Datenkrake Lauterbach

Bild: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Warum der neueste Vorstoß zur elektronischen Patientenakte ein Anschlag auf die informationelle Selbstbestimmung ist. Kommentar.

Die "elektronische Patientenakte" gibt es längst. Aber jetzt hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach ein entscheidendes Detail verändert, und damit einen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen hin zum "gläsernen Patienten" eingeleitet: Jeder, der nicht aktiv widerspricht, soll bis Ende 2024 automatisch eine elektronische Patientenakte bekommen.

Da staunt man schon sehr: Plötzlich ist eine Widerspruchslösung möglich. Das, was in einer Frage, wo dies viel wichtiger ist, um Leben zu retten, nämlich in der Frage der Organspende nicht möglich ist – weil man hier ja angeblich "in den Körper der Bürger" eingreift –, das ist bei der elektronischen Patientenakte jetzt offenbar sehr einfach möglich – obwohl man hier intimste Fakten ihrer Krankheitsgeschichten und ihrer körperlichen Befindlichkeit speichert.

De facto Aufhebung der Schweigepflicht und Geschäftemacherei

Statt wie bisher unter der ärztlichen Schweigepflicht stehend, sollen künftig die Krankheitsdaten aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ab deren Geburt automatisiert und verpflichtend aus den Praxen heraus in zentralen Datensammlungen gespeichert werden.

Dort stehen sie künftig potentiell jedem, der darauf einen Zugang erhält, zur Verfügung. Nicht nur in Deutschland, sondern auch im von der EU-Kommission geplanten "Europäischen Gesundheitsdatenraum" EHDS. Ein staatliches Forschungsdatenzentrum soll über die Freigabe entscheiden. Auch Pharmaforschung und Gesundheitswirtschaft sollen Zugang erhalten können.

Ziel der EU-Kommission ist, dass diese Krankheitsdaten künftig auch europaweit angefordert und ausgewertet werden können, im Falle der sogenannten "Forschungsinteressen" ohne jede Möglichkeit der Patienten, zu widersprechen.

Auch innerhalb Deutschlands sollen die Daten der Industrie zur Auswertung zu Forschung, aber auch zu Marketing zur Verfügung stehen. De facto will Karl Lauterbach mit den Daten der Patienten Handel treiben und Geschäfte machen.

Digitalisierung als Lebensretter?

Denn die elektronische Gesundheitsakte bedeutet: Alle persönlichen Daten sind auf einem einzigen Chip gespeichert. Einerseits praktisch, kompakt und schnell auffindbar. Andererseits befürchten Kritiker Datenmissbrauch, der längerfristig zum "gläsernen Patienten" führen würde.

Zudem sollen diese Daten nach den Plänen des Gesundheitsministers auch für "die medizinische Forschung" zur Verfügung gestellt werden und zwar in pseudonymisierter Form.

Befürworter versprechen sich von alldem, dass Befunde, Röntgenbilder, Labordaten, bereits durchgeführte Therapien und verordnete Medikamente bis hin zum Impfpass für alle behandelnden Ärzte abrufbar sind.

Das führe zu einer besseren Versorgung. Man könne Leben retten. Zugriff darauf können allerdings nicht nur Ärzte bekommen, sondern auch ganz andere Berufsgruppen wie etwa Hebammen oder Apotheker.

Das eigentliche Ziel ist klar: Effizienzsteigerung und Kostensenkung, also einmal mehr ökonomische Optimierung.

Aufhebung der informationellen Selbstbestimmung

Das wird scharf und mit guten Gründen kritisiert. Nicht nur die Oppositionspartei Die Linke sieht Lauterbachs neuen Vorstoß "datenschutzrechtlich äußerst kritisch".

Auch aus der Ärzteschaft melden sich Gegenstimmen: "Die gesamte Planung zielt darauf ab, die ärztliche Schweigepflicht aufzuheben – und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Patienten gleich mit", so Silke Lüder, stellvertretende Vorsitzende der Freien Ärzteschaft, die vor allem niedergelassene Hausärzte vertritt:

Wenn sich die Menschen nicht mehr sicher sein können, dass das, was dort gesprochen wird, auch in diesem Raum bleibt, werden sie sich künftig nicht mehr offen äußern oder schlimmstenfalls nicht mehr zum Arzt gehen.

"Da wird über Verschlüsselung gefaselt"

Besonders scharfe Kritik kommt aber von Cybersicherheits-Experten und Datenschützern. So sagte Hartmut Pohl, Professor für IT-Sicherheit und als Berater einer der führenden Experten zum Thema das derzeitige System sei "überhaupt nicht sicher".

"Herr Lauterbach macht sich Gedanken über die Daten, die dem Bürger gehören. Die gehören ihm ja gar nicht."

Die Technik sei bisher völlig unzureichend diskutiert und umgesetzt worden. "Da wird über Verschlüsselung gefaselt, aber keiner sagt, welche Verschlüsselung gemeint ist. Es steckt eine Software hinter der Patientenakte. Hat die jemals jemand geprüft auf Sicherheitsaspekte? Da gibt es ja internationale Standards. Sind die geprüft worden? Das wird so abgetan vom Minister: ja ja da kümmern wir uns auch. Nein: das ist der Anfang."

Ein wesentlicher Aspekt sei, dass die Daten nicht zentral gespeichert werden dürfen. "Da genügt ein Hackerangriff und alle Daten liegen offen. Sie müssen dezentral gespeichert werden. Eine uralte Forderung." Bislang funktionieren für Pohl weder Pseudonymisierung noch Anonymisierung.