Syrien: Bevölkerung angewidert von Milizen
Eine aktuelle Untersuchung ernüchtert und widerlegt den Mythos des Volkes, das sich gegen Baschar al-Assad auflehnt. Stattdessen wird die Unzufriedenheit mit der Willkürherrschaft der Milizen und den lokalen Oppositionsregierungen deutlich
Die Politologin und Journalistin Elizabeth Tsurkov ist keine Unterstützerin der syrischen Regierung, die sie als "Assad Regime" bezeichnet, so auch in ihren Eingangszeilen zu einer bemerkenswerten Untersuchung. Deren Titel heißt: "The Breaking of Syria’s Rebellion", was man mit Brechen oder Zerschlagen der syrischen Rebellion übersetzen könnte.
Wer nur den Anfang liest, der könnte auch auf den ersten Blick denken, dass dies eine weitere Untersuchung ist, die vor allem die Repression und das Autoritäre der Assad-Herrschaft im Auge hat. Tsurkov schreibt dort, dass das "Assad Regime den Krieg in Syrien gewinnt, nicht nur weil es einfach Territorium wiedergewinnt, sondern auch weil es den Geist und den Willen zum Widerstand in Gebieten bricht, die es unter Kontrolle hat, und auch in Gebieten, die sich noch außerhalb seiner Kontrolle befinden".
Wer sich an dieser Stelle fragt, wie die Assad-Regierung es schafft, den Geist des Widerstandes auch da zu brechen, wo sie gar keine Kontrolle hat, also in Gebieten, die von den meisten Medien "Rebellen-Gebiete" genannt werden, und weiterliest, der erfährt von Einschätzungen, über die bislang noch selten berichtet wird oder die als Pro-Assad-Propaganda nicht ernstgenommen werden.
Unterschiede im "Volk"
Hunderte Gespräche und Interviews hat Elizabeth Tsurkov mit "Zivilisten, Rebellen und Aktivisten" in sämtlichen Gebieten in Syrien geführt, die von der bewaffneten Opposition kontrolliert werden. Dabei habe sich das Bild einer "gebrochenen, traumatisierten Bevölkerung gezeigt, die fast ausnahmslos nur mehr aufs Überleben konzentriert ist". Der Blick der Forscherin konzentriert sich dabei mehr und mehr auf ein Phänomen, das ihrer Meinung nach noch zu wenig zur Sprache kommt:
Weite Teile der Millionen, die in Gebieten unter der Kontrolle der Rebellen leben, sind von der syrischen Revolution desillusioniert, angewidert von den Rebellen-Gruppen und frustriert von der Regierung und Verwaltung der lokalen Opposition und den NGOs in ihren Regionen.
Elizabeth Tsurkov
Ihre Untersuchung, die für die Mehrheiten, von denen sie spricht, keine Zahlen liefern kann, da repräsentative Umfragen im verlässlichen Stil dort nicht möglich sind, zeigt sich sehr ernüchtert und kritisch gegenüber dem in westlichen Medien gepflegten Mythos, dass es sich seit sieben Jahren um einen Volksaufstand gegen Baschar al-Assad handelt.
"Die Islamisten sind die letzte Hoffnung" (Der Spiegel)
Selbst in Zonen, die als gegnerisch zur Baath-Regierung bekannt waren und wo man "Brutalitäten des Regimes" ausgesetzt war, hätten "viele Zivilisten" den Aufstand nicht unterstützt. Viele seien aus diesen Gebieten geflüchtet, eine andere auffallende Gruppe bestehe aus Syrern, die zu Anfang den Aufstand unterstützt hätten, als Protestierende, Aktivisten und Rebellen, und dann desillusioniert wurden. Manche schon 2011, als klar wurde, dass sich der Aufstand bewaffnet und die oppositionellen Gruppen religiöse Extremisten und Kriminelle anzogen.
Bei ihren Gesprächen, so Tsurkov, hört sie viel von Hass auf die Milizen. Ihre Untersuchung widmet sich einzelnen Gebieten wie Ost-Ghouta oder Idlib und nimmt sich auch der Herrschaftspraxis der al-Nusra-Nachfolgemiliz, Hayat al-Tahrir al-Sham, an wie auch der Herrschaftspraxis von Jaish al-Islam in Ostghouta und kommt dabei im Kern zu einem Ergebnis, das ganz ähnlich aussieht wie die Beschreibung der Lage in Afrin, wo Milizen eine Willkürherrschaft mit gröbsten Menschenrechtsverletzungen ausüben.
Kurz: ein Alptraum mit hoher Kriminalität, religiösem Extremismus und Profitgier der Herrscher, ein autoritäres Willkürsystem, von dem die normalen Bewohner genug haben.
Das Phänomen exorbitanter Wegezölle, das Vorkommen von Raub und Diebstahl, von Hinrichtungen, Carjackings, Entführungen und Mord ist auf unglaubliche Weise verbreitet in allen von Rebellen kontroliierten Gebieten in Syrien. In einigen Fällen ist es glasklar, das Rebellen die Übeltäter sind.
Die Medienaktivisten
Einfügung - durch einen technischen Fehler wurde an dieser Stelle folgende Passage ausgeblendet. Sie sei hier nachgereicht (so ist dann auch der Bezug zum Anschluss "mit Mitgliedern der letzteren Gruppe habe sie viele Gespräche geführt" richtig. Pardon bitte!, Anm. d.A.):
Dass dies kaum an die Öffentlichkeit gedrungen ist - anders als die Bombardements der syrischen und der russischen Flugzeuge –, liegt, wie die Studie noch einmal bestätigt, daran, dass die Milizen sehr darauf aufpassten, welche Nachrichten nach außen dringen. Nachrichten kamen einzig über lokale "Fixer", von denen die Berichterstatter der großen Medien stark abhängen, mit einer starken ideologischen Nähe zu den Milizen und von sogenannten "citizen journalists", die die Sache der "Rebellen" unterstützen. Es gab klare Richtlinien für "Medienaktivisten", um Gefängnis und Verfolgung zu vermeiden, die ihnen vonseiten der Milizen im Falle der Nichtbeachtung angedroht werden.
"Selbst wenn ausländische Journalisten sich nicht auf Aktivisten und Führer im Exil verlassen und an den lokalen Fixern vorbeikommen, dann ist es so, dass sie es mit der Schicht der Bevölkerung zu tun hat, die es geschafft haben, Verbindungen zur Außenwelt zu knüpfen und das sind meistens lokale Aktivisten, NGO-Mitarbeiter und Rebellen, nicht die wirklich Armen, die sich kein Smartphone leisten können", berichtet Elizabeth Tsurkov.
Mit Mitgliedern der letzteren Gruppe habe sie viele Gespräche geführt, so Tsurkov. Dabei kommt die Einmischung von außen überhaupt nicht gut weg.
Ein besonders schmerzhaftes Thema, das immer und immer wieder von Syrern angesprochen wird, ist, dass ihr Leben von äußeren Mächten und Figuren ("outsiders") entwertet wird, die nichts für sie getan haben, um sie zu beschützen, und sie davon abhalten, Asyl außerhalb von Syrien zu suchen.
Elizabeth Tsurkov
Die NGOs
Interessant ist übrigens die Beobachtung, dass sich die Milizen nicht nur an den Hilfslieferungen der NGOs bereicherten, sondern es durch ihre Stellung in den von ihnen kontrollierten Zonen auch schafften - wenn es sein musste über Erpressung - dass sie dort angestellt wurden als offizielle Mitarbeiter der NGOs. Insofern erscheint das Misstrauen der syrischen Regierung gegenüber Hilfslieferungen in einem anderen Licht.