben sich da einige Fragen schon selbst beantwortet. Der Begriff der "temporary ownership" kommt allerdings sogar von Barlow. Einerseits hat er von Kommunikation und anderen Nutzungsformen von Inhalten gesprochen, aber er hat auch die Idee vertreten, dass sich die Nutzer vom Konzept verabschieden, eine Sache auf ewig zu besitzen. Gerade bei Musik, die vielleicht in bestimmten Lebensphasen relevant ist, macht es natürlich Sinn, sie nur temporär zu besitzen. Da sich momentan viele Surfer vom kommerziellen Musikbetrieb verabschiedet haben, bestehen hier riesige Chancen. Es muss gelingen, sie wieder zu kommerziellen Nutzern zu machen. Selbst wenn sie nur Mikrobeträge bezahlen, haben wir ein funktionierendes Geschäftsmodell.
Das beruht aber auf entsprechend sicheren Systemen fürs digitale Rechtemanagement (DRM). Die Kopierschutzverfahren werden aber ständig geknackt.
Tim Renner: Es wird immer ein Wettlauf sein. Noch stärker als wir kämpft da momentan die ganze Game-Industrie. Das Problem ist dasselbe: Alle Sicherheitscodes werden regelmäßig spätestens nach einer Woche von einer Avantgarde geknackt. Die wird aber nie die Majorität sein. Wir müssen also verhindern, dass das Wissen der Avantgarde Mainstream wird. Die absolute Mehrheit wird nie die Lust, die Fähigkeiten und die Zeit haben, sich am aufwändigen Knacken von Codes zu beteiligen. Als Musikindustrie müssen wir sehen, dass wir die Altersgruppen wieder in die Kommunikation einbeziehen, die wir just verloren haben. Das ist die Zielgruppe von 25 an aufwärts.
Billig kommt so ein Wettrennen mit den Crackern aber nicht.
Tim Renner: Universal Interactive Publishing vertreibt ja auch Games - und die Kollegen haben nach wie vor 50-prozentige Umsatzzuwächse. Bei den teureren Spiele-CD-Roms macht es sogar richtig Sinn, sich mit den Codes zu beschäftigen. Der Wettlauf allein ist also durchaus gewinnbringend zu führen. Entscheidend ist aber, dass die Musikindustrie endlich mal aus den Startlöchern herauskommt. Denn momentan kursieren ja täglich CDs im Millionenwert im Netz.
Werden die technischen Kopierschutzmaßnahmen auch weiterhin das Recht des Nutzers auf Privatkopien bewahren?
Tim Renner: Privatkopien sind zwar nicht verboten, aber Richter haben beispielsweise bei kopiergeschützten CDs bereits klar erkannt, dass es kein absolutes Recht darauf gibt. Anders als in England ist hierzulande das Kopieren für den privaten Zweck eben nicht illegal. Worum es dabei ja meistens geht, ist die Zusammenstellung von Songs für den Freund oder die Freundin. Die Möglichkeit für das Erstellen eigener Compilations werden die Verbraucher jederzeit haben. Dazu müssen sie sich gar nicht mehr das ganze Album kaufen. Man darf das Internet schließlich nicht benutzen, um Sachen zu verhindern, sondern um den Service zu verbessern.
Wäre es nicht trotzdem einfacher, einfach auf die Kopierschutzmechanismen zu verzichten und darauf zu setzen, die Musik unter die Leute zu bringen? New Order haben ja beispielsweise ihr gesamtes Album gerade über AOL kostenlos zum Download angeboten.
Tim Renner: AOL braucht eben dringend eine Erfolgsstory und New Order ist schon eine eingeführte Marke. Es wäre für die Musikindustrie fatal, alles gesponsert ins Netz zu stellen. Das würde nichts anderes bedeuten, als dass irgendwann Coca-Cola, Mc Donald's oder AOL bestimmen, was als Musik kommuniziert wird. Als Konsument würde ich mir das nicht gerade wünschen. Musik, die umsonst verteilt wird, führt genau zu dem, was wir im Privatradio erleben. Da wird die Musik zur Begleitfläche für eine Werbebotschaft. Das filtert alles Inhaltliche aus der Musik heraus, was in kultureller Hinsicht nicht wünschenswert ist und sicher auch nicht das große Geschäftsmodell sein kann. Wir brauchen vielmehr ein Gut, das sich zu kaufen lohnt. Bislang werden fürs Radio zu viele Sachen produziert, die auf den Sofortverbrauch ausgerichtet und damit "disposable" sind. Bei denen ist es klar, dass ich sie auch for free haben will.
Wie lautet die Gegenstrategie?
Tim Renner: Musik muss länger relevant sein. So wie die Platte, die viele von uns noch aus ihrer frühesten Jugend haben und sie nach wie vor spielen, obwohl sie knackt wie blöd. Wenn ich ein Stück nach einer Woche eh übergehört habe, wird es zur Identifikation mit meiner Persönlichkeit wenig beitreten. Wenn Musik nur eine Hintergrundtapete bildet, kann man sie vergessen. Es ist zwar mehr und mehr solche Musik produziert worden, weil die Industrie - wie auch die Künstler selbst - historisch gelernt hatten: 'Hm, wenn ich meine Scheiben verkaufen will, muss ich sie ja erst mal irgendwie kommunizieren.' Dafür sind die Audiomedien lange sehr wichtig gewesen. Dementsprechend hat das Radio das Angebot bestimmt. Nun wird durch den Computer auch das Herstellen und Produzieren von Musik immer einfacher und billiger. Es entsteht daher viel mehr Mist. Aber gleichzeitig entsteht viel mehr Gutes. Es ist nur schwieriger geworden, interessante Musik zu finden. Die große Hoffnung besteht nun darin, dass es uns die Online-Kommunikation ermöglicht, klassische, rein auf Masse zielende Wege zum Konsumenten zu umgehen.
Dann kann aber der Künstler ja auch seine eigenen Kanäle aufbauen und auf die Musikindustrie verzichten?
Tim Renner: Je mehr Leute in einem Raum reden, desto dringender brauche ich ein Megaphon, um verstanden zu werden. Das heißt in diesem Fall: Je mehr Künstler im Netz Neues machen, desto mehr sind sie auf Leute angewiesen, die wissen, wie man da drin auffallen kann bei den richtigen Adressaten. Sie brauchen also Institutionen, die bereits den Kontakt zu den unterschiedlichen Fan- und Zielgruppen aufgebaut haben. Und: je mehr Mist es gibt, desto mehr bin ich auf Leute angewiesen, die mir helfen, meine Produktionen noch besser zu machen. Besser aussehen zu lassen, aber auch insgesamt stimmiger zu machen. Es geht dabei nicht nur um die Dienstleistung Produktion, sondern auch um die Dienstleistungen Marketing und Promotion.
Wird sich denn das Internet nach all den Anlaufschwierigkeiten nun überhaupt als legaler Distributionskanal etablieren?
Tim Renner: Das Grundproblem ist, dass wir endlich das legale Angebot schaffen müssen. Die ganze Online-Diskussion hat die Musikindustrie hier zu Lande - wie auch global - zu einem Zeitpunkt ereilt, als gerade ein Generationswechsel anstand. Es ist relativ verständlich, dass eine Generation, die um die 50 und älter ist, an sehr lange Zeitrahmen beim Wechsel der Trägersysteme glaubte. Die Manager hatten auf den letzten Meter einfach keinen Bock, noch mal alles umzukrempeln. Dementsprechend ist die Musikindustrie sehr lange sehr konservativ an die neuen Möglichkeiten herangegangen, hat versucht sie zu verhindern, sie klein geredet. Sie hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Es ist zwar so, dass die Labels auf 95 Prozent der digitalen Rechte sitzen. Bei den restlichen 5 Prozent, den so genannten Bandübernahme-Verträgen, die außerhalb des anglo-amerikanischen Raums abgeschlossen wurden, muss die Musikindustrie teilweise nachverhandeln. Insgesamt muss sie sich aber allenthalben zunächst auf ein Erlösmodell einigen. Das ist eine extreme Arbeit, weil hier Künstler für Künstler gesondert verhandelt werden muss. Das ist nicht gemacht worden und wird jetzt nachgeholt.
Wann wird es den One-Stop-Shop geben, wo der Konsument wie bei Napster seine gesamten Musikbedürfnisse befriedigen kann?
Tim Renner: Relativ bald. Im Rahmen dieses Jahres geht Musicnet an den Start, der Service von BMG, Warner und EMI. Auch wir legen zusammen mit Sony und allerlei Indies über Pressplay los. Das sind beides Business-to-Business-Lösungen, die sich potenziell auf einer Website eines Dritten wieder vereinigt finden können.
Als Konsument brauche ich Pressplay oder Musicnet also gar nicht ansurfen?
Tim Renner: Nein. Pressplay ermöglicht es, dass jemand auf seiner Website mit den entsprechenden Lizenzen Musik-Downloads verkaufen kann. Aber Pressplay verkauft nicht an Einzelkonsumenten. Bei Musicnet funktioniert es meines Wissens nach ganz ähnlich. So kriegen wir es hoffentlich ziemlich schnell hin, dass umfassende Angebote mit allen Kommunikationsmöglichkeiten entstehen. Pressplay hat bereits eine Kooperation mit Yahoo verkündet. Dort wird man also ähnlich wie bei MSN oder anderen großen Portalen die eigentlichen Musikstücke erwerben können.
Bei Universal steht an weiteren Umbrüchen der Umzug nach Berlin im nächsten Sommer an. In Friedrichshain, wo die neue Zentrale liegen wird, geht allerdings gleichzeitig das Club-Sterben los. Kein gutes Omen?
Tim Renner: Für uns ist es eigentlich fast relevanter, irgendwo zu sein, wo Kreative selbst gerne leben. Clubs werden erst zwischen 1 und 3 Uhr nachts interessant - und hoffentlich komme ich nicht allzu häufig so spät aus dem Büro. Aber prinzipiell ist das natürlich keine schöne Entwicklung. Berlin hat momentan wegen seiner Freiräume große Vorteile. So konnten Clubs entstehen, die sonst in dieser Form nirgends möglich sind. Die Stadt muss begreifen, dass das auch ein wichtiger wirtschaftlicher Standortfaktor ist. Kultur ist das beste Verkaufsargument, das ich als Stadt haben kann. Das gilt nicht nur für Opern und Theater, sondern eben gerade für alle Locations, über die ich junge Kreative in die Stadt rein saugen kann. Ein bisschen mehr Flexibilität von Ordnungsämtern in den Bezirken ist also durchaus gelebte Standortpolitik. Auch die Betreiber müssen natürlich ein wenig zuhören und dürfen Hinweise über die nächsten Schritte nicht ganz außer acht lassen. Berlin hat schon gewisse Vorteile durch die Club Commission, die beide Seiten zusammenzubringen versucht.