Französischer Außenminister: Rakka wird nicht an Baschar al-Assad zurückgegeben
Jean- Yves Le Drian fasst die Befreiung von Rakka als Pfand auf, um al-Assad zum politischen Übergangsprozess zu verpflichten
Der französische Außenminister (und Minister für Europa) Jean- Yves Le Drian beantwortete der Publikation Journal du dimanche (Jdd) in einem Interview, das am vergangenen Wochenende erschien, verschiedene Fragen zur Weltlage.
Es wurden alle näheren und fernere Krisen und Konflikte, von Katalonien, Osteuropa, den Brexit-Problemen bis zum Umgang mit Iran und Nordkorea angesprochen. Le Drian gab Einschätzungen und Antworten, die man so oder ähnlich von ihm erwartet. "Europa braucht den Sinn für ein gemeinsames Schicksal" oder, was den Kurs Trumps gegenüber Iran angeht: "Noch nie zuvor seit dem Ende des kalten Krieges haben wir eine derart von Spannungen und Risiken aufgeladene Situation erlebt."
"Muss Rakka in die Hände Baschar al-Assads zurückgegeben werden?"
Aufhorchen aber lässt eine Antwort, die Le Drian auf eine bereits ungewöhnliche Fragestellung gibt. Dabei geht es um Ansprüche in Syrien nach der Niederlage des IS. Die Frage des Jdd lautet: "Muss Rakka in die Hände Baschar al-Assads zurückgegeben werden?"
Da Rakka zum syrischen Territorium gehört und damit zum Hoheitsgebiet der Regierung in Damaskus, impliziert die Frage bereits eigenwillige Ansprüche. Noch viel mehr zeigen die sich in der Antwort des Außenministers:
Ganz sicher nicht, weil Rakka von Streitkräften der Opposition zurückerobert wurde. Es ist nun die Zeit gekommen, ein angemessenes Vorgehen und Forum zu finden, um über die politische Zukunft Syriens zu reden und um zu vermeiden, dass sich das Land balkanisiert. Frankreich wird für seinen Teil ein Akteur sein, der Rakka stabilisiert, um die Minenräumung durch NGOs zu finanzieren wie auch den Zugang zu Wasser und anderen Dingen zur Versorgung der Bevölkerung
Jean- Yves Le Drian
Dass sich Frankreichs Regierung ebenso wenig wie große Teile der US-Führung auf die Dauer nicht damit abfinden würden, dass die Astana-Vereinbarungen politisch relevanter sind als die Genfer Gespräche, war zu erwarten. In Genf ging es immer um die Zukunft Baschar al-Assads. Der politische Prozess, den man dort in Bewegung zu setzen versuchte - und der von einer UN-Sicherheitsratsresolution auch gefordert wird -, scheiterte regelmäßig an der Frage über den Platz, den Baschar al-Assad in einer Übergangsregierung haben sollte.
Angesichts der jahrelangen engen Verbindungen Frankreichs und Saudi-Arabiens - und in einem unterschiedlichen Maß auch des Leaders from Behind, den USA unter Obama - zu Vertretern der Exilopposition standen dahinter auch direkte politische Interessen an der Teilhabe der "neuen Macht" in Syrien. Die Niederlage der Dschihadisten in Aleppo machte die militärischen Hoffnungen des Westens zunichte.
Darauf war die US-Politik in Syrien lange Jahre monothematisch ausgerichtet. Sie unterstützte via Saudi-Arabien oder direkt über die CIA die Opposition mit Milliardengaben für Waffen, Ausrüstung und Sold. Auch die Dschihadistenmilizen profitierten von dieser Ausrichtung. Nach dem Krieg in Aleppo setzte Astana den Schlusspunkt unter diese Politik. Frankreich hatte gar nichts mehr zu melden, die USA nur eingeschränkt.
Der "Wettlauf" auf Einflusszonen
Der "Wettlauf auf Deir-ez-Zor" und die Befreiung von Rakka zeigen sich im Licht der Aussagen des französischen Außenministers als das, was einige Beobachter schon länger vorbrachten: Dass es nicht nur um die Befreiung vom IS, "den Kampf gegen den Terror" geht, sondern um Einfluss auf Syrien in der Zeit nach dem IS.
Wir schlagen vor, dass es ab November grundsätzliche Diskussionen der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und den betroffenen Ländern, zu denen auch Iran gehört, geben wird. Damit man ernsthaft an einer gemeinsamen Agenda der Stabilisierung Syriens arbeitet, an einer neuen Verfassung und der Vorbereitung für Neuwahlen. Wenn wir das nicht schaffen, würde das Verwerfungen in Syrien bedeuten, die Verlängerung des Konflikts in einer Larvenform, dass das Land ein Schmelztiegel für eine der mörderischsten Formen des Terrorismus bleibt.
Jean- Yves Le Drian
Dieses Anliegen, über Raqqa Einfluss auf die inneren Angelegenheiten Syriens zu nehmen, erklärt auch die Eile, mit der die SDF vergangene Woche bei der Befreiung von Rakka- auf Weisung Washingtons? -vorging: Man ließ Kämpfer der IS abziehen, was auch Le Drian missfällt - und Russland.
Lawrow: Fragen zur neuen Linie der USA in Syrien
Dort stellt sich Außenminister Lawrow Fragen über die "neue Linie", welche die USA in Syrien verfolgen, und "seltsame Dinge", die sich dort im Zusammenhang mit IS-Milizen ereignen. Er spricht von einem "Massen-Exodus der IS-Milizen".
Der Sprecher des Verteidigungsministeriums Igor Konashenkov verglich indessen die Zerstörung Rakkas mit der von Dresden 1945 und weist darauf hin, dass die syrische Armee mit russischer Luftunterstützung bei Deir ez-Zor um einiges zurückhaltender vorgehe, was die Zivilbevölkerung angehe.
Ob Frankreich, die USA und die anderen "Freunde Syriens" mit ihrem Plan, Rakka als Pfand zu nehmen, um im Post-IS- Syrien mitreden zu können, Erfolg haben, ist fraglich. Baschar al-Assad lehnt jede Unterstützung beim Wiederaufbau durch westliche Partner ab.