Das unsterbliche RAF-Gespenst und wozu der Staat es braucht
Staat präsentiert großen Fang: Daniela Klette wird als Top-Terroristin bezeichnet. Wird sie am Ende nur wegen "unpolitischer" Taten verurteilt? Ein Kommentar.
Man fühlte sich in die BRD der 1980er-Jahre und frühen 1990er-Jahre zurückversetzt, als an allen Bahnhöfen Fahndungsplakate von tatsächlichen oder vermeintlichen Mitgliedern der Roten Armee Fraktion (RAF) zu sehen waren.
Senatorin lobt Hartnäckigkeit der Ermittler gegen aufgelöste RAF
Dort war auch ein Foto von Daniela Klette abgebildet. Am Dienstag ist sie in Berlin verhaftet worden, was für die Berliner Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz, Felor Badenberg gleich Anlass einer kurzen Pressemeldung war, in der auch der politische Charakter deutlich wurde:
Die Festnahme zeigt, dass sich der lange Atem der Ermittlungsbehörden auszahlt. Ihnen gilt mein Dank und meine Anerkennung, dass sie bei der Suche nach extremistischen Gewalttätern immer wieder beharrlich bleiben. Es war entscheidend, den Verfolgungsdruck aufrecht zu erhalten, um die Bevölkerung vor weiteren schweren Taten zu schützen.
Aus der Pressemeldung der Berliner Senatsbehörde Justiz und Verbraucherschutz
Abgesehen davon, dass Straftaten, die Klette im letzten Vierteljahrhundert begangen haben soll, gar nicht mehr politisch motiviert waren, sondern gegebenenfalls wohl nur noch zur Finanzierung des Lebensunterhalts im Untergrund dienten, ist der Verweis auf den langen Atem der Ermittlungsbehörden durchaus auch als Drohung zu verstehen.
Sie vergessen nicht, vor allem nicht bei einer politischen Gruppe, die einmal aus einem linken gesellschaftlichen Aufbruch entstanden ist und über deren weitere Entwicklung sich die gesellschaftliche Linke über Jahrzehnte gestritten hat.
RAF: Ein Gespenst, das der Staat nicht ruhen lässt
Am 20. April wird es bereits 26 Jahre her sein, seit sich die RAF aufgelöst hat, was selbst die Generalbundesanwaltschaft als Fakt auf ihrer Homepage notiert hat. Trotzdem behauptet die Senatsbehörde, dass der Verfolgungsdruck aufrechterhalten wurde, "um die Bevölkerung vor weiteren schweren Taten zu schützen".
Hier kann man wirklich behaupten, dass die RAF hier als Gespenst herangezogen wird, die noch ein Vierteljahrhundert nach ihrer Auflösung als Gefahr für die Bevölkerung hingestellt wird.
Vorwand RAF: Eine Warnung an heutige linke Gruppen
Das ist durchaus auch als Drohung für aktuelle linke Gruppen, die überhaupt keinen Bezug zur RAF haben und trotzdem sofort mit der RAF in Verbindung gebracht werden.
So erklärte laut Medienberichten der Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei, Benjamin Jendro, die Festnahme der "Topterroristin" zeige, dass der Rechtsstaat auch nach Jahrzehnten nicht locker lasse – und dass Berlin "nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzt bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist".
Als wäre selbstverständlich anzunehmen, dass eine gesuchte RAF-Frau hier in der "Szene" verkehrt hat, die im Fokus von Polizei und Verfassungsschutz steht. Hätte das in ihrem Sinn 20 Jahre "gutgehen" können – so lange, wie sie mindestens in Berlin gewohnt haben soll?
Beschwörung neuer RAF: Keule gegen Klimabewegung und Antifa
Immer wieder wird von Seiten der repressiven Staatsorgane und ihnen nahe stehender Medien eine neue RAF beschworen, wenn sich Menschen jenseits von Staat und Kapital organisieren. Mal soll eine "Klima-RAF" verhindert werden, wenn Klimabewegte über klassische Demo-Konzepte hinausgehen, mal wird "die Antifa" zur neuen RAF stilisiert.
Das hat durchaus Methode. Die RAF wird hier zum Synonym für größtmögliche Feindschaft zum Staat. Um die konkrete Programmatik der einst real existierenden RAF geht es da gar nicht mehr. Mit dem Hype um die Verhaftung von Klette soll dann noch mal von Seiten des Staatsapparates klargemacht werden, dass sie bei ehemaligen Staatsfeinden keine Gnade und kein Vergessen gibt. Das soll heutigen politischen Gruppen eine Lehre sein.
Deutung der RAF-Taten: Wo fängt Terrorismus an?
Tatsächlich hat sich bis weit in linke Kreise in Bezug auf die RAF der Begriff Terrorismus durchgesetzt – in den 1970er-Jahren waren selbst Linksliberale nicht bereit, diesen Begriff zu verwenden, nicht aus Sympathie mit der RAF, aber aus der Ablehnung vor dem Staatsapparat einen Kotau zu machen. Der Begriff hat sich heute aber weitgehend durchgesetzt.
Mit der Verhaftung von Klette wird noch einmal verdeutlicht: Der deutsche Staatsapparat besiegt weiterhin einen Gegner, der sich längst aufgelöst hat. Damit soll auch klargestellt werden, dass die Staatsapparate gegen ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Feinde aus linken, rechten oder islamistischen Milieus vorgehen, um der Totalitarismustheorie die Ehre zu geben.
XY ungelöst: Schmückt sich die Sendung mit fremden Federn?
Auch die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst", die erst kürzlich wieder die noch gesuchten Ex-RAF-Mitglieder thematisierte, will sich die Verhaftung von Klette als Erfolg anrechnen lassen, obwohl laut Polizei die Observation der Frau schon Monate andauerte, als die Folge ausgestrahlt wurde.
Erst im Februar wurde in der Sendung die Fahndung nach Klette und den beiden noch gesuchten ehemaligen RAF-Mitgliedern Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub reaktiviert – was angeblich zu mehr als 160 Hinweisen aus der Bevölkerung führte – und am 17. Februar zu einem stundenlangen Polizeieinsatz in einem Zug bei Wuppertal. Doch der dort als früheres RAF-Mitglied verdächtigte Mann war verwechselt worden.
Auch hier fühlte man sich in die 1970er- und 1980er-Jahre zurückversetzt, als eine deutsche Volksgemeinschaft Staatsfeinde jagte. Nur: Damals haben es manche der Verwechselten nicht überlebt. Es ist keineswegs ein gutes Zeichen, dass in Zeiten angestrebter "Kriegstüchtigkeit" und der erklärten Absicht der Herrschenden, mit Kanonen statt Butter großen Teilen der Bevölkerung die Rechnung zu präsentieren, auch die Denunziationsbereitschaft gegen vermeintliche oder tatsächliche Staatsfeinde wächst.
Umgang mit RAF-Mitgliedern: Ein Lehrstück politischer Justiz?
Nun stellt sich natürlich die Frage, wie es nach der Verhaftung von Daniela Klette weitergeht. Droht ein klassischer RAF-Prozess, wie es die Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe in ihrer Pressemitteilung befürchtet?
Zu erwarten ist ein politisch motivierter Gesinnungsprozess, wie sie heutzutage vielfach gegen Aktivist:innen der türkischen und kurdischen Linken sowie antifaschistische Gruppen stattfinden.
Damit erübrigt sich für die Anklage der jeweilige Tatnachweis. Schon in früheren RAF-Prozessen wurden regelmäßig allen Mitgliedern sämtliche Taten während der Zeit ihrer Mitgliedschaft zur Last gelegt. Dies steht auch aktuell zu befürchten. Es ist die Aufgabe von Solidaritäts- und Grundrechtsorganisationen ebenso wie der gesamten Linken, sich gegen diese Gesinnungsjustiz zu stellen.
Bundesvorstand der Roten Hilfe
Noch ist es zu früh, darüber zu urteilen. Das hängt auch vom Verhalten der Verhafteten ab. Klette wurde schon angeraten, sie könne die Kronzeugenregelung für sich in Anspruch nehmen – was bedeuten würde: Strafnachlass gegen Aussagebereitschaft gegen sich und andere. Würde ein solches Szenario eintreten, wäre ein weiterer "Triumph" des Staates über die schon aufgelöste RAF besiegelt.
Widerstand gegen Verurteilung nach alter Methode ist nötig
Doch noch ist nicht klar, wie sich die Gefangene verhält, wie sie sich verteidigt und wie ihre Anwälte agieren. Die demokratische Öffentlichkeit könnte schon jetzt fordern, dass eine Verurteilung nach der alten Methode gegen tatsächliche oder vermeintliche RAF-MItglieder heute nicht mehr erfolgt.
Es gib keine RAF mehr, also kann auch nicht nach dem Konstrukt der Gesamt-RAF verurteilt werden. So müssen den einzelnen Angeklagten individuelle Taten nachgewiesen werden. Das kann auch im Fall von Klette schwierig werden.
Zur Last gelegt wird ihr unter anderem Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag im Jahr 1993, bei dem keine Menschen verletzt oder getötet wurden – was auch erkennbar nicht beabsichtigt war: Die Wachmannschaft des noch leer stehenden Gefängnisneubaus im hessischen Weiterstadt war von den bisher nicht identifizierten Tätern gefesselt und in einem Lieferwagen aus der Gefahrenzone gebracht worden, ehe die Bomben explodierten.
Mordanschläge hörten schon Jahre vor der RAF-Auflösung auf
Als Mordversuch interpretiert werden könnten dagegen die Schüsse auf das US-Botschaftsgebäude 1991 in Bonn – in verschiedenen Medienberichten heißt es, dort sei nur "durch einen glücklichen Zufall" niemand getötet worden.
Die Verteidigung dürfte da genauer hinsehen, falls Klette eine Beteiligung nachzuweisen ist, denn Tötungsdelikte verjähren nicht, im Gegensatz zur bloßen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die gemäß der Höchststrafe von zehn Jahren nach § 129a innerhalb von 20 Jahren verjährt.
Eine Beteiligung an vollendeten Morden wird Klette bisher aber gar nicht vorgeworfen – die RAF hatte schon mehrere Jahre vor der Auflösung 1998 aufgehört, Repräsentanten von Staat und System gezielt umzubringen.
RAF-Geschichte kaum noch in öffentlichem Bewusstsein
Es wird sich auch zeigen, wie ein solcher RAF-Prozess in einer gegenüber vor 30 Jahren völlig anderen politischen Umgebung stattfinden würde.
Die RAF und ihre Aktionen sind heute vielen völlig unbekannt. Dabei gibt es den Roman "Erzählung zur Sache" in dem die Autorin Stephanie Bart die Geschichte der RAF literarisch bearbeitet. Vielleicht ist die Verhaftung von Klette ein guter Anlass, nach diesem Buch zu greifen.