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Das neue Syrien: Wird Rakka an Baschar al-Assad zurückgegeben?

Bild: Mahmoud Bali (VOA) / gemeinfrei

Die Rolle der Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und Vertretern der Kurden für neue Weichenstellungen

Wie wird das neue Syrien in Rakka (bzw. Raqqa) aussehen? Vor etwa einem Jahr, im Oktober 2017, äußerte [1] der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian große Vorbehalte gegen eine Rückgabe Rakkas an Baschar al-Assad.

Auf die Frage der Zeitung Journal du Dimanche, ob Rakka wieder in die Hände des syrischen Präsidenten zurückgegeben werden soll, antwortete er: "Sicher nicht. Schließlich ist Rakka von oppositionellen Kräften (aus der Kontrolle des IS, Anm. d.V.) zurückerobert worden. Jetzt ist die Zeit gekommen, um sich über einen Weg und ein adäquates Forum zu verständigen, wo man über die Zukunft Syriens spricht und verhindert, dass sich das Land balkanisiert."

Die Position, "Rakka wird nicht an Baschar al-Assad zurückgegeben", womit an dieser Stelle ein Artikel überschrieben [2] wurde, ist wahrscheinlich nicht zementiert. Vor Jahresfrist zeichnete sich ab, dass Rakka vom Westen als "Pfand" verwendet werden könnte, um Einflusssphären in Syrien zu behalten. Wirklichen Einfluss auf das Geschehen im aktuellen Syrien hätte der etwas selbstherrliche Präsident der ehemaligen Mandatsmacht Frankreich auch gerne.

Seit Oktober 2017 zeigt sich noch deutlicher, dass die syrische Regierung unter Baschar al-Assad und Russland die Sieger sind, mit denen zu verhandeln ist, wenn es um das "neue Syrien" (Emmanuel Macron) geht. Sie sind die Adressen für Weichenstellungen und Wünsche.

Der neue Staatschef al-Assad wird der alte sein - auch wenn in den nächsten Tagen, wie das z.B. von einem BBC Syria Producer angekündigt [3] wird, weitere Horrornachrichten von Tausenden im Gefängnis getöteten Oppositionellen an die Öffentlichkeit kommen oder es in den nächsten Wochen zu einer Offensive gegen die Milizen in Idlib kommt, wo zwischen 1,5 und 2 Millionen Menschen leben sollen und Opfer unter der Zivilbevölkerung zu erwarten sind.

"Keine Alternative"

Die Zeiten, wo bei Gesprächen in Genf die Ablösung Baschar al-Assads durch eine Übergangsregierung das Thema war, das die Genfer Runden regelmäßig zum Absturz brachten, sind vorbei. Auch unter Oppositionellen dürfte sich nicht nur bei dem einen, den der oppositionsnahe Aymenn Jawad al-Tamimi interviewt [4], die Einsicht durchgesetzt, dass es gegenwärtig "keine Alternative" gibt.

Wie wenig die befragte Bevölkerung in Syrien, die in Gebieten unter Milizenkontrolle lebten, von deren Alternative angetan war, ist bei der Politologin und Journalistin Elizabeth Tsurkov nachzulesen [5] (Syrien: Bevölkerung angewidert von Milizen [6]).

... aber auch kein Zurück zum Status vor dem Krieg

Demgegenüber dürfte aber auch bei der syrischen Führung nach sieben Jahren eines monströsen Kriegs, der das Land und die Gesellschaft in einen traurigen und deprimierenden Zustand [7] gebracht hat, die Einsicht durch die Köpfe schwirren, dass man nicht einfach da weitermachen kann, wo man 2011 vor Ausbruch der Gewalttätigkeiten war.

Oppositionelle wie Salih Muslim, der Vertreter für Außenbeziehungen der Demokratischen Bewegung (TEV-DEM), sprechen das dezidiert an (siehe Türkei begeht Menschenrechtsverletzungen in Afrin [8]):

Es kann in Syrien keine Rückkehr mehr zum alten diktatorischen System geben, das ist vorbei. Die Herrschaft einer Partei über das ganze System wie vor 2011 ist Geschichte. Es ist notwendig, ein neues Syrien aufzubauen (…) Wir präsentieren unser Modell als Beispiel. Aber es gibt auch das alte Regime. Wir werden uns auf einen entsprechenden Punkt verständigen, so dass wir gemeinsam in einem Land leben können.

Salih Muslim

Momentan sind Vertreter der Kurden, die im Rat der Demokratischen Föderation Nordsyriens (MSD) sitzen oder den Verteidigungseinheiten SDF angehören in Verhandlungen mit der syrischen Regierung. Wenn die Gespräche zu einer gegenseitigen Annäherung kommen, so könnte es zu Resultate mit großer Reichweite und Wirkung kommen, die nicht nur die Türkei angehen, worauf Elke Dangeleit heute aufmerksam macht [9].

Kurden: Verlierer oder Mitgestalter?

Es gibt Ansichten von gut informierten Lagekennern wie dem belgischen Journalisten Elijah J. Magnier, der in den Kurden die Verlierer eines Pokerspiels sieht, bei dem sie zu sehr auf die USA gesetzt haben. Und es gibt Ansichten von Lagekennern wie dem früheren Nahost-Journalisten Nir Rosen (der schon früh vor einem Umschlag des Aufstandes in Syrien in den Dschihad warnte), der den Kurden eine Schlüsselrolle bei der Neugestaltung Sysreins zuweist.

Gut möglich, so Rosens Ausblick [10], dass die Kurden ein Modell dafür liefern könnten, wie die Zentralmacht in Damaskus ihren Zugriff lockern, dennoch aber die Aufsicht und wesentliche Befugnisse behalten könnte. Auch dass die Kurden demokratische Ansätze verfolgen, zählt zu ihren Gunsten.

Mit größerem Raum für Dezentralisierung könnte Syrien einen neuen Herrschaftsmodus schaffen, der diejenigen interessiert, die Geld für den Wiederaufbau investieren, wäre der dazu naheliegende Gedanke.

De-Eskalation und "Versöhnungen"

Geht es nach einer etwas sonderbaren und ziemlich spektakulären Geschichte, die dieser Tage auf Max Blumenthals Webseite "Grayzone" über jahrelange geheime Verhandlungen zu Syriens Zukunft erschienen ist (Meet the mystery Fixer who negotiated Syria out of Seven Years of War [11]), so hatte Nir Rosen einen größeren Einfluss im Hintergrund, da er über gute Kontakte im Westen und zur Regierung in Damaskus verfügt.

Rosen wird im Artikel von Rania Khalek (der in Expertenkreisen auf Twitter für Aufsehen, aber auch für viele Fragen gesorgt hat) zugeschrieben, dass sein De-Eskalationsplan eine Art Vorlage abgab dafür, über Verhandlungen mit den gegnerischen Milizen zu Lösungen im Konflikt zu kommen.

Meist über Russlands Vermittlung geführte Verhandlungen mit Milizen waren bei der jüngsten Offensive der syrischen Armee im Süden des Landes eine Erfolgsgeschichte. Die harten Kämpfe gab es mit den verbohrten Dschihadisten wie etwa mit der IS-Miliz Jaysh Khalid ibn al-Walid [12].

Die Rolle der SDF in Rakka

Dreh- und Angelpunkt beim Wiederaufbau des zerstörten Rakka - "11.000 Häuser sind zerstört oder beschädigt" [13] - ist die SDF, die von den Kurden dominiert wird.

Im Mai meldete OCHA, dass seit Oktober 2017 über 138.000 zuvor Geflüchtete nach Rakka zurückgekehrt sind. In einem aktuelle Situationsbericht, veröffentlicht in der oppositionsnahen Publikation Syria: Direct [14] (gesponsort von der Konrad-Adenauer-Stiftung), heißt es, dass "zivile Organisationen" zurück seien und internationale NGOs, um die Stadt wiederherzustellen. Zu erfahren ist auch, dass sie alle mit den USA in enger Verbindung stehen und keine Absprachen mit der syrische Regierung getroffen wurden:

Die Stabilisierung in Rakka ist im Augenblick die fast-exklusive Domäne der US-Regierung und deren Partner, die sie vor Ort einsetzt. Bedeutende UN-Organisationen und andere internationale Geber sind in der de facto von Kurden gehaltenen Region nicht präsent. Die Arbeiten werden ohne Erlaubnis der syrischen Regierung durchgeführt.

syria:direct [15]

Man kann sich ausrechnen, dass dies angesichts des Anspruchs al-Assads ganz Syrien zurückzuerobern, nicht lange ohne weitere Spannungen so weiterlaufen wird. Schon jetzt zeigen sich, wie der Bericht erwähnt, größere Spannungen zwischen den arabischen Vertretern und den Kurden im "Stadtrat" (Raqqa Civil Council - RCC) ab, der von den SDF dominiert werde. Auch die zivilen Wiederaufbauhelfer würden sich darüber beklagen, dass die SDF kaum Spielraum lassen.

In den letzten Monaten gab es Ansätze dafür, dass es unter russischer Vermittlung die USA und Frankreich eingebunden werden könnten (vgl. hier [16] und hier [17]), um zu erreichen, dass Flüchtlinge wieder nach Syrien zurückkehren können und der Wiederaufbau verstärkt wird. Die Gespräche zwischen den Kurdenvertreter und denen der syrischen Regierung dürften auch hier eine große Rolle spielen, sind doch beide westlichen Länder eng mit den SDF und den PYD verbunden.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4131731

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.lejdd.fr/international/jean-yves-le-drian-au-jdd-un-accord-local-a-permis-a-certains-djihadistes-de-fuir-raqqa-3470852#xtor=CS1-4
[2] https://www.heise.de/tp/features/Franzoesischer-Aussenminister-Rakka-wird-nicht-an-Baschar-al-Assad-zurueckgegeben-3868691.html
[3] https://twitter.com/Dalatrm/status/1026882136601714689
[4] http://www.aymennjawad.org/2018/08/life-in-sayyida-zainab-interview-with-jaafar
[5] http://www.regthink.org/en/articles/the-breaking-of-syrias-rebellion
[6] https://www.heise.de/tp/features/Syrien-Bevoelkerung-angewidert-von-Milizen-4108331.html
[7] http://www.synaps.network/picking-up-the-pieces
[8] https://www.heise.de/tp/features/Tuerkei-begeht-Menschenrechtsverletzungen-in-Afrin-4131230.html?seite=4
[9] https://www.heise.de/tp/features/Tuerkei-begeht-Menschenrechtsverletzungen-in-Afrin-4131230.html
[10] https://www.youtube.com/watch?v=bc6pqhd-04E
[11] https://grayzoneproject.com/2018/08/02/meet-the-mystery-fixer-who-negotiated-syria-out-of-seven-years-of-war/
[12] http://www.francesoir.fr/en-coop-matteo-puxton/syrie-etat-islamique-vaincu-par-armee-syrienne-sur-le-golan?platform=hootsuite
[13] https://www.washingtonpost.com/graphics/2018/world/syria/raqqa-residents-abandoned-and-forgotten/?utm_term=.f4738bfdaea6
[14] https://syriadirect.org/news/raqqa-sees-gradual-return-of-civil-society-amid-widespread-destruction-political-uncertainty/
[15] https://syriadirect.org/news/raqqa-sees-gradual-return-of-civil-society-amid-widespread-destruction-political-uncertainty/
[16] https://www.heise.de/tp/features/Syrien-Kooperation-zwischen-USA-und-Russland-bei-der-Rueckkehr-von-Fluechtlingen-4117897.html
[17] https://www.heise.de/tp/features/Syrien-Der-lange-Weg-des-Westens-bis-zu-einer-Normalisierung-mit-Assad-4121961.html